Tz. 49
Einher geht diese Internationalisierung mit einer ganz generellen Verschärfung der Anforderungen an die Bilanzierung. Der Aufwand für die Unternehmen wächst stetig. Das hat seine Ursache vor allem darin, dass die IFRS ebenso wie die europäische Harmonisierung zum Gegenstand oder doch Ausgangspunkt ihrer Überlegungen regelmäßig die börsennotierte Aktiengesellschaft machen (Schlagwort: "Think big first"), ein Befund, der gerade dem deutschen Bilanzrecht vor der Reform der achtziger Jahre keineswegs fremd ist. Das Bilanzrecht der börsennotierten Aktiengesellschaft ist besonders anspruchsvoll. Vieles, was im Bilanzrecht der börsennotierten Aktiengesellschaft dazu dient, die spezifischen Informationsbedürfnisse des Kapitalmarkts zu befriedigen, läuft bei anderen Gesellschaften ins Leere. Gleichzeitig ist deutlich geworden, dass kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU), die nicht börsennotiert sind bzw. in einer anderen Unternehmensträgerform als der Aktiengesellschaft geführt werden (GmbH, Personenhandelsgesellschaften etc.), durch dieses Bilanzrecht regelmäßig überfordert werden. Die Einsicht in diesen Befund hat zu einem weiteren Charakteristikum der Bilanzrechtsentwicklung geführt: Der zunehmenden Differenzierung nach Organisationsgrad (Kaufleute, Kapitalgesellschaften, Konzerne), Größenklassen und Branchen (Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute, Versicherungsunternehmen, Pensionsfonds, rohstoff- und holzverarbeitende Industrie). Auch das IASB hat mit dem Projekt der IFRS for SME (small and medium size enterprises) Bemühungen in diese Richtung unternommen. Und ganz generell ist die EU Kommission zunehmend darum bemüht, kleine und mittlere Unternehmen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (proportionality) stärker in den Fokus der Bilanzrechtsharmonisierung zu nehmen ("Think small first", Vorfahrt für KMU). Diese Entwicklung setzt sich im Bereich der Publizität fort: Nach jahrzehntelangem schrittweisen Ausbau der Offenlegungspflichten ist mit der Aufhebung der Pflicht zur Quartalsberichterstattung erstmals ein behutsamer Rückbau vorgenommen worden. Damit ist gewiß kein grundlegender Paradigmenwechsel eingeleitet, jedoch zeigt sich, dass die EU ebenso wie etwa der US-amerikanische Bundesgesetzgeber das Publizitätskonzept differenzierter als früher bewertet und Vor- und Nachteile von Publizitätspflichten stärker gegeneinander abwägt. Nicht zu übersehen ist, dass mit dieser zunehmenden Ausdifferenzierung die Rechnungslegung wiederum weniger übersichtlich und rechtssicher wird. Bereits jetzt ist von einer Inflation der Größenklassen die Rede.
Tz. 50
Und auch im Bereich der Abschlussprüfung vollzieht sich diese Differenzierung: Prüfungspflichtig sind nur Kapitalgesellschaften. Hinzu kommt seit der Reform der Abschlussprüfung durch die EU-Abschlussprüfungsverordnung von 2013 die Unterscheidung zwischen den public interest entities, die spezifischen Anforderungen unterliegen, und den sonstigen Unternehmen.