1 Leitsatz
Ob eine Maßnahme als Erhaltungs- (§ 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG) oder Baumaßnahme (§ 20 WEG) zu behandeln ist, bemisst sich nach objektiv-normativen Kriterien.
2 Normenkette
§§ 16, 19, 20 Abs. 1 WEG
3 Das Problem
Die Wohnungseigentümer beschließen, an den Balkonen ein den bauordnungsrechtlichen Anforderungen entsprechendes Geländer anbringen zu lassen und das bestehende Geländer zwecks Beweissicherung zu erhalten. Hintergrund ist, dass die durch den Bauträger angebrachten Balkongeländer bauordnungsrechtlich unzulässig sind, der Bauträger jedoch die Mangelbeseitigung verweigert. Sodann bestimmen die Wohnungseigentümer die Auftragsvergabe. In der Niederschrift heißt es nach dem Stimmergebnis (4 Ja-Stimmen, 2 Nein-Stimmen) in einem Zusatz: "Die mit Nein-stimmenden Parteien werden sich nicht an den Kosten beteiligen. Der Beschluss ist dementsprechend mehrheitlich zu Stande gekommen." Ferner bestimmen die Wohnungseigentümer, die Kosten von 30.236,95 EUR durch eine Sonderumlage zu finanzieren und nach Miteigentumsanteilen aufzubringen, wobei Bezug genommen wird auf eine Kostenaufteilung, "entsprechend den Miteigentumsanteilen der mit Ja-stimmenden Wohnungseigentümer". Gegen diese Beschlüsse wendet sich Wohnungseigentümer K. Er meint, es sei kein Beschluss über eine abweichende Kostenverteilung gefasst worden. Eine solche entspreche auch nicht ordnungsmäßiger Verwaltung. Beim Beschluss zum Auftrag greift K den Zusatz an, wonach die mit Nein stimmenden Wohnungseigentümer sich nicht an den Kosten beteiligen bzw. von der Kostentragung ausgenommen werden. Den Beschluss über die Sonderumlage greift er insoweit an, als dort die Sonderumlagebeträge nur von den mit Ja stimmenden Wohnungseigentümern zu tragen sind. Das AG weist die Klage ab. Es liege eine unzulässige Teilanfechtung vor. Hiergegen richtet sich die Berufung.
4 Die Entscheidung
Das LG meint, ein Beschluss nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG oder § 21 Abs. 5 Satz 1 WEG sei nicht ersichtlich und könne daher nicht angegriffen werden. Der Umlageschlüssel sei nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses mitgeteilt worden. Die Abstimmung habe ihn nicht erfasst. Die Berufung habe hingegen Erfolg, soweit sich K gegen den Beschluss über die Sonderumlage wende. Eine Anfechtung nur des Kostenbeschlusses sei nach der BGH-Rechtsprechung möglich (Hinweis auf BGH, Urteil v. 12.11.2021, V ZR 204/20). Entscheidend sei, ob es sich um getrennte Beschlüsse handele, oder der Beschluss über die Baumaßnahme und die Kostenentscheidung eine untrennbare Einheit darstellten. Im Fall sei bereits durch die Abstimmungsmodalitäten offensichtlich, dass es sich um verschiedene Beschlüsse handele. Die Teil- sei allerdings als Gesamtanfechtung auszulegen. Der Beschluss bilde eine Einheit und könne auch nur einheitlich angefochten werden. Er sei für ungültig zu erklären, weil der Umlageschlüssel nicht ordnungsmäßig sei. Der Umlageschlüssel wäre nur richtig, wenn es sich um eine Gestattung nach § 20 Abs. 1 WEG handele. So liege es aber nicht. Es handele sich um eine Erhaltungsmaßnahme (§ 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG), für die, soweit kein anderer Umlageschlüssel beschlossen oder vereinbart werde, § 16 Abs. 2 Satz 1 WEG anzuwenden sei. Ob eine Erhaltungs- oder eine Baumaßnahme vorliege, bemesse sich dabei nach objektiv-normativen Kriterien und sei nicht davon abhängig, wie die Wohnungseigentümer die entsprechende Maßnahme einordneten. Auch eine ordnungswidrige Erhaltungsmaßnahme "schlage nicht in eine Baumaßnahme um". Dass die Bestandskraft des Erhaltungsbeschlusses zur Folge habe, dass alle Wohnungseigentümer die Kosten zu tragen hätten, sei hinzunehmen.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es vor allem um die Frage, ob eine Erhaltungsmaßnahme oder eine bauliche Veränderung vorliegt und ob es bei der Zuordnung auf die Ansichten der Wohnungseigentümer ankommt.
Einordnung
Wie das LG erkennt, können die Wohnungseigentümer nicht bestimmen, wie eine Baumaßnahme einzuordnen ist. Die Einordnung bestimmt das Gesetz nach objektiven Prüfsteinen.
Was ist für die Verwaltungen besonders wichtig?
Eine Verwaltung sollte wissen, dass keine bauliche Veränderung vorliegt, wenn die Wohnungseigentümer das gemeinschaftliche Eigentum so herstellen, wie es die Gesetze verlangen. Solche Maßnahmen sind stets Erhaltungsmaßnahmen. Ferner muss durch die Verkündung in der Versammlung immer klar sein, welche Beschlüsse die Wohnungseigentümer gefasst haben.
6 Entscheidung
LG Frankfurt a.M., Urteil v. 6.6.2024, 2-13 S 603/23