Dr. Falk Mylich, Dr. Thilo Schülke
Tz. 45
Ein Bilanzierungsfehler führt nur dann zu Konsequenzen, wenn er wesentlich ist. Es handelt sich dabei wohl nicht um ein Merkmal der Fehlerdefinition, sondern es geht um die Frage, wann eine Fehlerfolge ausgelöst wird. Woraus der Grundsatz der Wesentlichkeit im Zusammenhang mit fehlerhaften Bilanzen als rechtliches Prinzip deduziert wird, ist nicht eindeutig:
- Es gibt einen Grundsatz der Wesentlichkeit im Zusammenhang mit dem Ansatz und der Bewertung von Vermögensgegenständen (vgl. Kapitel 5 Tz. 20 ff. und vgl. Kapitel 6 Tz. 51).
- Ferner ist der Grundsatz der Wesentlichkeit auf Ebene der Abschlussprüfung verankert, er ergibt sich aus § 317 Abs. 1 Satz 3 HGB, wonach die Prüfung so anzulegen ist, dass Verstöße erkannt werden, die sich auf die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage wesentlich auswirken.
- Schließlich bestimmt § 256 Abs. 4 AktG, dass ein Jahresabschluss wegen Verstoßes gegen Gliederungsvorschriften nur dann nichtig ist, wenn dadurch seine Klarheit und Übersichtlichkeit wesentlich beeinträchtigt wird. Obwohl das Merkmal der Wesentlichkeit insoweit ausdrücklich nur für Gliederungsverstöße gilt, ist es nach ganz überwiegender Ansicht auch für alle anderen Nichtigkeitsgründe gem. § 256 AktG heranzuziehen; denn Zweck des § 256 AktG ist es, die Fehlerfolgen von Bilanzierungsfehlern zu begrenzen.
Tz. 46
Die Frage, ob das Kriterium der Wesentlichkeit bereits zur Definition des Fehlerbegriffs zu zählen ist, hat nicht allein akademische Relevanz. Denn Praxis und Lehre erkennen die Möglichkeit von Bilanzierungsfehlern auch unterhalb der Nichtigkeitsschwelle des § 256 AktG an. In Anlehnung an § 4 Abs. 2 EStG wird im Hinblick auf die Möglichkeit einer späteren Änderung von Jahresabschlüssen danach unterschieden, ob der Jahresabschluss fehlerhaft war oder nicht. Dabei soll ein Fehler aber nicht nur dann vorliegen, wenn die Bilanz nichtig ist, sondern eine Änderung – im Falle der Fehlerhaftigkeit bezeichnet als Berichtigung – auch dann erfolgen dürfen, wenn der Abschluss nicht gem. § 256 AktG nichtig ist. Die Änderung fehlerfreier Abschlüsse soll aber nur dann in Betracht kommen, wenn gewichtige rechtliche, wirtschaftliche oder steuerliche Gründe vorliegen.
Tz. 47
Sofern ausschließlich die Erwähnung in § 256 AktG dazu führt, dass es auf die Wesentlichkeit des Bilanzierungsfehlers ankommt, so würde dies bedeuten, dass Fehler unterhalb der Nichtigkeitsschwelle stets beachtlich sind. Danach würde ein fehlerhafter Abschluss immer dann vorliegen, wenn die Voraussetzungen des subjektiven Fehlerbegriffs vorliegen. Das Wesentlichkeitskriterium wäre allein für die Frage der Nichtigkeit von Bedeutung. Insofern wird jedoch seitens des IDW für eine weitere Schwelle plädiert, bevor ein fehlerhafter Jahresabschluss vorliegen soll, der auch zur Berichtigung berechtigt: Der Fehler müsse "betrags- oder ausweismäßig von einigem Gewicht" sein. Inwiefern sich dieses Kriterium von dem der Wesentlichkeit unterscheidet, erscheint offen.
Tz. 48
Versuche, das Kriterium der Wesentlich zu konkretisieren, sind weitgehend gescheitert. Entscheidend ist – insoweit besteht noch Einigkeit – ob infolge der Korrektur des Fehlers eine Veränderung des Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eintritt. Für die Beurteilung, wann eine Überbewertung wesentlich ist, wird auf unterschiedliche Kriterien zurückgegriffen. Das IDW stellt – allerdings bezogen auf die Abschlussprüfung – darauf ab, ob eine Darstellung im Jahresabschluss die wirtschaftlichen Entscheidungen der Rechnungslegungsadressaten beeinflusst. Das Konzept der Wesentlichkeit könne sich sowohl quantitativ in einem Grenzwert als auch qualitativ in einer Eigenschaft ausdrücken, wenn jeweils die Eignung zur angesprochenen Entscheidungsbeeinflussung besteht.
Tz. 49
Teilweise wird der Versuch einer quantitativen Wertbestimmung vorgenommen und dazu auf eine Veränderung der Bilanzsumme abgestellt.
- Als nicht wesentlich betrachtet wird dabei eine Veränderung in einer Größenordnung von weniger als 1 % der Bilanzsumme.
- Jedenfalls bei einer Veränderung von 5 % oder mehr sei nach teilweise vertretener Ansicht in der Regel von Wesentlichkeit auszugehen.
Als weiteres Kriterium der Wesentlichkeit wird die Veränderung des Jahresüberschusses bzw. des Jahresfehlbetrags angesehen. Zahlen werden meist nicht genannt. Folgende Auffassungen werden vertreten:
- Wesentlichkeit wurde verneint bei einer Veränderung von 1,76 %.
- Auch eine Veränderung des Ergebnisses unterhalb von 10 % wird als nicht wesentlich eingestuft.
- Hingegen wird eine Veränderung von mehr als 50 % stets als wesentlich eingestuft.
- Das LG Frankfurt lehnte Wesentlichkeit bei einer gleichzeitigen Abweichung beim Gewinn von 22 % und bei der Bilanzsumme von 1 % ab. In der Literatur ist dies auf Kritik gestoßen. Bei einer Abweichung beim Gewinn in Höhe von 22 % sei Wesentlichkeit eindeutig zu bejahen.
- Ebenso wird vertreten, dass Wesentlichkeit auch dann zu bejahen ist, wenn sich e...