Betroffen sind Unternehmen, die einen großen Teil von Umsatz und Profit mit Einzelaufträgen erwirtschaften. Sind die Einzelaufträge am Bilanzstichtag nicht abgeschlossen, werden sie als Work in Process erfasst. Damit sind die in den Herstellkosten enthaltenen Kostenanteile erfasst. Sie erhöhen den Bestand an WIP und gleichen damit die in der GuV erfassten Kosten aus.
Praxis-Beispiel
Im folgenden Praxisbeispiel fertigt ein kleines Ingenieurbüro mit eigener Fertigung Spezialmaschinen für die Abwasserwirtschaft. Im abgelaufenen Jahr wurde eine Anlage zum Verkaufspreis von 2.000.000 EUR fertiggestellt und ausgeliefert, gleichzeitig wurde eine zweite Anlage begonnen. Diese wurde als WIP am Bilanzstichtag mit 1.250.000 EUR bewertet. Die Kostenarten enthalten alle angefallenen Kosten für beide Anlagen. Der ausgewiesene Gewinn in Höhe von 60.000 EUR entspricht 1,8 % der Gesamtleistung.
Kostenart | GuV mit Einzelauftrag EUR |
Umsatzerlöse | 2.000.000 |
Bestandsveränderung | 1.250.000 |
Gesamtleistung | 3.250.000 |
Materialeinsatz | 1.400.000 |
Löhne und Gehälter | 800.000 |
Sonstiger betrieblicher Aufwand | 990.000 |
Gewinn/Verlust | 60.000 |
Gewinn in % von Gesamtleistung | 1,8 % |
Die Bewertung der unfertigen Anlage hat folgende Kostenarten in den Herstellkosten berücksichtigt:
Kostenart | WIP |
Materialeinsatz | 800.000 |
Löhne und Gehälter | 200.000 |
Sonstiger betrieblicher Aufwand | 250.000 |
Bestandsveränderung | 1.250.000 |
Werden sowohl die Kosten des WIP als auch die Bestandsveränderungen aus der eigentlichen GuV herausgerechnet, ergeben sich die folgenden Werte:
Kostenart | GuV ohne Einzelauftrag EUR |
Umsatzerlöse | 2.000.000 |
Bestandsveränderung | 0 |
Gesamtleistung | 2.000.000 |
Materialeinsatz | 600.000 |
Löhne und Gehälter | 600.000 |
Sonstiger betrieblicher Aufwand | 740.000 |
Gewinn/Verlust | 60.000 |
Gewinn in % von Gesamtleistung | 3,0 % |
Mit 3 % von der Gesamtleistung ergibt sich ein zwar immer noch bescheidener aber doch wesentlich höherer Gewinnanteil. Um auch den absoluten Gewinnwert realistisch angeben zu können, wird auf die Herstellkosten der ermittelte „normale“ Gewinnanteil von 3 % errechnet, was zu einem fiktiven Umsatz von 1.288.660 Euro führt. Jetzt kann eine ebenso fiktive GuV erstellt werden:
Kostenart | GuV mit fiktivem Gewinn EUR |
Umsatzerlöse | 3.288.660 |
Bestandsveränderung | 0 |
Gesamtleistung | 3.288.660 |
Materialeinsatz | 1.400.000 |
Löhne und Gehälter | 800.000 |
Sonstiger betrieblicher Aufwand | 990.000 |
Gewinn/Verlust | 98.660 |
Gewinn in % von Gesamtleistung | 3,0 % |
Wenn es einen Auftrag mit einer detaillierten Kalkulation gibt, dann ist dort auch der Gewinn kalkuliert. Dann kann der fiktive durch den kalkulierten Gewinn ersetzt werden, wenn das Projekt sonst in den Plankosten liegt. Das macht die fiktive GuV noch realistischer.
Einfluss auf die Kennzahlen
Im Extremfall kann es zum Ausweis eines Verlusts in der HGB-Gewinn- und Verlustrechnung kommen, obwohl die Fakturierung des Einzelauftrags am Tag nach dem Bilanzstichtag einen erheblichen Gewinn freisetzt. Denn erst wenn aus einem zu Herstellkosten bewertetem WIP ein verkauftes Produkt wird, wird der Gewinn realisiert und kann verbucht werden.
Bauen Kennzahlen auf solchen, durch Vorsichtsgedanken bestimmten Bewertungen auf, dann müssen Erklärungen mitgeliefert werden. Vor allem die Banken errechnen aus Bilanz und GuV Kennzahlen, die der Beurteilung des Unternehmens als Kreditnehmer dienen. Schlechtes Rating führt zu Problemen in der Kreditbeschaffung und zu
höheren Zinsen.
Profitabilitätskennzahlen schwanken, wenn durch WIP Gewinnanteile über den Bilanzstichtag hinweg nicht real ermittelt werden dürfen (Eigenkapitalrentabilität, Umsatzrendite usw.).
Das Eigenkapital in der Bilanz ist um noch nicht realisierten aber zu erwartenden Gewinn zu niedrig. In der nächsten Periode wird es dann zu hoch ausgewiesen. Kennzahlen, die auf dem Eigenkapital aufbauen, sind dann nicht korrekt (EK-Quote, FK-Anteil).
Durch das nicht realistisch ausgewiesene Eigenkapital schwanken Liquiditätskennziffern (Liquiditätsgrade, Umlaufvermögensdeckung).
- Das Working Capital beinhaltet auch das Vorratsvermögen und damit WIP. Bei großen Einzelaufträgen ist das Working Capital bis zum Augenblick vor dem Verkauf des Produkts sehr hoch. Mit dem Verkauf wird es schlagartig niedrig. Das kann der Manager, der an der Höhe des Working Capitals gemessen wird, kaum beeinflussen.
Achtung: Daten nur kommentiert an externe Empfänger geben
Daten aus der Buchhaltung dürfen bei starkem WIP-Einfluss nur kommentiert an externe Empfänger gehen. Wenn der Profit im abgelaufenen Jahr unterhalb der Erwartungen liegt, weil er sich im WIP verbirgt und nicht ausgewiesen werden darf, dann muss der Jahresabschluss entsprechend kommentiert werden. Banken, Gesellschafter, Kreditversicherung usw. müssen auf die spezielle Situation hingewiesen werden. In internen Berichten kann die rechtlich zulässige Darstellung um eine korrigierte Fassung ergänzt werden. Im Working Capital können z. B. die WIP-Bestände ignoriert werden.
Praxis-Tipp
Wenn in internen Berichten die WIP-Bestände korrigiert oder ignoriert werden, sollte immer eine Überleitung zu den offiziellen Zahlen aus der Buchhaltung vorhanden sein. So kann die Korrektheit der Berichte festgestellt werden.
Mögliche Folgen eines hohen WIP-Anteils
Kennzahlen in Unternehmen, die einen hohen WIP-Anteil am Bilanzstichtag haben, schwanken also sehr stark und sind nicht zuverlässig. Wenn sich z. B. Geldgeber auf
diese Zahlen verlassen müssen, werden sie einen Sicherheitszuschlag erheben und Sicherheiten für den Kredit geringer bewerten. Das kann dazu führen, dass die Finanzierung des Unternehmens und damit das Unternehmen selbst gefährdet ist.