Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmen ohne Rechtsabteilung. Notwendige Kosten für unterbevollmächtigten Rechtsanwalt in Vertretung für auswärtigen Prozessbevollmächtigten. Zweckentsprechende Rechtsverfolgung gegen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch durch Beauftragung von besonders sachkundigem Rechtsanwalt
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob es für ein Unternehmen, das keine Rechtsabteilung eingerichtet hat, zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung gegen einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO notwendig ist, eine Rechtsanwaltskanzlei am Geschäftsort als Hauptbevollmächtigten hinzuzuziehen, wenn diese Kanzlei ständig mit der Bearbeitung sämtlicher im Unternehmen anfallender Rechtsangelegenheiten beauftragt ist.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
OLG Köln (Beschluss vom 04.11.2003; Aktenzeichen 17 W 45/04) |
LG Köln |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 17. Zivilsenats des OLG Köln v. 4.11.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 486,89 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beklagte ist ein in M. ansässiges Presseunternehmen. Sie hat keine eigene Rechtsabteilung eingerichtet. Seit mehr als einem Jahrzehnt werden sämtliche Rechtsangelegenheiten des Konzerns, zu dem die Beklagte gehört, von der Rechtsanwaltskanzlei Prof. Dr. S. am Sitz der Beklagten bearbeitet. Auch im vorliegenden Fall hat die Beklagte diese Kanzlei mit der Prozessführung beauftragt.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin einen Unterlassungsanspruch wegen wettbewerbswidriger Werbung gegen die Beklagte geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung vor dem LG Köln am 28.2.2002 hat sich die Beklagte durch einen am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt als Unterbevollmächtigten vertreten lassen. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat die Klägerin ihre Klage zurückgenommen. Dementsprechend wurden ihr durch Beschluss des LG die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Beklagte u.a. beantragt, neben den bei ihren Prozessbevollmächtigten in M. angefallenen Kosten auch die Kosten ihres Unterbevollmächtigten am Sitz des Prozessgerichts festzusetzen.
Das LG hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten nur in Höhe derjenigen Kosten als erstattungsfähig anerkannt, die der Beklagten erwachsen wären, wenn sie einen am Ort des Prozessgerichts tätigen Rechtsanwalt zum Prozessbevollmächtigten bestellt und diesen schriftlich und ergänzend telefonisch über den maßgeblichen Sachverhalt unterrichtet hätte.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde hat die Beklagte beantragt, die durch die Mitwirkung des Unterbevollmächtigten entstandenen Kosten in vollem Umfang anzusetzen.
Das OLG hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Mit ihrer (zugelassenen) Rechtsbeschwerde verfolgt die Beklagte ihren Kostenfestsetzungsantrag im Umfang ihrer sofortigen Beschwerde weiter. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
II. Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Die Kosten des mit der Wahrnehmung des Termins beim LG Köln beauftragten unterbevollmächtigten Rechtsanwalts wären auch dann nicht voll zu erstatten, wenn die Beklagte einen Rechtsanwalt an ihrem Geschäftssitz zum Prozessbevollmächtigten hätte bestellen dürfen, ohne Nachteile bei der Kostenerstattung in Kauf nehmen zu müssen. Die durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten entstandenen Kosten wären dann nur insoweit in Ansatz zu bringen, als sie die Kosten nicht wesentlich überstiegen, die durch die Fahrt des Hauptbevollmächtigten zur Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung entstanden wären.
Die Beklagte habe jedoch im Zusammenhang mit dem Verhandlungstermin des LG durch die Einschaltung des Unterbevollmächtigten keine Reisekosten erspart, weil sie erstattungsrechtlich gehalten gewesen sei, einen Rechtsanwalt am Ort des Prozessgerichts zum Prozessbevollmächtigten zu bestellen. Eines eingehenden Mandantengesprächs am Sitz ihres Unternehmens habe es nicht bedurft.
Dem Vorstand der Konzernmutter der Beklagten gehöre als assoziiertes Mitglied Rechtsanwalt Prof. Dr. S. mit dem Aufgabengebiet "Recht" an. Dessen Kanzlei bearbeite sämtliche Rechtsangelegenheiten der dem Konzern angehörenden Unternehmen. Die Tätigkeit dieser in die Anwaltskanzlei integrierten Rechtsabteilung der Konzernmutter der Beklagten erstrecke sich auf alle Gebiete des Unternehmensrechts sowie auf presse- und medienrechtliche Spezialgebiete. Dies rechtfertige die Annahme, dass die Beklagte häufiger gezwungen sei, sich mit Rechtsangelegenheiten zu befassen, die aus ihrer geschäftlichen Betätigung hervorgegangen seien. Es könne daher von ihr erwartet werden, dass sie selbst über die Mitarbeiter verfüge, die zur Bearbeitung solcher unternehmensbezogenen Rechtssachen geeignet seien. Es stehe der Beklagten selbstverständlich frei, ob sie eine eigene Rechtsabteilung unterhalte oder ob sie die Aufgaben einer nach Art und Umfang ihres Geschäftsbetriebs an sich notwendigen Rechtsabteilung von Rechtsanwälten wahrnehmen lasse, weil sich dies als organisatorisch zweckmäßig und wirtschaftlich sinnvoll erwiesen habe. Das ändere jedoch nichts daran, dass es sich im einen wie im anderen Fall um allgemeine Geschäftskosten handele, die auch insoweit, als sie durch den Rechtsstreit veranlasst worden seien, eigene Bearbeitungskosten blieben. Diese könnten - wie der sonstige mit eigenen Prozess- und Rechtsangelegenheiten verbundene Arbeitsaufwand - nicht durch die Beauftragung Dritter auf den Prozessgegner abgewälzt werden. Die Beklagte müsse sich deshalb erstattungsrechtlich so behandeln lassen, als hätte sie die Aussichten ihrer Rechtsverteidigung selbst hinreichend zuverlässig beurteilen und den maßgeblichen Tatsachenstoff einem Kölner Rechtsanwalt schriftlich und telefonisch übermitteln können.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
2. Die Kosten, die einer Partei durch die Beauftragung eines unterbevollmächtigten Rechtsanwalts entstanden sind, können nur ersetzt werden, wenn sie i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO notwendig waren.
Dabei kommt es darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Sie ist lediglich gehalten, unter mehreren gleichartigen Maßnahmen die kostengünstigste auszuwählen (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [899]; Beschl. v. 11.11.2003 - VI ZB 41/03, MDR 2004, 539 = BGHReport 2004, 345 = NJW-RR 2004, 430; Beschl. v. 9.9.2004 - I ZB 5/04, WRP 2004, 1492 [1493] - Unterbevollmächtigter II, m.w.N.).
Bei der Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme ist zudem eine typisierende Betrachtungsweise geboten. Denn der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall mit Fug darüber gestritten werden kann, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind oder nicht (BGH, Beschl. v. 12.12.2002 - I ZB 29/02, BGHReport 2003, 308 = NJW 2003, 901 [902] = WRP 2003, 391 - Auswärtiger Rechtsanwalt I).
Die Kosten eines Unterbevollmächtigten, der für den auswärtigen Prozessbevollmächtigten die Vertretung in der mündlichen Verhandlung übernommen hat, sind erstattungsfähig, soweit sie die durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten ersparten, erstattungsfähigen Reisekosten des Prozessbevollmächtigten nicht wesentlich übersteigen (BGH v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 f.; Beschl. v. 14.9.2004 - VI ZB 37/04, Umdr. S. 4). Reisekosten des am Geschäftsort der Partei ansässigen Hauptbevollmächtigten sind nicht erstattungsfähig, wenn dessen Beauftragung nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich war, sondern ein am Ort des Prozessgerichts ansässiger Rechtsanwalt als Hauptbevollmächtigter hätte beauftragt werden müssen.
3. Das Beschwerdegericht hat danach die Kosten des Unterbevollmächtigten zu Unrecht als in vollem Umfang nicht erstattungsfähig angesehen.
a) Die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei ist i.d.R. als eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzusehen, weil ein persönliches Informations- und Beratungsgespräch zwischen Partei und Anwalt mindestens zu Beginn eines Mandats in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle erforderlich und sinnvoll ist (BGH, Beschl. v. 23.3.2004 - VIII ZB 145/03, FamRZ 2004, 866 m.w.N.). Dabei ist bei einem Unternehmen, das laufend Rechtsstreitigkeiten zu führen hat, auch das Interesse zu berücksichtigen, mit besonders sachkundigen Rechtsanwälten seines Vertrauens am Ort zusammenzuarbeiten.
b) Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn bereits zum Zeitpunkt der Beauftragung des Hauptbevollmächtigten feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Rechtsverfolgung oder -verteidigung nicht erforderlich sein wird (BGH Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [901]; Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = GRUR 2003, 725 f. = WRP 2003, 894 = NJW 2003, 2027 - Auswärtiger Rechtsanwalt II; Beschl. v. 18.12.2003 - I ZB 18/03, BGHReport 2004, 637 = MDR 2004, 839 = GRUR 2004, 448 = WRP 2004, 495 = NJW-RR 2004, 856 - Auswärtiger Rechtsanwalt IV; v. 9.9.2004 - I ZB 5/04, WRP 2004, 1492 [1493] - Unterbevollmächtigter II; Beschl. v. 14.9.2004 - VI ZB 37/04, Umdr. S. 5).
aa) Dies kann der Fall sein, wenn es sich bei der fraglichen Partei um ein Unternehmen handelt, das über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt (BGH, Beschl. v. 18.12.2003 - I ZB 18/03, BGHReport 2004, 637 = MDR 2004, 839 = GRUR 2004, 448 = WRP 2004, 495 = NJW-RR 2004, 856 - Auswärtiger Rechtsanwalt IV, m.w.N.). Dies ist bei der Beklagten jedoch unstreitig nicht der Fall.
bb) Die Beklagte muss sich bei der Beurteilung, ob ihre Aufwendungen zur Rechtsverteidigung notwendig waren, auch nicht so behandeln lassen, als habe sie eine Rechtsabteilung eingerichtet. Denn im Rahmen der Kostenerstattung kommt es auf die tatsächliche Organisation des Unternehmens der Partei an und nicht darauf, welche Organisation als zweckmäßiger anzusehen sein könnte (BGH v. 11.11.2003 - VI ZB 41/03, MDR 2004, 539 = BGHReport 2004, 345 = NJW-RR 2004, 430). Der Prozessgegner hat es hinzunehmen, dass er die erforderlichen Kosten eines als Hauptbevollmächtigten eingeschalteten Rechtsanwalts regelmäßig zu tragen hat, während die Kosten einer Rechtsabteilung nicht auf ihn abgewälzt werden könnten (BGH, Beschl. v. 25.3.2004 - I ZB 28/03, BGHReport 2004, 920 = MDR 2004, 1138 = GRUR 2004, 623 = WRP 2004, 777 = NJW-RR 2004, 857 - Unterbevollmächtigter I; Beschl. v. 9.9.2004 - I ZB 5/04, WRP 2004, 1492 [1493] - Unterbevollmächtigter II). Dies gilt auch dann, wenn eine Partei, wie hier die Beklagte, ständig eine bestimmte Anwaltskanzlei mit der Bearbeitung von Rechtsangelegenheiten, die nicht zu ihrem eigentlichen Unternehmensgegenstand gehören, beauftragt und dadurch die Einrichtung einer eigenen Rechtsabteilung entbehrlich macht. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass nicht erwartet werden kann, dass die Beklagte oder ihre Konzernmutter als Presseunternehmen gerade auch Mitarbeiter beschäftigen, die mit dem Recht des unlauteren Wettbewerbs vertraut sind.
4. Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben. Die Sache war an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit dieses die noch erforderlichen Feststellungen zu den fiktiven Reisekosten des Hauptbevollmächtigten trifft.
Fundstellen
BB 2005, 294 |
BGHR 2005, 472 |
EBE/BGH 2005, 26 |
EBE/BGH 2005, 4 |
FA 2005, 52 |
JurBüro 2005, 427 |
MDR 2005, 417 |
Rpfleger 2005, 216 |
WRP 2005, 224 |
GuT 2005, 31 |
RVGreport 2005, 115 |
RVG prof. 2005, 34 |