OFD Karlsruhe, Verfügung v. 1.4.2002, S 0560/1
1. Allgemeines
1.1 Nach § 328 Abs. 1 AO können die Finanzämter Verwaltungsakte, mit denen sie von den Betroffenen die Vornahme einer Handlung oder ein Dulden oder Unterlassen verlangen, durch Auferlegung eines Zwangsgeldes (§ 329 AO), durch Vornahme auf Kosten des Pflichtigen (§ 330 AO) oder unmittelbar (§ 331 AO) erzwingen.
1.2 Von den gesetzlich möglichen Zwangsmitteln, die den Finanzämtern gemäß § 328 Abs. 1 AO zur Verfügung stehen, stellt nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der geringsten Beeinträchtigung (§ 328 Abs. 2 AO) regelmäßig das Zwangsgeld (§ 329 AO) das geeignete Mittel dar.
2. Anwendungsbereich
2.1 Der Anwendungsbereich des § 328 AO umfasst alle Verwaltungsakte, die nicht auf eine Geldleistung gerichtet sind und die das FA im Rahmen seiner Befugnisse zur Vorbereitung und Durchführung der Besteuerung erlässt.
2.2 Zwangsgelder können im gesamten Besteuerungsverfahren (einschl. des Außenprüfungs-, Vollstreckungs- und Einspruchsverfahrens) angewendet werden. Sie sind jedoch unzulässig, wenn der Steuerpflichtige durch das Zwangsmittel gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten (§§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO, 410 Abs. 1 Nr. 4 AO). Ist ein Steuerstraf- oder Bußgeldverfahren gegen den Steuerpflichtigen eingeleitet, dürfen gegen ihn – soweit der Verdacht reicht – keine Zwangsmittel angewendet werden (§ 393 Abs. 1 Satz 3 AO). Entsprechendes gilt für Personen, denen ein Auskunfts- oder Vorlageverweigerungsrecht (§§ 101 – 104 AO) zusteht.
2.3 Häufigster Anwendungsfall für das Verfahren der Androhung und Festsetzung von Zwangsgeldern ist die Aufforderung zur Abgabe von Steuererklärungen (§ 149 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. den Vorschriften der Einzelsteuergesetze).
Aber auch andere Aufforderungen sind erzwingbar, so z.B.
- Abschlussunterlagen zur Steuererklärung vorzulegen (§ 60 EStDV),
- Auskunft zu erteilen (§§ 93, 200 Abs. 1 AO),
- Urkunden vorzulegen (§§ 97, 200 Abs. 1 AO),
- die Augenscheinseinnahme zu dulden (§§ 98, 99 AO),
- Bücher zu führen (§§ 140, 141 AO),
- eine Außenprüfung zu dulden und damit verbundene Mitwirkungspflichten zu erfüllen (§ 200 Abs. 1 und 2 AO),
- eine Drittschuldnererklärung abzugeben (§ 316 AO).
2.4 Mit Zwangsgeldern nicht erzwingbar sind u.a.
- die Versicherung an Eides statt (§ 95 Abs. 6 AO),
- die Befolgung von Sollvorschriften, z.B. zur Begründung eines Einspruchs (§ 357 Abs. 3 AO),
- Verwaltungsakte, die der Betroffene nicht befolgen kann, z.B. die Aufforderung zur Vorlage von Urkunden, die nicht in seinem Besitz sind und deren Herausgabe er nicht verlangen kann,
- Verwaltungsakte, die sich gegen den Bund oder ein Land richten (§ 255 Abs. 1 Satz 1 AO).
Zwangsmittel gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts, die der Staatsaufsicht unterliegen (z.B. Gemeinden), sind nur mit Zustimmung der jeweiligen Aufsichtsbehörde zulässig (§ 255 Abs. 1 Satz 2 AO).
3. Entschließungsermessen
3.1 Ein Zwangsverfahren ist nur durchzuführen, wenn auf die Erfüllung der steuerlichen Anordnung im Einzelfall nicht verzichtet werden kann. Ist kein oder nur ein geringer steuerlicher Erfolg zu erwarten, so ist ein Zwangsverfahren wegen des hierfür notwendigen Verwaltungsaufwandes nicht zweckmäßig.
3.2 Bei Nichtabgabe der Steuererklärung ist grundsätzlich von der nach §§ 328 ff. AO gegebenen Möglichkeit der Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld Gebrauch zu machen. Jedoch darf die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nicht schematisch erfolgen. Im Einzelfall kann es durchaus zweckmäßig sein, auf Zwangsmaßnahmen zu verzichten und die Steuerfestsetzung sogleich im Wege der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durchzuführen. Dies gilt vor allem dann, wenn anzunehmen ist, dass Vollstreckungsmaßnahmen beim Steuerpflichtigen erfolglos sein werden.
3.3 Eine im Wege der Schätzung durchgeführte Veranlagung steht im Übrigen einem Zwangsverfahren nicht entgegen (vgl. § 149 Abs. 1 Satz 4 AO). Ist zu vermuten, dass die bisherige Nichtabgabe der Steuererklärung den Tatbestand einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit erfüllen kann, ist § 393 Abs. 1 Satz 2 AO zu beachten (vgl. Tz. 2.2).
4. Inhaltsadressat der Zwangsmaßnahme
4.1 Zwangsgelder sind demjenigen anzudrohen und aufzuerlegen, der zur Befolgung der durchzusetzenden Anordnung verpflichtet ist. Die Anordnung selbst sowie die Androhung und die Festsetzung des Zwangsgeldes sind daher stets gegen denselben Adressaten zu richten. Adressat der Anordnung muss nicht notwendigerweise der Steuerpflichtige selbst sein; in Betracht kommen auch andere Personen, z.B. auskunftspflichtige Dritte (§ 93 AO), Drittschuldner (§ 316 AO).
4.2 Sind mehrere Personen zur Erfüllung der gleichen Handlung verpflichtet (z.B. zusammenveranlagte Ehegatten zur Abgabe der Einkommensteuererklärung), so kommen sie nur einzeln als Adressaten in Betracht. Die Adressierung des Verwaltungsaktes, mit dem ein Zwangsgeld angedroht oder festgesetzt wird, an mehrere Verpflichtete (z.B. an „Herrn und ...