Leitsatz
Gegen die Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO bestehen auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Normenkette
§ 227, § 233, § 233a, § 238, § 240 AO, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG
Sachverhalt
Der Kläger ist zum Insolvenzverwalter über das Vermögen von A bestellt worden. Das FA meldete Abgabenforderungen zur Tabelle an, darin enthalten waren auch Säumniszuschläge. Der Kläger bestritt die Forderungen und wies auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hin. Vorsorglich beantragte er den Erlass der Säumniszuschläge. Das FA erließ daraufhin die Hälfte der Säumniszuschläge. Da der Kläger die Forderungsanmeldung weiterhin bestritt, stellte das FA mit Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO Insolvenzforderungen i.H.v. insgesamt 28.005 EUR fest. Darin waren auch die Säumniszuschläge i.H.v. (nunmehr) insgesamt 576,50 EUR enthalten.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG entschied, dass die Säumniszuschläge hinsichtlich eines möglichen Zinsanteils weder ganz noch teilweise gegen das Verfassungsrecht verstießen (FG Hamburg, Urteil vom 1.10.2020, 2 K 11/18, EFG 2020, 1815, Haufe-Index 14205804). Denn selbst wenn der Säumniszuschlag auch eine Zinsfunktion habe, lasse sich kein "fester" und damit typisierter Zinssatz ermitteln, der am Maßstab eines Marktzinses gemessen werden könnte.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision der Klägerin aus den in den Praxis-Hinweisen dargelegten Gründen als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
Der BFH hatte bereits im Urteil vom 23.8.2022 (VII R 21/21, BFH/NV 2023, 400, Haufe-Index 15563953) entschieden, dass gegen die Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 AO keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Die vorliegende Entscheidung baut darauf auf und berücksichtigt die zwischenzeitlich im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen Entscheidungen anderer Senate.
1. Ausgangspunkt der Diskussionen um die Verfassungsmäßigkeit auch der Säumniszuschläge war der Beschluss des BVerfG vom 8.7.2021 (1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, BFH/NV 2021, 1455, Haufe-Index 14693460) zu der Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen nach § 233a AO.
2. Der BFH hat ausgeführt, dass sich die vom BVerfG in diesem Beschluss herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO i.H.v. 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, nicht auf Säumniszuschläge übertragen lassen.
3. Die Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 AO verletzt auch nicht das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG wegen eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot.
Wie das FG betont der BFH, dass sich dem § 240 AO kein konkreter Zinsanteil entnehmen lasse, sondern die Verfassungsmäßigkeit nur insgesamt zu beurteilen sei. Hierzu verweist er insbesondere auf den historischen Gesetzgeber, der sich nicht an den Verzugszinsen des BGB, sondern an den Kreditkosten für Kontoüberziehungen orientiert habe.
4. Besonderheiten ergeben sich im Streitfall nicht dadurch, dass der A insolvent war. Soweit in diesem Zusammenhang der Blick auf die Neuregelung in § 15b Abs. 8 InsO (ab 1.1.2021) gerichtet ist, dürfte sich daraus jedenfalls nicht ergeben, dass ab Insolvenzreife keine Säumniszuschläge mehr anfallen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.11.2022 – VII R 55/20