Leitsatz
Eine nach § 52d Satz 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO – (noch) nicht nutzungspflichtige Prozessbevollmächtigte in Gestalt einer Steuerberatungsgesellschaft mbH wird nicht dadurch (im Sinne des § 52d Satz 1 FGO) nutzungspflichtig, dass ein nach § 52d Satz 1 FGO nutzungspflichtiger gesetzlicher Vertreter (§ 35 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, § 55d Abs. 2 des Steuerberatungsgesetzes) gegenüber dem Gericht auftritt; der Umstand, dass der handelnde Rechtsanwalt außerhalb seiner Tätigkeit als Organ der Steuerberatungsgesellschaft mbH über eine Zulassung zur Anwaltschaft verfügt, führt zu keinem anderen Ergebnis (Anschluss an das Zwischenurteil des Bundesfinanzhofs vom 25.10.2022 – IX R 3/22, BFHE 278, 21, BStBl II 2023, 267 und den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.2023 – 10 AZR 512/20).
Normenkette
§ 52d Sätze 1 und 2, § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO, § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, § 55d Abs. 2 StBerG
Sachverhalt
Die Prozessbevollmächtigte, eine Steuerberatungsgesellschaft mbH, "vertreten durch den Geschäftsführer Rechtsanwalt [X]", erhob namens und in Vertretung der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) mit Telefax vom 12.7.2022 Klage. Auf dem Briefbogen der Prozessbevollmächtigten sind u.a. Geschäftsführer X (Rechtsanwalt & Fachanwalt für Steuerrecht) und Y (Steuerberater) angegeben. Die Klageschrift ist unterzeichnet von X mit dem Zusatz "Rechtsanwalt & Fachanwalt für Steuerrecht".
Das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 18.11.2022, 3 K 175/22, Haufe-Index 15964388) wies die Klage als unzulässig ab. Es entschied, die Klage sei entgegen §§ 52a, 52d FGO nicht innerhalb der Klagefrist als elektronisches Dokument übermittelt worden. Im Zeitpunkt der Klageerhebung habe eine Pflicht zur Nutzung des beA für alle natürlichen Personen, die als Rechtsanwälte zugelassen waren, bestanden. Der für die Prozessbevollmächtigte tätige Rechtsanwalt X, der die Klageschrift unterzeichnet hatte, sei verpflichtet gewesen, das beA zur Erhebung der Klage zu nutzen. Die Berufsausübungspflichten des Rechtsanwalts seien nicht teilbar; er unterliege als Gesellschafter-Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft mbH ebenso der Nutzungspflicht wie als Rechtsanwalt in einer Einzelpraxis. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist gemäß § 56 Abs. 1 FGO seien nicht gegeben.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück. Er entschied, die Steuerberatungsgesellschaft mbH sei im Jahr 2022 noch nicht nutzungspflichtig gewesen. Dass X (Rechtsanwalt & Fachanwalt für Steuerrecht) die Klageschrift unterzeichnet habe, führe zu keiner anderen Beurteilung. Eine nach § 52d Satz 2 FGO (noch) nicht nutzungspflichtige Steuerberatungsgesellschaft mbH werde nicht dadurch nutzungspflichtig, dass für sie ein gesetzlicher Vertreter handele, der im Falle seiner Beteiligung am Prozess in seiner beruflichen Funktion als Rechtsanwalt nach § 52d Satz 1 FGO nutzungspflichtig wäre. Der handelnde Vertreter sei nicht selbst als (Syndikus-)Rechtsanwalt am Prozess beteiligt, sondern handele als gesetzlicher Vertreter in einem anderen Rechtsverhältnis. Dies entspreche der Rechtsprechung des BAG und weiche nicht von der Rechtsprechung des BGH ab.
Hinweis
1. Rechtsfragen des elektronischen Rechtsverkehrs (in der Finanzgerichtsbarkeit: § 52a ff. FGO) beschäftigen momentan die Rechtsprechung aller Obersten Gerichtshöfe des Bundes (OGB) stark. U. a. zu klären ist, wer ab wann mit welchem elektronischen Postfach nutzungspflichtig ist.
a) Es besteht dabei m. E. derzeit noch eine erhöhte Gefahr, dass es zumindest tendenziell zu Divergenzen nicht nur innerhalb der, sondern auch zwischen den Gerichtsbarkeiten (und ihren OGB) kommen kann. Mit dem Besprechungsurteil gleicht der BFH seine bestehende Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 25.10.2022, IX R 3/22, BFH/NV 2023, 223, BStBl II 2023, 267) mit der der anderen OGB erneut ab und gelangt zu dem Ergebnis, dass keine Divergenz vorliegt. Zum selben Ergebnis war zuvor bereits das BAG gekommen.
b) Konkret geben u.a. die Fälle Anlass zu Diskussionen, in denen für einen (noch) nicht nutzungspflichtigen Verfahrensbeteiligten oder Prozessbevollmächtigten eine Person handelt, die (bereits) persönlich nutzungspflichtig ist. Kommt es auf die Nutzungspflicht des Verfahrensbeteiligten bzw. seines Prozessbevollmächtigten an oder auf die der handelnden Person? Und noch allgemeiner: Ist die Nutzungspflicht statusbezogen oder rollenbezogen?
2. In der Sache bestätigt der BFH insoweit seine o.g. bisherige Rechtsprechung, dass eine im Jahr 2022 noch nicht selbst nutzungspflichtige Steuerberatungsgesellschaft nicht dadurch nutzungspflichtig wird, dass für sie ein Arbeitnehmer handelt, der daneben als Rechtsanwalt tätig und insoweit bereits nutzungspflichtig ist. Der BFH sieht sich darin durch die Rechtsprechung des BAG bestätigt, die zwar für einen Syndikusrechtsanwalt eine aktive Nutzungspflicht bejaht, aber für ...