1 Leitsatz

Die Vereinbarung, wonach für den bestimmten Bereich von zugewiesenen Gartenflächen festgelegt wird, dass diese ausschließlich der Anlage von Ziergärten dienen und die Errichtung von Baulichkeiten jeglicher Art ausgeschlossen sein soll, enthält einen "Versteinerungswillen" im Sinne des § 47 WEG, der zur Unanwendbarkeit des § 20 WEG führt.

2 Normenkette

§§ 20, 47 WEG

3 Das Problem

Die Wohnungseigentümer einer Reihenhausanlage gestatten Wohnungseigentümer X eine bereits vollzogene bauliche Veränderung (die Überdachung einer Terrasse und die Errichtung einer Sichtschutzwand auf einer Sondernutzungsfläche). In der Gemeinschaftsordnung heißt es wie folgt: "Die zugewiesenen Gartenflächen dürfen jedoch nur der Anlage von Ziergärten dienen. Die Errichtung von Baulichkeiten jeglicher Art ist nicht gestattet." Gegen den Gestattungsbeschluss wendet sich Wohnungseigentümer K. Seine Anfechtungsklage hat Erfolg. Das AG ist der Ansicht, die Maßnahmen stellten eine bauliche Veränderung dar, die die Wohnungseigentumsanlage grundlegend umgestalte. Die Außenflächen der Reihenhausanlage seien dadurch geprägt, dass sie entsprechend einer Regelung der Gemeinschaftsordnung unbebaut seien und sich in ihrem Erscheinungsbild als Ziergärten darstellten. Außerdem widerspreche der Beschluss der Gemeinschaftsordnung. Dort sei eine Bebauung der Gartenfläche jeglicher Art ausgeschlossen worden. Hiermit sei eine Regelung getroffen worden, die ungeachtet des § 47 WEG anwendbar sei. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer B.

4 Die Entscheidung

Die Berufung hat keinen Erfolg! Es gehe zwar nicht um eine grundlegende Umgestaltung. Der Beschluss verstoße aber gegen die Gemeinschaftsordnung. Diese sei auch weiter anwendbar. Die in § 47 Satz 2 WEG getroffene Vermutung, wonach in der Regel abweichende Altvereinbarungen der Anwendung des WEMoG nicht entgegenstünden, sei widerlegt. Stehe eine Altvereinbarung aufgrund einer Gesetzesänderung formal im Widerspruch zur aktuellen Gesetzeslage, sei nämlich auszulegen, ob die Wohnungseigentümer von den Vorschriften des aktuellen WEG abweichen wollten oder die Vereinbarung – auch ohne dynamische Verweisung – auf die Vorschriften des WEG in ihrer jeweils aktuellen Fassung Bezug nehmen wollten (Hinweis auf LG München I, Urteil v. 21.12.2022, 1 S 5647/22, juris Rn. 53). Nach Ansicht der Kammer sei Ersteres der Fall. Die Gemeinschaftsordnung bestimme für die Gartenflächen, dass diese ausschließlich der Anlage von Ziergärten dienen dürften. Die Errichtung von Baulichkeiten jeglicher Art sei ausgeschlossen worden. Unter Berücksichtigung der weiteren Regelung, nach der für bauliche Veränderungen und Aufwendungen § 22 WEG a. F. anwendbar sei, ergebe sich durch Auslegung der abweichende Wille der Wohnungseigentümer ("Versteinerungswille"), dass für die Gartenflächen keine Baulichkeiten beschlossen werden könnten.

5 Hinweis

Problemüberblick

Nach § 47 WEG stehen Vereinbarungen, die vor dem 1.12.2020 getroffen wurden und die von solchen Vorschriften dieses Gesetzes abweichen, die durch das WEMoG geändert wurden, der Anwendung dieser Vorschriften in der vom 1.12.2020 an geltenden Fassung nicht entgegen, soweit sich aus der Vereinbarung nicht ein anderer Wille ergibt (ein solcher Wille ist in der Regel nicht anzunehmen). Im Fall ist zu fragen, ob es einen entgegenstehenden Willen gibt.

Geltung von Altvereinbarungen

Steht eine Altvereinbarung in Widerspruch zur aktuellen Gesetzeslage, ist auszulegen, ob die Wohnungseigentümer von den Vorschriften des aktuellen Wohnungseigentumsgesetzes abweichen wollten. Bei dieser Auslegung setzt § 47 WEG an und nimmt eine typisierende Auslegung zugunsten des neuen Rechts vor. Ein etwaiger abweichender Wille ("Versteinerungswille") muss sich aus der Altvereinbarung selbst ergeben. § 47 Satz 2 WEG flankiert die typisierende Auslegung. Er bestimmt, dass ein solcher abweichender Wille in der Regel nicht anzunehmen ist. Der Gesetzgeber unterstellt also, dass die Wohnungseigentümer das Wohnungseigentumsgesetz in der Fassung des WEMoG anwenden wollen, obwohl sie Wohnungseigentum erworben haben, als die Rechtslage eine andere war. Im Fall kommt das LG nach seiner Auslegung mit dem AG dazu, dass die Altvereinbarung dennoch anwendbar ist. Allein dieses Ergebnis überzeugt auch. Die Wohnungseigentümer wollten nicht, dass die Flächen, die einem Sondernutzungsrecht unterliegen, bebaut werden.

Was ist für die Verwaltung besonders wichtig?

Die Verwaltung kann die Wohnungseigentümer beraten, ob eine Vereinbarung, die vor dem 1.12.2020 getroffen worden ist, ihrer Ansicht nach noch anwendbar ist. Entscheiden kann die Verwaltung diese Frage aber nicht. Solange eine höchstrichterliche Klärung aussteht oder bis die Frage rechtskräftig entschieden ist, sollte sich die Verwaltung daher anweisen lassen, ob sie die Vereinbarung beachten soll.

6 Entscheidung

LG Hamburg, Urteil v. 22.11.2023, 318 S 84/22

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