Prof. Dr. Jens Poll, Ingrid Kalisch
A. Grundlegendes
I. Systematischer Zusammenhang
Rn. 1
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Die §§ 71 bis 71e AktG regeln den (Rück-)Erwerb und Besitz eigener Aktien durch eine AG, KGaA bzw. SE. Systematisch handelt es sich um ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Dies bedeutet, dass der Erwerb eigener Aktien grds. unzulässig ist; vielmehr ist der Erwerb lediglich in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen gestattet (vgl. auch Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 1; Schander, ZIP 1998, S. 2087ff.).
Rn. 2
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Die Zahlung des Erwerbspreises beim (Rück-)Erwerb eigener Aktien ist grds. eine verbotene Einlagenrückgewähr i. S. d. § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG, weil er an die Aktionäre gezahlt wird und die Leistung nicht aus dem Bilanzgewinn erfolgt (vgl. Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 1). Dies ergibt sich mittelbar auch aus § 57 Abs. 1 Satz 2 AktG (vgl. Thiel, DB 1998, S. 1583ff.).
Rn. 3
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Eine Ausnahme vom Verbot der Einlagenrückgewähr ist nach § 57 Abs. 1 Satz 2 AktG die Zahlung des Erwerbspreises beim ausnahmsweise zulässigen Erwerb eigener Aktien. Ausnahmsweise zulässig ist der Erwerb eigener Aktien unter den Voraussetzungen des § 71 AktG. Die verschiedenen Fallgestaltungen zulässigen Erwerbs eigener Aktien sind in § 71 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 AktG abschließend aufgeführt. Es handelt sich um eine zwingende Regelung i. S. d. § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG. Im Hinblick auf den weiten Rahmen des § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG wird das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt allerdings wesentlich gelockert.
Rn. 4
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Zulässigkeitsschranken in Abhängigkeit vom Erwerbstatbestand sind in § 71 Abs. 2 AktG errichtet. Durch § 71 Abs. 3 AktG werden einer AG, KGaA bzw. SE darüber hinaus zusätzliche Verhaltenspflichten auferlegt. § 71 Abs. 4 AktG regelt die Rechtsfolgen von Verbotsverstößen. Aus eigenen Aktien stehen der Gesellschaft gemäß § 71b AktG weder Stimmrecht noch Dividende zu. Für Umgehungsgeschäfte gilt § 71a AktG und für den Erwerb eigener Aktien durch Dritte § 71d AktG. § 71e AktG stellt die Inpfandnahme eigener Aktien dem Erwerb gleich.
II. Hintergrund und Zweck der Ausgestaltung der §§ 71ff. AktG
Rn. 5
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Bei den §§ 71 bis 71e AktG handelt es sich um ein Verbot mit volumenmäßig begrenzten Ausnahmefällen.
1. Ziel eines grundsätzlichen Erwerbsverbots
Rn. 6
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Das grds. Verbot des Erwerbs eigener Aktien dient dem Gläubigerschutz durch Sicherstellung der Kap.-Erhaltung zur Sicherung der Haftungsbasis und der Kap.-Aufbringung bei nicht voll eingezahlten Einlagen (vgl. Günther/Muche/White, RIW 1998, S. 337 (339); MünchKomm. AktG (2024), § 71, Rn. 18ff.; Spickhoff, BB 1997, S. 2593 (2595)).
Rn. 7
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Die uneingeschränkte Zulässigkeit des Erwerbs und Besitzes eigener Aktien beinhaltet die Gefahr der bloßen Kurspflege, von rein spekulativen und für das UN unproduktiven Käufen. Sie birgt zudem die Gefahr des Fehlens unkritischer Distanz gegenüber dem Wert und den Chancen des eigenen UN in sich; die Gefahr kann auf Dritte ausstrahlen, die einem möglicherweise zu Unrecht gebildeten Kurs an der Börse vertrauen (vgl. Spickhoff, BB 1997, S. 2593; ferner Saria, NZG 2000, S. 458ff.).
Rn. 8
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Die Kompetenzverteilung zwischen geschäftsführendem Organ und HV würde gestört (vgl. Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 1), wenn der Vorstand einer AG respektive (dualistisch strukturierten) SE (bei monistischer Leitungsstruktur: der Verwaltungsrat in Gestalt der geschäftsführenden Direktoren i. S. d. § 40 SEAG; bei einer KGaA: der Komplementär bzw. die Komplementäre als Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan) mit dem Erwerb eigener Aktien Mitgliedschaftsrechte in der HV erhielte. Durch § 71b AktG werden deshalb alle mitgliedschaftlichen Rechte, wie das Stimmrecht und der Anspruch auf Dividendenausschüttung, aus dem Besitz eigener Aktien ausgeschlossen (vgl. Günther/Muche/White, RIW 1998, S. 337 (339); Spickhoff, BB 1997, S. 2595).
Rn. 9
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Bei dem entgeltlichen Erwerb einzelner eigener Aktien werden nur einzelne Gesellschafter unter "Abfindung" durch den Preis aus dem mitgliedschaftlichen Risiko entlassen. Diese Möglichkeit muss allen Aktionären offenstehen, auch damit verhindert wird, dass die UN-Verwaltung auf die Anteilseignerstruktur steuernd einwirken kann. Das Erfordernis der Gleichbehandlung aller Aktionäre ist in § 53a AktG ausdrücklich gesetzlich geregelt, der auch auf den Erwerb eigener Aktien Anwendung findet (vgl. Claussen, DB 1998, S. 177 (179); Günther/Muche/White, RIW 1998, S. 337). Für den Rückerwerb zu sonstigen Zwecken ist dies in § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG ausdrücklich gesetzlich geregelt. Nach dem Sinn und Zweck sowohl der Ausnahmen in § 71 AktG als auch des Gleichbehandlungsgrundsatzes gemäß § 53a AktG ist die Gleichbehandlung jedoch in allen Fällen des entgeltlichen Erwerbs zu beachten.
2. Vorteile einer Erwerbsmöglichkeit
Rn. 10
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Andererseits ist der Erwerb eigener Aktien eine unkomplizierte Form der Verteilung von Gesellschaftsvermögen an Gesellschafter. Insiderkenntnisse werden verwertet, kommen aber wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes des § 53a AktG allen zug...