Leitsatz (amtlich)
Die entgeltliche überlassung eines Grundstücks zur Hebung der in ihm ruhenden Bodenschätze führt beim Überlassenden einkommensteuerrechtlich auch dann zu Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung, wenn das Grundstück zwar bürgerlich-rechtlich übereignet wird, die Vertragsteile aber die Rückübereignung nach Beendigung der Ausbeute vereinbaren.
Normenkette
EStG § 21; StAnpG § 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Sie bewirtschaften in M einen landwirtschaftlichen Betrieb. Die Klägerin veräußerte durch notariellen Vertrag vom 20. August 1962 mehrere in ihrem Eigentum stehende Grundstücke von insgesamt 7,28 ha an K. zur Entnahme des im Boden ruhenden Kiesvorkommens. Der Kaufpreis wurde entsprechend der Mächtigkeit und der Qualität dieses Vorkommens auf 368 000 DM festgelegt. Von diesem Betrag waren vorab 100 000 DM zu entrichten. Der Rest sollte in drei weiteren Raten jeweils am 1. August der Folgejahre beglichen werden. Die Vertragsparteien behielten sich ein Rücktrittsrecht für den Fall vor, daß die Kiesentnahme behördlich nicht genehmigt werde. Der Besitz sowie Nutzen und Lasten des Grundstücks gingen im Jahre 1962 auf K. über. Die Rechtsänderung selbst wurde in das Grundbuch eingetragen. In einem weiteren notariellen Vertrag vom gleichen Tage verpachtete K. die soeben erworbenen Grundstücke, soweit sie für die Baggerarbeiten nicht benötigt wurden, an die Klägerin. Der Pachtzins betrug 20 DM jährlich pro Morgen. Für die Baggerarbeiten dürfte pro Jahr höchstens 1/3 der Gesamtfläche beansprucht werden. Dieses Pachtverhältnis war bis zur Beendigung der Kiesentnahme unkündbar. K. räumte der Klägerin außerdem einen durch Vormerkung zu sichernden Anspruch auf Rückkauf der Grundstücke zum Preis von 6 000 DM bis zum Ablauf eines Jahres nach Abschluß der Entkiesung ein. Im gleichen Vertrag verpflichtete sich K., den bei der Kiesentnahme anfallenden Mutterboden an der Abbaustelle zu lagern und nach der Entkiesung wieder aufzutragen.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) berichtigte, nachdem es bei einer Betriebsprüfung diesen Sachverhalt festgestellt hatte, den bisherigen Einkommensteuerbescheid für 1962 und setzte einen Betrag von 66 095 DM, den es nach den Grundsätzen über den steuerlichen Ansatz von Mietvorauszahlungen gemäß Abschn. 163 Abs. 2 EStR 1962 ermittelt hatte, als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung an.
Die Sprungklage gegen den Berichtigungsbescheid hatte Erfolg.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Neben rechtlichen Ausführungen zur Stützung dieses Antrages bringen sie vor, die Stadt M habe sich dem Rückkaufsrecht der Kläger gegenüber eines Vorkaufsrechts nach dem Bundesbaugesetz (BBauG) berühmt, das sie auch ausgeübt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
Die Kläger und K. haben den notariellen Vertrag vom 20. August 1962 als Grundstückskaufvertrag abgeschlossen und vollzogen. Dennoch sind die Entgelte der Kläger aus diesem Vertragsverhältnis steuerlich als Einnahmen im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 2 Abs. 3 Nr. 6, § 21 EStG) zu behandeln.
Die Grundsätze der Einheit der Rechtsordnung sowie der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit erfordern zwar, daß die Rechtsformen des bürgerlichen Rechts, deren sich die Steuerpflichtigen rechtswirksam und ernsthaft zur Regelung ihrer Rechtsverhältnisse bedienen, regelmäßig auch bei der steuerrechtlichen Würdigung von Sachverhalten anerkannt werden. Dieser Grundsatz duldet eine Ausnahme nur, wenn dies die besonderen Verhältnisse des Steuerrechts oder die als gesetzliche Auslegungsregel in § 1 Abs. 2 und 3 StAnpG normierte sog. wirtschaftliche Betrachtungsweise gebieten (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1967 I 138/65, BFHE 89, 524, BStBl III 1967, 733). Dabei darf, wie der BFH wiederholt entschieden hat, die wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht dazu führen, ernstlich getroffene bürgerlich-rechtliche Vereinbarungen beiseite zu schieben, um an ihrer Stelle einen nicht verwirklichten, fingierten Sachverhalt zu setzen (vgl. BFH-Urteile vom 31. Mai 1972 I R 94/69, BFHE 106, 75, BStBl II 1972, 697, und vom 29. November 1966 I 216/64, BFHE 88, 370, BStBl III 1967, 392) oder einen fehlenden Besteuerungstatbestand zu ersetzen (vgl. BFH-Urteil vom 3. Dezember 1969 II 162/65, BFHE 98, 59, BStBl II 1970, 279). Sie hat aber, wie das BVerfG es in Anlehnung an Bühler-Strickrodt (Steuerrecht, 3. Aufl., Bd. I S. 158 f.) ausdrückt, ihren Platz dort, wo ein Steuergesetz zwar bestimmte rechtliche Sachverhalte nennt, dabei aber nicht deren spezielle rechtstechnische Einkleidung, sondern ihre rechtliche Wirkung meint; an diese rechtlichen Wirkungen und die dadurch herbeigeführten wirtschaftlichen Engebnisse im Bereich der Steuerpflichtigen hat dann die Besteuerung anzuknüpfen (vgl. BVerfG-Urteil vom 24. Januar 1962 1 BvR 232/60, BVerfGE 13, 318, [329], BStBl I 1962, 506). Dieses Ergebnis entspricht auch dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, wonach wirtschaftlich gleichbedeutende Vorgänge auch die gleiche steuerliche Behandlung erfahren sollen.
Die Begriffe Vermietung und Verpachtung in § 21 EStG sind nicht in dem Maße an die Begriffe Miete und Pacht des bürgerlichen Rechts gebunden, daß sie nur auf Rechtsverhältnisse zuträfen, die diesen bürgerlich-rechtlichen Begriffen entsprechen. Dies ergibt sich bereits aus Abs. 1 Nr. 4 und aus Abs. 2 des § 21 EStG. Die dort unter die Begriffe Vermietung und Verpachtung eingereihten Lebenssachverhalte können den bürgerlich-rechtlichen Begriffe Miete oder Pacht nicht zugeordnet werden. Die Begriffe Vermietung und Verpachtung im einkommensteuerlichen Sinne sind daher umfassender als die vergleichbaren bürgerlich-rechtlichen Begriffe. Dies führt dazu, daß es bei der steuerlichen Zuordnung von Einnahmen zu der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung nicht auf die bürgerlich-rechtliche Form und Bezeichnung der von den Beteiligten geschlossenen Verträge ankommt, sondern auf ihren wirtschaftlichen Inhalt (vgl. Hermann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 21 EStG Anm. 2; Blümich-Falk, Einkommensteuergestz, § 21 Anm. 1 a; Hartmann-Böttcher-Grass, Großkommentar zur Einkommensteuer, § 21 Anm. 1 a; Lademann-Lenski-Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 21 Anm. 1; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, § 21 Anm. 2).
Das in den notariellen Verträgen vom 20. August 1962 vereinbarte Rechtsverhältnis ist seinem wirtschaftlichen Gehalt nach ein Pachtverhältnis. Wenn die Vertragspartner den ersten dieser Verträge auch als Kaufvertrag bezeichneten, so haben sie doch den wirtschaftlichen Erfolg eines Kaufvertrags im Sinne der §§ 433 ff. BGB nicht gewollt. Der Kaufvertrag zielt seinem Wesen nach auf die endgültige Übertragung eines Vermögensgegenstandes aus dem Vermögen des einen in das eines anderen (vgl. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, II. Band, Besonderer Teil, S. 137). Den Eintritt dieses Erfolges wollten die Vertragsparteien durch die von ihnen gewählte Gestaltung gerade vermeiden. Die Kläger wollten sich trotz der bürgerlich-rechtlich rechtswirksamen Übereignung nicht von den im Vertrag genannten Grundstücken trennen. Dies ergibt sich bereits klar aus der Vereinbarung eines auch dinglich durch eine Vormerkung zu sichernden Rückkaufsrechts. Die Kläger erwarben dadurch den Anspruch, von ihrem Vertragspartner die Rückübereignung und Herausgabe der Grundstücke zu verlangen. Aber auch die Verpflichtung des K., nach Abschluß des Kiesabbaus den an der Abbaustelle gelagerten Mutterboden wieder aufzutnagen, läßt erkennen, daß die Kläger von vornherein die Grundstücke auch nach Abschluß der Kiesausbeute der eigenen landwirtschaftlichen Nutzung erhalten wollten. Während des Kiesabbaus war eine Nutzung dieser Art durch den Abschluß des Pachtvertrages weitgehend sichergestellt.
Den Vertragspartnern kam es danach, was sich auch aus der Vereinbarung eines unbedeutenden Rückkaufspreises ergibt, nicht so sehr auf die Übereignung der Grundstücke an. Der wirtschaftliche Gehalt der vertraglichen Regelung stellt sich dem Senat vielmehr als die zeitliche Überlassung von Grundstücken zur Kiesausbeute gegen Entgelt dar. Rechtsverhältnisse dieser Art behandelt der BFH in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich als Pachtverträge (vgl. Urteile vom 2. März 1966 VI 161/65, BFHE 86, 128, BStBl III 1966, 364; vom 12. Dezember 1969 VI R 197/67, BFHE 97, 542, BStBl II 1970, 210; vom 12. Januar 1972 I R 220/69, BFHE 104, 553, BStBl II 1972, 433, und vom 5. Juni 1973 VIII R 118/70, BFHE 109, 513, BStBl II 1973, 702). Im Urteil vom 30. Oktober 1967 VI 331/64 (BFHE 90, 215, BStBl II 1968, 30), auf dessen Begründung im einzelnen Bezug genommen wird, hat der VI. Senat des BFH bereits das Entgelt eines Landwirts, der einer Gemeinde für die Dauer der Nutzung einer Quelle das Eigentum an dem Quellengrundstück übertragen hatte, zu den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung gerechnet. Der Senat sieht keine Veranlassung, im vorliegenden Fall von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Daß im Streitfall die Bodensubstanz abgebaut wurde, während sie dort keine Verringerung erfuhr, erlaubt keine andere Beurteilung, weil eine Veränderung des Grundstücks durch Substanzausbeute und selbst eine Ausbeute bis zur Erschöpfung sowohl bürgerlich-rechtlich als auch steuerrechtlich der Annahme eines Pachtverhältnisses nicht entgegenstehen (vgl. Urteile des BGH vom 27. September 1951 I ZR 85/50, Juristenzeitung 1951 S. 790; Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 581 BGB Nr. 2, und vom 7. Februar 1973 VIII ZR 205/71, DB 1973, 1016, Wertpapier-Mitteilungen 1973 S. 386; Soergel-Siebert, Bürgerliches Gesetzbuch, Vorbemerkung 6 vor § 581 und § 581 Anm. 3; BFH-Urteil vom 14. August 1964 VI 8/63, HFR 1965, 59, StRK, Einkommensteuergesetz, § 21, Rechtsspruch 190).
Gegen die Annahme eines Pachtverhältnisses spricht auch nicht die Bemessung des Entgelts nach der Mächtigkeit und der Qualität des Kiesvorkommens. Zwar wird ein Pachtzins in aller Regel unabhängig vom Umfang der Fruchtziehung und von der Qualität der Früchte nach Zeiteinheiten festgesetzt. Doch ist dies nicht zwingend. Der Pachtzins kann von den Vertragsparteien auch nach anderen Gesichtspunkten als dem Zeitablauf bemessen werden (vgl. Soergel-Siebert, a. a. O., § 581 Anm. 18).
Verträge, die die zeitliche Überlassung von Grundstücken zur Substanzausbeute zum Gegenstand haben, können nach der Rechtsprechung des BFH ausnahmsweise als Kaufverträge über die Bodensubstanz behandelt werden, wenn es sich um eine einmalige Lieferung einer festbegrenzten Menge handelt (vgl. BFH-Urteil VI R 197/67). Im Streitfall wurde die abzubauende Menge nicht festgelegt. Eine entscheidende Voraussetzung für die Annahme eines Kaufvertrages ist deshalb nicht gegeben.
Der Senat braucht nicht darüber zu entscheiden, ob die Kläger im Wege der Gegenrüge im Revisionsverfahren als reinem Rechtsverfahren noch zulässigerweise vortragen können, daß die Rückübereignung der Grundstücke nicht zustande kam, weil die Stadt M von ihrem gesetzlichen Vorkaufsrecht Gebrauch machte und die Grundstücke erwarb. Denn selbst wenn dieses Vorbringen noch zulässig wäre, würde es an der steuerlichen Zuordnung der Einnahmen der Kläger nichts ändern können. Die Kläger bringen damit nämlich selbst zum Ausdruck, daß sie das Vertragsverhältnis, so wie es vereinbart war, auch vollziehen wollten, weil die Ausübung des Vorkaufsrechts nur möglich ist, wenn über den belasteten Gegenstand ein Kaufvertrag geschlossen wurde. Wenn die Stadtgemeinde M nach Abschluß des Kaufvertrages, der die Rückübereignung der Grundstücke zum Gegenstand hatte, von ihrem gesetzlichen Vorkaufsrecht Gebrauch machte, liegt dieser Umstand außerhalb der Einflußsphäre der Kläger. Die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Stadtgemeinde erfolgte im Gefolge der wirtschaftlich betrachtet formalen Übereignung der Grundstücke und der gleichzeitigen Vereinbarung des Rückkaufsrechts. Sie ist für die steuerliche Beurteilung deshalb ebenso unbeachtlich wie die Übereignung der Grundstücke und die Vereinbarung des Rückkaufsrechts selbst.
Der Senat braucht wegen des Verbotes der Schlechterstellung auch nicht darüber zu entscheiden, ob das FA für das Streitjahr zu Recht nur den Betrag der Einnahmen ansetzte, der bei einer Verteilung des Gesamtentgelts auf dieses Jahr entfiel, oder ob es von dem in diesem Jahr zugeflossenen Betrag hätte ausgehen müssen.
Da das FG bei der rechtlichen Beurteilung des Vertragsverhältnisses zwischen den Klägern und K. von anderen Grundsätzen ausging, war seine Entscheidung aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden. Nach § 9 Nr. 6 in Verbindung mit § 7 Abs. 4 EStG 1961 können den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung Abschreibungen für Substanzverringerung als Werbungskosten gegenübergestellt werden. Die Vorentscheidung enthält keine Angaben darüber, ob das FA eine Abschreibung für Substanzverringerung zuließ. Es ist auch nicht ersichtlich, wann die Kläger das Kiesvorkommen erworben haben. Das FG wird deshalb bei der erneuten Entscheidung zunächst diesen Zeitpunkt ermitteln und dann den nach § 27 Nr. 2 EStDV 1955 maßgeblichen Hilfswert für die Vornahme der Absetzung für Substanzverringerung feststellen müssen. Wenn das FA eine Abschreibung für Substanzverringerung nocht nicht oder nicht in ausreichender Höhe berücksichtigt hat, wird das FG weiter prüfen müssen, ob eine Verteilung der Einnahmen, wie sie das FA vorgenommen hat, zulässig war, und, wenn es diese Frage verneint, unter Berücksichtigung des Verbots der Schlechterstellung die im Streitjahr zugeflossenen Beträge als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung anzusetzen haben.
Fundstellen
BStBl II 1974, 130 |
BFHE 1974, 43 |