Leitsatz
Einem selbstständig Tätigen steht im anderen Vertragsstaat für die Ausübung seiner Tätigkeit gewöhnlich eine feste Einrichtung i.S.v. Art. 13 DBA Bulgarien, Art. 14 DBA Kasachstan und Art. 15 DBA Jugoslawien zur Verfügung, wenn ihm von seinem Auftraggeber im Tätigkeitsstaat Räume überlassen werden, die er über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten hinweg immer wieder für mehrere Tage nutzt, sofern die Räume auch während seiner Abwesenheit dazu bestimmt sind, seiner selbstständigen Tätigkeit zu dienen.
Normenkette
§ 8 AO, Art. 13, Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Bulgarien, Art. 15, Art. 24 Abs. 1 Buchst. a DBA-Jugoslawien, Art. 14, Art. 23 Abs. 2 Buchst. a DBA-Kasachstan
Sachverhalt
Die Kläger waren Eheleute, die für das Streitjahr 2001 zusammen zur ESt veranlagt wurden.
Der Kläger war als Unternehmensberater in Bosnien und Herzegowina, in Bulgarien und in Serbien und Montenegro tätig.
Im Streitjahr 2001 hielt er sich an insgesamt 62 Tagen in Bosnien und Herzegowina, an 77 Tagen in Bulgarien und an 33 Tagen in Serbien und Montenegro, dort im Kosovo, auf. Die einzelnen Aufenthalte erstreckten sich über das gesamte Jahr und betrugen zwischen 7 und 33 Tagen. Im Jahr 2002 hielt er sich insgesamt an 145 Tagen im Kosovo auf.
In Bosnien und Herzegowina war der Kläger federführend und beratend im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft für ein Projekt tätig. Sein Einsatz war mit 5,5 Monaten, der Einsatz im Inland mit 1,5 Monaten vorgesehen. Der tatsächliche Einsatz erstreckte sich von August 2000 bis Ende Juli 2001; ein Büro stand ihm bereits während eines vorhergehenden Projekts seit Februar 2000 zur Verfügung. Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft nutzten die Projektbüros noch bis Juni 2002.
In Bulgarien war der Kläger ebenfalls Leiter eines Projekts. Dem Team stand ein Projektbüro in Sofia ununterbrochen zur Verfügung. Der Kläger sollte dort Leistungen von Februar 2001 bis 15.12.2001 erbringen, davon mindestens 80 % in Bulgarien. Der tatsächliche Einsatz des Klägers war mit 2,5 Monaten veranschlagt, er erstreckte sich auf die Zeit von April 2000 bis Oktober 2001. Andere Fachexperten nutzten das Projektbüro von Ende April 2000 bis zur Jahresmitte 2002.
Im Kosovo war der Kläger beratend tätig. Vertraglich waren der Zeitraum vom 18.11.2001 bis 31.07.2002 und ein tatsächlicher Einsatz von 7 Monaten bestimmt. Tatsächlich erbrachte der Kläger seine Beratungsleistungen vom 18.11.2001 bis zum 15.6.2002. Ihm stand ein Projektbüro ununterbrochen zur Verfügung.
Die im Streitjahr vom Kläger erzielten Einnahmen entfielen zum Teil auf eine im Jahr 1998 in Kasachstan ausgeübte Tätigkeit. Diese Einnahmen behandelte der Kläger als nach dem DBA Kasachstan steuerfrei. In gleicher Weise verfuhr er mit den Einnahmen aus seiner Tätigkeit in Bosnien, in Bulgarien und im Kosovo.
Das FA vertrat die Auffassung, das Besteuerungsrecht liege bei Deutschland.
Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt (EFG 2006, 52).
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass einem Steuerpflichtigen auch dann gewöhnlich eine feste Einrichtung im anderen Vertragsstaat zur Verfügung stehe, wenn diese für weniger als 6 Monate bestehe. Es mangle aber an notwendigen tatsächlichen Feststellungen des FG zum Vorliegen fester Einrichtungen sowie zur Zurechnung der erzielten Einkünfte zu diesen Einrichtungen.
Hinweis
1. Im OECD-Musterabkommen 2000 wurde die "selbstständige Tätigkeit" als eigenständige Einkunftsart "abgeschafft"; die bisherige Vorschrift des Art. 14 OECD-Musterabkommen wurde den gewerblichen Einkünften nach Maßgabe des Art. 7 OECD-Musterabkommen zugeschlagen. Damit erübrigt sich die Bedeutung jener Einkunftsart aus selbstständiger Tätigkeit tatsächlich aber keineswegs, weil eine vergleichbare Einkunftsart in fast allen deutscherseits abgeschlossenen DBA nach wie vor existiert.
Allerdings: Auch schon zuvor glichen sich die tatbestandlichen Voraussetzungen der "Betriebsstätte" nach Art. 7 OECD-Musterabkommen einerseits und der "festen Einrichtung" nach Art. 14 OECD-Musterabkommen andererseits weitestgehend einander an.
2. Der Urteilsfall bestätigt das:
Sowohl eine Betriebsstätte als auch eine feste Einrichtung verlangen danach eine gewisse örtliche und auch zeitliche "Verwurzelung".
- Alles, was unter einem halben Jahr liegt, ist in diesem Sinn von vornherein nicht "fest"; 6 Monate müssen erreicht werden.
- Überdies muss die Einrichtung der selbstständig tätigen Person während dieser Zeit ständig zur Verfügung stehen; eine dauernde Nutzung ist allerdings nicht notwendig.
Beide Merkmale müssen zusammenkommen. Nur dann ist die notwendige Intensität in dem Quellenstaat gegeben und ist es damit gerechtfertigt, jenem Staat das Besteuerungsrecht nach Abkommensrecht zuzuweisen.
"Steuergestaltend" ist also für das Vorhalten einer entsprechenden Loyalität beizeiten Sorge zu tragen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 28.6.2006, I R 92/05