Dr. Falk Mylich, Prof. Dr. Christian Fink
Tz. 194
Als fünfte Bedingung für den Eigenkapitalausweis kündbarer Instrumente legt IAS 32.16A(e) fest, dass die Summe der erwarteten Cashflows (total expected cash flows) aus dem Instrument über seine Laufzeit "substanziell" (substantially) von den folgenden Größen abzuhängen hat:
- Den über die Laufzeit des Instruments erzielten Gewinnen oder Verlusten,
- den in diesem Zeitraum entstandenen Veränderungen des bilanziellen Nettovermögens (Buchwerte) oder
- den in diesem Zeitraum entstandenen Veränderungen des beizulegenden Zeitwerts des (bilanziellen und außerbilanziellen) Nettovermögens, d. h. dem Unternehmenswert.
Eine Definition dessen, was unter "substanziell" zu verstehen ist, liefert IAS 32 nicht. RIC 3.26 f. legt hierfür jedoch eine Bandbreite fest, die die Wesentlichkeitsgrenze zwar bei deutlich mehr als 50 % sieht, einen Schwellenwert von 90 % jedoch als zu hoch erachtet.
BEISPIEL
Ein Unternehmen weist in seinem Konzernabschluss nach IFRS ein Eigenkapital von 50 Mio. EUR aus, der beizulegende Zeitwert der Anteile beläuft sich auf 70 Mio. EUR. Laut Satzung wird ein kündigender Gesellschafter mit 50 % des beizulegenden Zeitwerts der Anteile abgefunden. Dies entspräche einem Betrag von 35 Mio. EUR.
Die Abfindung liegt, obwohl unterhalb des Buchwerts des Eigenkapitals, in einer Bandbreite, die eine "substanzielle" Teilhabe an der buchhalterischen Performance nach IFRS noch rechtfertigt.
Tz. 195
Bei der Beurteilung dieser Regelungen kommt den gesellschaftsvertraglichen Abfindungsregelungen eine besondere Bedeutung zu, da diese einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Teilhabe des Instruments am Unternehmenserfolg haben. Eine Abfindung unterhalb des anteiligen Buchwerts am Nettovermögen der Gesellschaft ist i. d. R. sittenwidrig.
Unzweifelhaft unschädlich für den Eigenkapitalausweis ist eine Abfindung zum Verkehrswert gem. § 738 HGB, da damit die Teilhabe an den Veränderungen des beizulegenden Zeitwerts des Nettovermögens (ökonomische Entwicklung des Unternehmens) gewährleistet ist. Selbiges gilt für gesellschaftsvertraglich vereinbarte Abfindungen zum anteiligen Unternehmenswert (RIC 3.34). Zwischenzeitliche Ausschüttungen, ungeachtet ihrer Höhe oder Ermittlung, verringern den Unternehmenswert, so dass die Kombination aus laufenden Ausschüttungen und anteiligem Unternehmenswert die ökonomische Entwicklung genau widerspiegelt (RIC 3.37).
Ebenfalls unproblematisch erweisen sich Buchwertklauseln, die sich auf das nach den Regelungen der IFRS ermittelte Nettovermögen beziehen. IAS 32.AG14E sieht darin – i. V. m. einer Teilhabe am IFRS-konform ermittelten Ergebnis – eine exakte Teilhabe am buchmäßigen Unternehmenserfolg.
Tz. 196
Nicht so einfach zu begründen ist die Unschädlichkeit einer Buchwertklausel, die sich auf das nach den Regelungen des HGB ermittelte Nettovermögen bezieht. Dabei kann sich zwischen dem vertraglichen Abfindungsanspruch und dem tatsächlichen Wert des Instruments über die Zeit ein nicht unwesentlicher Unterschied aufbauen. Da dem Gesellschafter gesetzlich jedoch einen Anspruch auf eine angemessene Abfindung (Interessenausgleich) garantiert ist und sich die BGH-Rechtsprechung im Falle eines Rechtsstreits für eine Anpassung des Abfindungsanspruchs ausspricht (ergänzende Vertragsauslegung), stellt der entsprechende Abfindungsanspruch regelmäßig einen Zwischenwert zwischen Buch- und Verkehrswert dar. Unter Berücksichtigung der laufenden Ausschüttungen nähert sich damit auch dieser Abfindungsanspruch der ökonomischen Entwicklung des Unternehmens an. Somit sollte eine substanzielle Teilhabe an der ökonomischen Entwicklung des Unternehmens – deutlich größer als 50 % (vgl. Tz. 194) – und damit auch die Möglichkeit des Eigenkapitalausweises im Regelfall gegeben sein. Analog kann auch hinsichtlich einer Abfindung nach dem Stuttgarter Verfahren argumentiert werden.