Tz. 55
Zur Buchführungspflicht eines jeden Kaufmanns gehört die Inventarpflicht. Konsequent gilt die durch BilMoG eingeführte Befreiung des § 241a HGB für "kleine" Kaufleute auch hier. Inventar ist das genaue Verzeichnis aller Vermögensgegenstände und Schulden mit Angabe ihrer Werte (Abs. 1). Das Gesetz spricht vom Anfangs- oder Eröffnungsinventar, das zu Beginn des Handelsgewerbes, das heißt zu Beginn der Buchführungspflicht (vgl. Tz. 30) aufzustellen ist und die Grundlage der Eröffnungsbilanz (vgl. Tz. 99) bildet. Abs. 2 regelt das Inventar zum Schluss des Geschäftsjahrs.
Tz. 56
Die Inventur ist der Vorgang der Aufstellung des Inventars. Sie verlangt herkömmlich bei körperlichen Gegenständen (Sachen, Urkunden) eine physische Bestandsaufnahme am Stichtag (Stichtagsinventur). Diese Anforderung ist auch bei noch stichtagsbezogener Bestandsaufnahme, in der Regel bis zu zehn Tage vorher oder nachher, erfüllt (sog. ausgeweitete Stichtagsinventur). Dies gilt entsprechend im Steuerrecht. Maßgeblich sind die Grundsätze ordnungsmäßiger Inventur (GoI), die Teil der GoB sind, insbesondere der Grundsatz der Klarheit, der Wahrheit, der Vollständigkeit (vgl. Kapitel 4 Tz. 139 f.) und im Ausgangspunkt die Grundsätze der Einzelerfassung und -bewertung. Allerdings bringen die Abs. 3 und 4 sowie § 241 HGB bestimmte Erleichterungen von der Pflicht zur körperlichen Einzelbestandsaufnahme am Stichtag (vgl. Tz. 75 ff.).
Tz. 57
Der handelsrechtliche Begriff des Vermögensgegenstands ist mit dem steuerrechtlichen des Wirtschaftsguts identisch. Der Begriff umfasst nach HGB grundsätzlich nur Gegenstände der Aktivseite; passive Vermögensgegenstände werden deshalb in der Regel als Schulden oder Verbindlichkeiten bezeichnet. Vermögensgegenstände sind nur solche Vermögenswerte, die selbstständig bewertet werden können und selbständig verkehrsfähig sind. Daran fehlt es etwa bei steuerlichen Verlustvorträgen. Ebenso wenig Vermögensgegenstand in diesem Sinne sind der Geschäfts- oder Firmenwert, der aber vom Gesetzgeber als solcher behandelt wird (siehe § 246 Abs. 1 Satz 4 HGB). Als Vermögensgegenstand ist auch die Nutzungsmöglichkeit als immaterielles Wirtschaftsgut zu qualifizieren, auch wenn diese Nutzungsmöglichkeit nur schuldrechtlich und nicht dinglich begründet ist.
Tz. 58
Zu inventarisieren (d. h. inventarpflichtig ) sind grundsätzlich alle Vermögensgegenstände und Schulden. Es gilt der sogenannte Vollständigkeitsgrundsatz. Nicht zu inventarisieren sind Aktivposten, die keine Vermögensgegenstände sind, etwa Rechnungsabgrenzungsposten (§ 250 HGB), nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge (§ 268 Abs. 3 HGB), latente Steuern (§ 274 Abs. 1 HGB), ferner der Geschäfts- oder Firmenwert (§ 246 Abs. 1 Satz 4 HGB) sowie Passivposten, die keine Schulden sind, z. B. Gewährleistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden (§ 249 Abs. 1 Satz 2 Nr. HGB); Schulden sind sowohl Verbindlichkeiten als auch Rückstellungen. Zur Bilanzierungspflicht vgl. § 242 HGB und vgl. Tz. 93 ff.) Hinsichtlich nicht entgeltlich erworbener immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens besteht nach § 248 HGB ein Aktivierungswahlrecht, zugleich aber eine Inventarisierungspflicht unabhängig von der Ausübung des Wahlrechts. Da das Inventar dem Vollständigkeitsgebot unterliegt (§ 246 Abs. 1 HGB), weshalb in ihm sämtliche Vermögensgegenstände des Anlagevermögens aufzuführen sind, sind auch bereits abgeschriebene Vermögensgegenstände aufzunehmen, und zwar mit einem Erinnerungswert von einem Euro.
Tz. 59
Für die eigentliche Inventurtechnik wird nach der Art der Bilanzposten differenziert. Üblicherweise unterscheidet man die Beleg- oder Buchinventur, die Vertragsinventur und die körperliche Bestandsaufnahme im Wege des Zählens, Messens und Wiegens.
Tz. 60
Eine Beleginventur ist insbesondere bei Bankkonten, Wertpapierdepots anhand der Kontoauszüge und anhand sonstiger Bankbestätigungen vorzunehmen. Hingegen ist im Kunden- und Lieferantengeschäft eine Buchinventur vorzunehmen. Dazu wird im Wege der elektronischen Datenerfassung und -verarbeitung täglich der Bestand an Forderungen und Verbindlichkeiten in Form der sogenannten offenen Posten bereitgestellt. Eine körperliche Bestandsaufnahme in Gestalt des Zählens, Messen oder Wiegens findet vor allem im Bereich des Vorratsvermögens, also der Rohmaterialien, der Handelswaren sowie der fertigen wie auch der unfertigen Erzeugnisse statt. Ist bei körperlichen Gegenständen eine Inventarisierung ausnahmsweise nicht möglich, dann darf auf die Buchinventur zurückgegriffen werden.
BEISPIEL
Bauunternehmer X erstellt Wohnhäuser. Bei der Inventur ist eine körperliche Bestandsaufnahme durch Besichtigung der Baustellen praktisch nicht möglich. Die körperliche Bestandsaufnahme kann hier nur ermitteln, dass überhaupt gebaut wurde. In diesem Falle ist für den Zweck der Inventur nur eine bewertete Bestandsaufnahme auf der Grundlage der Betriebsbuchhaltung unter Auswertung der Baustell...