Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwendungen für Fahrten zwischen Zweigstelle und Betriebsstätte als Aufwendungseigenverbrauch, Vereinbarkeit mit EWGRL 388/77
Leitsatz (amtlich)
Unterhält ein Steuerpflichtiger eine Betriebsstätte in engem räumlichen Zusammenhang mit seiner Wohnung, sind seine Aufwendungen für Fahrten von dort zu einer anderen Betriebsstätte als Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte zu werten, wenn nicht durch nach außen erkennbare Umstände die häusliche Privatsphäre zugunsten eines eindeutig betrieblichen Bereichs zurücktritt (Bestätigung der Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6; UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c; EWGRL 388/77 Art. 6 Abs. 2 Buchst. a, Art. 17 Abs. 6
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (Entscheidung vom 07.08.1991; Aktenzeichen IV 1195/90) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt ein Detekteiunternehmen. Er unterhält ein Hauptbüro und daneben eine Zweigstelle in seinem Einfamilienhaus. Dort werden zwei Räume im Obergeschoß, das unabhängig von der abgeschlossenen Wohnung von der Eingangstüre über eine Treppe direkt erreichbar ist, als Zweigstelle des Unternehmens betrieblich genutzt. Sie sind entsprechend ausgestattet. Der Flur im Obergeschoß dient als Warteraum, er führt zudem zu einer weiteren Tür mit der Aufschrift "Privat" und einem Sanitärraum (Dusche, Waschbecken, WC). Auf die Zweigstelle weisen Hinweisschilder am Grundstücks- und Hauseingang hin. In Telefonverzeichnissen und Werbeanzeigen wird neben dem Hauptbüro auf die Zweigstelle hingewiesen. Nach Bekundung des Klägers im Klageverfahren macht die Bürotätigkeit in diesen Räumen "einen Anteil von ca. 45 %" aus. Das Büro in seinem Hause sei etwa 50 Stunden wöchentlich besetzt; es würden dort (monatlich 15 bis 20) Mandanten der Region betreut. In seiner Abwesenheit werde das Büro durch seine Ehefrau oder eine Aushilfskraft besetzt gehalten.
Der Kläger wertete die Fahrten von der Zweigstelle zum Hauptbüro als Fahrten zwischen Betriebsstätten seines Unternehmens. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ging dagegen jeweils von Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte und somit lediglich beschränkt abzugsfähigen Aufwendungen aus und erhöhte die steuerpflichtigen Umsätze in den Streitjahren um entsprechende Beträge für Eigenverbrauch.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 45 veröffentlichtem Urteil statt.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von § 1 Abs.1 Nr.2 Buchst.c des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 i.V.m. § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.6 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt im wesentlichen mit den Gründen der Vorentscheidung, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Gemäß § 1 Abs.1 Nr.2 Buchst.c UStG 1980 liegt der Umsatzsteuer unterliegender Eigenverbrauch vor, wenn ein Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens Aufwendungen tätigt, die unter das Abzugsverbot des § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.1 bis 7 EStG fallen. Dazu zählen gemäß § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.6 EStG u.a. Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte, soweit sie die sich in entsprechender Anwendung von § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 und 5 und Abs.2 EStG ergebenden Beträge übersteigen. In § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG war in den Streitjahren bei Benutzung eines Kraftwagens ein Betrag von 0,36 DM für jeden Kilometer der kürzesten Straßenverbindung vorgesehen.
Unter die Abzugsbeschränkung fallen dagegen nicht Aufwendungen eines Unternehmers für Fahrten von einer Betriebsstätte zu einer anderen. Befindet sich daher eine Betriebsstätte in unmittelbarer räumlicher Nähe zur Wohnung des Steuerpflichtigen, sind die Fahrten von dort zu einer anderen Betriebsstätte von den Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.6 EStG abzugrenzen. Dabei verlangt die mit dieser Vorschrift bezweckte Gleichbehandlung der Fahrtkosten von selbständig und nichtselbständig Tätigen (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31. Mai 1978 I R 69/76, BFHE 125, 381, BStBl II 1978, 564; vom 15. Juli 1986 VIII R 134/83, BFHE 147, 169, BStBl II 1986, 744) eine deutliche Grenzziehung zwischen dem privaten Bereich des Wohnens und der betrieblichen Betätigung. Nach gefestigter Rechtsprechung ist nicht entscheidend auf die jeweiligen baulichen Gegebenheiten abzustellen. Räumlichkeiten, die --wie üblicherweise ein häusliches Arbeitszimmer-- nur einen Teil der Wohnung oder eines Wohnhauses bilden, verdanken --ungeachtet ihrer Lage und Beschaffenheit im Einzelfall-- ihre Qualifikation als "häusliche Arbeitszimmer" der Zugehörigkeit zum Wohnhaus oder zur Wohnung des Steuerpflichtigen und damit zu dessen privatem Bereich. Das Eingebundensein in die Privatsphäre wird durch die betriebliche Nutzung eines Raumes in aller Regel nicht gelöst. Vielmehr erscheint die Wohnung als Ausgangs- und Endpunkt der täglichen Fahrten unabhängig davon, welchen Raum der Steuerpflichtige jeweils unmittelbar vor oder nach der Fahrt aufsucht. Die Fahrten sind daher nicht als "innerbetrieblich" anzusehen (BFH-Urteile vom 7. Dezember 1988 X R 15/87, BFHE 155, 353, BStBl II 1989, 421; vom 19. September 1990 X R 110/88, BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208; vom 26. Mai 1992 IV B 96/91, BFH/NV 1992, 661).
Nach diesen Grundsätzen, denen sich der erkennende Senat anschließt, ist auch im Streitfall davon auszugehen, daß der Kläger seine Fahrten zum Hauptbüro von seiner Wohnung aus antrat.Zwar kann, worauf der Kläger hinweist, eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein, wenn durch nach außen erkennbare Umstände die häusliche Privatsphäre zugunsten eines eindeutig betrieblichen Bereichs zurücktritt (BFH-Urteil in BFHE 155, 353, BStBl II 1989, 421). Entgegen der Vorentscheidung ergeben sich derartige Umstände im Streitfall aber nicht bereits daraus, daß der Kläger nicht lediglich ein Arbeitszimmer, sondern zwei Räume im Obergeschoß verbunden mit einem Flur als betriebliche Zweigstelle nutzte. Unabhängig davon, daß der Flur auch den Zugang zu einem Raum eröffnete, der in seiner Eigenschaft als Gästezimmer zur Privatsphäre des Klägers zählte, bildeten die betrieblich genutzten Räume mit dem Wohnteil eine nicht trennbare bauliche Einheit und begründeten so den Gesamtcharakter des Gebäudes als Wohnhaus des Klägers. Dieser Charakter des Gebäudes wurde auch durch die Außenanlagen (Kundenparkplätze und Hundezwinger) und die vorgenommene Beschilderung nicht verändert. Daß in der Zweigstelle Mandantenbesuche stattfanden, spricht lediglich für die betriebliche Nutzung der betreffenden Räume.
Die Vorentscheidung, die auf abweichenden rechtlichen Erwägungen beruht, war aufzuheben. Die durch die Fahrten des Klägers verursachten Aufwendungen sind nur beschränkt abzugsfähig. Die nicht abzugsfähigen Aufwendungen stellen Eigenverbrauch dar.
2. Die Sache ist spruchreif. Weitere Feststellungen zur Bemessung des im Streitfall der Umsatzsteuer unterliegenden Eigenverbrauchs sind nicht geboten. Der Eigenverbrauchstatbestand des § 1 Abs.1 Nr.2 Buchst.c UStG 1980 (sog. Aufwendungseigenverbrauch) unterfällt --auch im Falle der Benutzung eines Kraftfahrzeugs-- nicht dem Tatbestand der Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstandes für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke (sog. Verwendungseigenverbrauch) i.S. des Art.6 Abs.2 Buchst.a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage (77/388/EWG) --6.Richtlinie-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1977 L 145 S.1). Dessen Besteuerung wäre ausgeschlossen, wenn der Erwerb des Gegenstandes nicht zum vollen oder teilweisen Abzug der Vorsteuer berechtigt, oder soweit seine Verwendung Dienstleistungen umfaßt hätte, die der Steuerpflichtige von Dritten zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstandes ohne die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften -- EuGH-- vom 25. Mai 1993 Rs.C-193/91, BStBl II 1993, 812). Demgegenüber umfaßt der Aufwendungseigenverbrauch, der in der 6.Richtlinie keine eigene Regelung gefunden hat, dem Grunde nach betrieblich veranlaßte Aufwendungen, die allerdings im Rahmen der Gewinnermittlung nicht abzugsfähig sind, soweit sie die vorgegebenen Beträge übersteigen. Der Senat hält daher eine Verknüpfung zwischen der Umsatzbesteuerung des Aufwendungseigenverbrauchs und der Berechtigung zum Vorsteuerabzug derzeit nicht für gegeben. Nach Art.17 Abs.6 der 6.Richtlinie können die Mitgliedstaaten bis zum Inkrafttreten einheitlicher Bestimmungen, die festlegen, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist, alle Ausschlüsse beibehalten, die in ihren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie bestehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind. Dazu zählt auch die Vorschrift des § 1 Abs.1 Nr.2 Buchst.c UStG 1980. Auf den Vorlagebeschluß des FG Berlin vom 3. Dezember 1991 VII 396/88 (Umsatzsteuer-Rundschau 1992, 214) wird nach Kenntnis des Senats eine Entscheidung des EuGH nicht ergehen, da sich das FG-Klageverfahren erledigt hat.
Die Klage ist somit abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 65350 |
BFH/NV 1994, 50 |
BStBl II 1994, 468 |
BFHE 174, 65 |
BFHE 1995, 65 |
BB 1994, 1614 |
BB 1994, 1614-1615 (LT) |
BB 1994, 999 |
DB 1994, 1271 (L) |
DStR 1994, 1146-1147 (KT) |
DStZ 1994, 630-631 (LT) |
HFR 1994, 398-399 (LT) |
StE 1994, 294 (K) |