Leitsatz
1. Für Zwecke der Grundsteuer ist das Grundstück gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ausnahmsweise dem wirtschaftlichen Eigentümer zuzurechnen.
2. Grundstückseigentümer und Vorkaufsberechtigter können den Übergang von Nutzen und Lasten abweichend von den in dem ursprünglichen Kaufvertrag festgelegten Bedingungen auf einen späteren Zeitpunkt festlegen.
Normenkette
§ 10 GrStG, § 19, § 22 Abs. 2 BewG, § 39 AO, § 464 Abs. 2 BGB
Sachverhalt
Die Grundstückseigentümerin A schloss im Januar 2006 mit einer KG einen notariell beurkundeten Kaufvertrag über ein aus mehreren wirtschaftlichen Einheiten bestehendes Grundstück. Der Übergang von Nutzen und Lasten auf die KG sollte nach dem Kaufvertrag im Januar 2006 erfolgen.
Die Klägerin übte das ihr an dem Grundstück zustehende Vorkaufsrecht im April 2006 aus. Im Juli 2006 wurde zu ihren Gunsten eine Eigentumsübertragungsvormerkung gemäß § 28 Abs. 2 Satz 3 BauGB eingetragen. Die Abweisung der Klage der KG gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts wurde im April 2010 rechtskräftig.
Die Klägerin erwarb nachfolgend mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom ...9.2010 das Grundstück. Als Tag des Übergangs von Besitz, Nutzen und Lasten wurde abweichend vom ursprünglich zwischen der A und der KG geschlossenen Kaufvertrag der ...9.2010 vereinbart, da die KG bis zu diesem Datum im Besitz des Grundstücks gewesen sei.
Das FA rechnete nach Kenntnis von der rechtskräftigen Ausübung des Vorkaufsrechts mit entsprechenden Einheitswertbescheiden die wirtschaftlichen Einheiten der Klägerin auf den 1.1.2007 zu und erließ jeweils entsprechende Grundsteuermessbescheide (Neuveranlagung auf den 1.1.2007). Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg (FG Köln, Urteil vom 20.9.2017, 4 K 801/14, Haufe-Index 11395006, EFG 2018, 6).
Entscheidung
Der BFH gab der Revision der Klägerin statt. Das FA habe den streitgegenständlichen Grundbesitz der Klägerin zu Unrecht (bereits) zum 1.1.2007 zugerechnet. Der Zeitpunkt des Übergangs von Besitz, Nutzen und Lasten sei durch den Kaufvertrag zwischen der A und der Klägerin abweichend von den in dem Kaufvertrag zwischen der A und der KG getroffenen Bestimmungen mit steuerrechtlich bindender Wirkung anders festgelegt worden.
Hinweis
Der BFH befasst sich im Besprechungsurteil mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Grundstück nach Ausübung eines Vorkaufsrechts für Zwecke der Grundsteuer nicht mehr dem bürgerlich-rechtlichen Eigentümer, sondern dem Vorkaufsberechtigten zuzurechnen ist.
1. Nach § 22 Abs. 2 BewG wird über die Art (§ 19 Abs. 3 Nr. 1 BewG) oder die Zurechnung des Gegenstands (§ 19 Abs. 3 Nr. 2 BewG) eine neue Feststellung getroffen (Artfortschreibung oder Zurechnungsfortschreibung), wenn sie von der zuletzt getroffenen Feststellung abweicht und es für die Besteuerung von Bedeutung ist. Fortschreibungszeitpunkt ist der Beginn des Kalenderjahres, das auf die Änderung folgt (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BewG).
2. Schuldner der Grundsteuer ist derjenige, dem der Steuergegenstand bei der Feststellung des Einheitswerts (§ 19 BewG) zuzurechnen ist (§ 10 Abs. 1 GrStG).
a) Grundsätzlich ist der Gegenstand dem bürgerlich-rechtlichen Eigentümer zuzurechnen (§ 39 Abs. 1 AO). Übt ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, ist ihm das Wirtschaftsgut ausnahmsweise zuzurechnen (sog. wirtschaftlicher Eigentümer; vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO). Eine Zurechnungsfortschreibung ist auch dann vorzunehmen, wenn das wirtschaftliche Eigentum übergeht.
b) Ein Wirtschaftsgut kann nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ausnahmsweise einem anderen als dem Eigentümer zugerechnet werden, wenn dieser die tatsächliche Herrschaft ausübt und den nach bürgerlichem Recht Berechtigten auf Dauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut auszuschließen vermag, sodass der Herausgabeanspruch des bürgerlich-rechtlichen Eigentümers keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hat.
Der Erwerber eines Grundstücks erlangt wirtschaftliches Eigentum regelmäßig ab dem Zeitpunkt, ab dem er nach dem Willen der Vertragspartner wirtschaftlich über das Grundstück verfügen kann, sodass er den nach bürgerlichem Recht Berechtigten im Regelfall, d.h. in dem für die Situation typischen Fall, auf die Dauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut ausschließen kann, der Herausgabeanspruch des Eigentümers also keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hat. Das ist der Fall, sobald Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten auf den Erwerber übergegangen sind. Sachherrschaft und Nutzungsrecht, also das Recht auf den Ertrag einschließlich eines Gebrauchsvorteils, sind wesentliche Merkmale des wirtschaftlichen Eigentums.
c) Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums richtet sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse. Danach kann wirtschaftliches Eigentum unter Umständen auch dann anzunehmen sein, wenn einzelne seiner Merkmale nicht in vollem Umfan...