Dr. Falk Mylich, Prof. Dr. Heribert Anzinger
Tz. 192
Gem. § 268 Abs. 3 HGB ist auf der Aktivseite am Schluss der Bilanz ein gesonderter Posten "Nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag" auszuweisen, wenn das Eigenkapital durch Verluste aufgebraucht ist. Dabei handelt es sich um einen bloßen Korrekturposten, der notwendig ist, weil auf der Passivseite kein negativer Eigenkapitalbetrag ausgewiesen werden darf, aber gleichwohl das Zahlenergebnis auf der Aktivseite dem der Passivseite entsprechen muss.
Tz. 193
Deckt das Aktivvermögen sowohl Rückstellungen und Verbindlichkeiten als auch passive Rechnungsabgrenzungsposten und passive latente Steuern, deckt es aber nicht mehr die genannten Posten und das gezeichnete Kapital, liegt eine Unterbilanz vor. § 30 GmbHG verbietet Ausschüttungen an die Gesellschafter. Weil in dieser Situation keine Gewinnrücklagen mehr aufgelöst werden können, ist auch die Ausschüttung eines Bilanzgewinns für § 58 Abs. 4 AktG denklogisch unmöglich. Bereits an das Vorliegen einer Unterbilanz sind über das Ausschüttungsverbot hinaus vielfältige Konsequenzen geknüpft, wie z. B. die Unzulässigkeit einer nominellen Kapitalerhöhung (§ 57d GmbHG, § 208 AktG). Eine derartige Unterbilanz wird dadurch angezeigt, dass die aufgelaufenen Verluste als Verlustvortrag vom Eigenkapital abgezogen werden. Das gelingt jedoch nur bis zur Höhe des Eigenkapitals. Ist der aufgelaufene Verlust höher als das Eigenkapital (wenn das Aktivvermögen gerade nicht mehr die Rückstellungen, Verbindlichkeiten, passive RAPs und passive latente Steuern abdeckt), muss der Verlustbetrag auf der Aktivseite durch einen Korrekturposten angesetzt werden, soweit er höher als das Eigenkapital ist ("nicht durch Eigenkapital gedeckt").
Tz. 194
Wird von § 268 Abs. 3 HGB Gebrauch gemacht, spricht man von bilanzieller Überschuldung. Diese unterscheidet sich evident von der tatsächlichen Überschuldung im Sinne von § 19 InsO. Die bilanzielle Überschuldung hat wenig mit der tatsächlichen Überschuldung zu tun. Die buchmäßige Überschuldung ist jedoch ein Indiz für eine tatsächliche Überschuldung, sodass ein GmbH-Geschäftsführer bzw. AG-Vorstand den tatsächlichen Vermögensstand gut dokumentieren muss, um sich nicht später dem Vorwurf der Insolvenzverschleppung und einer Haftung aus § 64 Satz 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG oder § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO auszusetzen. Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag hat somit eine insolvenzbezogene Warnfunktion. Grundsätzlich muss der Posten § 268 Abs. 3 HGB nicht im Anhang erörtert werden, jedoch hält die ganz h. M. eine Erläuterung für zweckmäßig. Zu weitgehend ist es aber, wenn stets eine Erörterung im Anhang verlangt wird, warum die bilanzielle Überschuldung nicht zu einer tatsächlichen Überschuldung führt. Gläubiger werden durch den Ausweis eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags gewarnt sein, sodass die Anhangserläuterung eher beschönigend wirken wird. Andererseits braucht nur wegen eines Postens gem. § 268 Abs. 3 HGB nicht die Fortführungsprognose in Frage gestellt werden. Auch ist der Geschäftsleiter nicht berechtigt, unter Verweis auf § 64 Satz 3 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG, § 130a Abs. 1 Satz 3 HGB wegen eines Postens gem. § 268 Abs. 3 HGB pauschal Zahlungen an die Gesellschafter (z. B. Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens) zu verweigern. Vielmehr muss er auch in dieser Konstellation plausibel begründen, dass die Zahlung zur Zahlungsunfähigkeit innerhalb des nächsten Jahres führen kann.
Tz. 195
Bei einer bilanziellen Überschuldung wird den Gläubigern signalisiert, dass das Vermögen zu seinen Bilanzwerten die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Nunmehr können die Gläubiger nur noch spekulieren, in welchem Umfang stille Reserven vorhanden sind, um die Deckungslücke aufzufangen. Sie müssen darauf vertrauen, dass die Geschäftsleitung sorgfältig das Vermögen ermittelt, um zeitig genug einen Insolvenzantrag zu stellen. Unzulässig ist ein (pauschaler) Rückgriff auf § 252 Abs. 2 HGB, um durch eine Neubewertung des Vermögens die bilanzielle Überschuldung zu beseitigen.
Tz. 196
Ausstehende Einlagen auf das gezeichnete Kapital sind seit dem BilMoG vom Kapital abzusetzen, bis sie eingefordert werden (§ 272 Abs. 1 Satz 3 HGB; vgl. Kapitel 7 Tz. 15 ff.). Stehen noch Einlagen aus, gelangt man tendenziell schneller zu einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag, weil der entsprechende Betrag des gezeichneten Kapitals gerade nicht zur Verrechnung bereitsteht. Schneller als nach der bis zum BilMoG geltenden Rechtslage entsteht ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag nach dem Erwerb eigener Anteile. Die eigenen Anteile waren nach alter Rechtslage zu aktivieren und fortlaufend zu bewerten. Hingegen sind Anteile an einem herrschenden oder mit Mehrheit beteiligten Unternehmen nach wie vor anzusetzen und korrespondieren mit einer entsprechenden Rücklage (§ 272 Abs. 4 HGB). Dadurch wird ein höheres Eigenkapital ausgewiesen, sodass ein nicht durch Eigenka...