Ass. jur. Alen Stanojevic
Alle Jahre wieder – dieser Tage erhalten sehr viele Hausverwaltungen die Beitragsrechnung ihrer Gebäudeversicherung. Manch einer dürfte sich beim neuen Beitrag etwas wundern, steigt er doch in den meisten Fällen um knapp 5,5 %. Wenn man allerdings bedenkt, wie stark die Handwerkerpreise gestiegen sind und dass die Beiträge meist an deren Entwicklung gekoppelt sind, erscheinen einem die 5,5 % schon gar nicht mehr ganz so viel.
Da es mit Sicherheit den ein oder anderen Wohnungseigentümer geben wird, der es genauer wissen möchte, und Sie sich als Verwalter diesen Fragen stellen müssen, finden Sie hier einige Informationen zu den Grundlagen der Gebäudeversicherung und damit Antworten auf Fragen nach den Gründen für die Beitragssteigerungen.
Gebäudeversicherung: In der Regel Neuwertversicherung
Beginnen wir mit der in Deutschland üblichen Form der Gebäudeversicherung, der sog. "Neuwertversicherung". Von der Kfz-Versicherung wissen viele, dass man nach einem Totalschaden (nur) genau den Wert des Fahrzeugs erhält, den es im Schadenszeitpunkt noch gehabt hat; kann das Fahrzeug noch repariert werden, erstattet die Versicherung oft nur einen Teil der Reparaturkosten, weil der reparierte Teil nun ja neu gemacht ist und somit mehr wert ist als vor dem Schaden.
Das ist bei der Neuwertversicherung anders, hier werden im Schadensfall in der Regel die vollen Reparaturkosten ersetzt. Genau genommen führt also jeder Schadensfall zu einer Bereicherung für den Eigentümer bzw. die Wohnungseigentümergemeinschaft: War ein Dach vor dem Sturmschaden 25 Jahre alt, hat das Haus nach der Reparatur des Schadens ein neues Dach. Und wenn ein Gebäude ganz abbrennt, steht nach dem Abschluss der Schadensregulierung ein komplett neues Gebäude da, egal wie alt es vor dem Schadensfall gewesen sein mag.
Ermittlung der Versicherungsprämie: Neubauwert des Gebäudes
Da es bei der Neuwertversicherung also letztlich immer um die echten Wiederherstellungskosten geht, ist die Grundlage für die Ermittlung der Versicherungsprämie genau dieser sogenannte "Neubauwert eines Gebäudes" – er bildet die Versicherungssumme. Dieser Wert muss der Versicherung korrekt angegeben werden, andernfalls droht eine Unterversicherung, die dazu führen kann, dass im Schadensfall nur eine anteilige Entschädigung geleistet wird. Das Problem dabei: Die Wiederherstellungskosten und damit der Neubauwert ändern sich ständig, weil sich auch die Baupreise ständig ändern. Der Versicherungsnehmer, der sein Gebäude zum Neuwert versichern möchte, müsste der Versicherung also jedes Jahr den aktuellen Neubauwert nennen, um die Gefahr einer Unterversicherung auszuschließen.
Das ist natürlich wenig praktikabel für einen Gebäudeeigentümer. Aus diesem Grund haben die Versicherer die sog. "Gleitende Neuwertversicherung" entwickelt. Hier wird der Neubauwert des Gebäudes bei Abschluss der Versicherung zunächst von Euro in Goldmark aus dem Jahr 1914 umgerechnet. Dieser Goldmark-Preis des Jahres 1914 wurde gewählt, weil in diesem Jahr die Baupreise zum letzten Mal vor der dann folgenden Inflation stabil waren.
Mit dem "Wert 1914" hat man eine einheitliche Basis für alle Gebäude geschaffen, ganz egal wann sie errichtet worden sind. Um von diesem "Wert 1914" auf den aktuellen Neubauwert in Euro zu gelangen, muss man ihn nur noch mit einem Index hochrechnen (multiplizieren), und zwar dem Baupreisindex. Dieser wird jedes Jahr vom Statistischen Bundesamt ermittelt. Die Versicherungswirtschaft bildet daraus dann noch den "Gleitenden Neuwertfaktor", in dem neben dem Baupreisindex noch die Löhne im Baugewerbe berücksichtigt werden.
Der Vorteil der Gleitenden Neuwertversicherung ist also, dass der Versicherungsnehmer nur ein Mal ganz zu Beginn den tatsächlichen Neubauwert des Gebäudes bestimmen muss, danach braucht er nichts mehr tun, weil die Versicherung dann die jährliche Aktualisierung mittels der Indexanpassung selbstständig vornimmt – der Neubauwert "gleitet" sozusagen immer aktuell durch die Jahre.
Da die Prämie am Neubauwert als Grundlage der Versicherung hängt, verändert sich mit den Baupreisen der daraus resultierende aktuelle Neubauwert und in einem weiteren Schritt dann auch immer die Prämie selbst.
Starker Baupreisanstieg in 2021
Im Corona-Jahr 2021 sind die Baupreise stark gestiegen. Aus diesem Grund hat sich auch der Gleitende Neuwertfaktor deutlich erhöht. Lag er für das Jahr 2021 noch bei 20,1, so steigt er 2022 auf 21,2. Hierzu ein kurzes, etwas vereinfachtes Beispiel:
Berechnungsbeispiel
Hat ein Kunde im Jahr 2021 eine Wohngebäudeversicherung für ein neu errichtetes Gebäude abgeschlossen, dessen Bau 500.000 EUR gekostet hat, dann wird der Wert 1914 (= Versicherungssumme) ermittelt, indem der Euro-Betrag mit dem Neuwertfaktor des Jahres 2021 dividiert wird. Dieser Faktor beträgt wie erwähnt 20,1, damit ergibt sich eine Versicherungssumme von rund 24.875 Goldmark 1914. Für das Jahr 2022 beträgt der Faktor 21,2. Um den Neubaupreis für 2022 zu bestimmen, geht man sozusagen den Weg...