Nachzahlungszinsen ab 2015 verfassungswidrig

Für Steuernachzahlungen an das Finanzamt werden nach Ablauf der vom Gesetzgeber normierten Zeit Nachzahlungszinsen fällig. Diese werden mit einem Zinssatz von 6 % berechnet. Der Bundesfinanzhof hat nun hinsichtlich des Prozentsatzes verfassungsrechtliche Bedenken geäußert.

Der BFH hat erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken an der Höhe der Nachzahlungszinsen geäußert (BFH, Beschluss v. 25.4.2018, IX B 21/18). Dementsprechend hat er eine Aussetzung der Vollziehung in einem Einspruchsverfahren gegen einen Zinsbescheid gewährt.

Praxis-Hinweis: Steuerpflichtige sollten gegen Zinsfestsetzung Einspruch einlegen

Der Beschluss des BFH stellt für Steuerpflichtige eine erfreuliche Wendung in der Rechtsprechung dar. Bislang wurde von den Finanzgerichten – auch dem BFH –  und der Finanzverwaltung immer die Ansicht vertreten, die Zinshöhe von 6 % pro Jahr sei noch als angemessen anzusehen – obwohl solcherlei Zinssätze am Markt schon seit Jahren nicht mehr erzielt werden können. Dementsprechend nahezu einhellig war denn in der Vergangenheit die an dem Zinssatz geäußerte Kritik. Erfreulicherweise hat der BFH nun seine Ansicht geändert und sieht zumindest ab 2015 erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Zwar handelt es sich bei der jetzt veröffentlichten Entscheidung um eine solche im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, doch wäre es mehr als misslich anzusehen, wenn der BFH seine Rechtsauffassung im Hauptsacheverfahren – also dem Klageverfahren gegen den Zinsbescheid – erneut ändern würde. Gleichwohl ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Steuerpflichtige sollten deshalb in jedem Fall gegen jede Zinsfestsetzung, die zu einer Zinszahlung führt, Einspruch einlegen, um später in jedem Fall noch eine Änderung erreichen zu können, denn die letzte Entscheidung über die Frage der Verfassungswidrigkeit kann nur das Bundesverfassungsgericht treffen. Darüber hinaus ist jetzt dringend der Gesetzgeber zu einer zeitnahen realitätsgerechten Anpassung der Zinshöhe aufgerufen.

Beschwerde gegen Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung

Die Antragsteller waren Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Nach einer steuerlichen Außenprüfung wurde für das Jahr 2009 eine erhebliche Steuernachzahlung festgesetzt. Diese führte auch zu Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO in Höhe von insgesamt 241 TEUR. Gegen den Zinsbescheid legten die Eheleute Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Die AdV wurde sowohl vom Finanzamt als auch vom Finanzgericht abgelehnt, so dass die Antragsteller Beschwerde zum BFH erhoben.

Zinshöhe für Verzinsungszeiträume aus dem Jahr 2015: Es bestehen schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit

Der BFH gab hingegen dem Antrag statt und setzte die Vollziehung des Zinsbescheids in vollem Umfang aus. Nach Ansicht des BFH bestehen im Hinblick auf die Zinshöhe für Verzinsungszeiträume zumindest ab dem Jahr 2015 schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen zur Zinsfestsetzung. Dies ergebe sich vor allem aus der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 des GG verletze. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz nach AO überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe. Eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe bestehe bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht. Insbesondere sei es aufgrund der modernen Datenverarbeitungstechnik für die Finanzverwaltung nicht mehr möglich, Praktikabilitätserwägungen und Verwaltungsvereinfachung gegen eine Anpassung der Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz anzuführen. Für die Höhe des Zinssatzes fehle es an einer Begründung.

Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht bestehe darin, den Nutzungsvorteil, den der Steuerpflichtige dadurch erhalte, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen könne, wenigstens zum Teil abzuschöpfen. Dieses Ziel sei wegen des strukturellen Niedrigzinsniveaus im typischen Fall für den Streitzeitraum nicht erreichbar und trage damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht. Schließlich bestünden überdies schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob der Zinssatz dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Übermaßverbot entspreche.

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