Verfahrensgang
LG Essen (Entscheidung vom 11.11.2022; Aktenzeichen 7 T 347/22) |
AG Dorsten (Entscheidung vom 19.09.2022; Aktenzeichen 16 M 191/22) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 11. November 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Gläubigerin, eine Krankenkasse in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen Beitragsrückständen.
Rz. 2
Unter dem 12. April 2022 hat die Gläubigerin gegen den Schuldner bei dem Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - D. (im Folgenden: Amtsgericht) einen Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung gemäß § 5 VwVG i.V.m. § 287 AO gestellt.
Rz. 3
Mit Beschluss vom 19. September 2022 hat das Amtsgericht den Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung zurückgewiesen.
Rz. 4
Gegen diesen Beschluss hat die Gläubigerin sofortige Beschwerde eingelegt.
Rz. 5
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat der zuständige Einzelrichter die Gläubigerin darauf hingewiesen, dass eine Übertragung der Sache auf die Kammer beabsichtigt sei.
Rz. 6
Mit Beschluss vom 11. November 2022 hat die mit drei Mitgliedern - unter Einbeziehung des Einzelrichters - vollbesetzte Beschwerdekammer das Beschwerdeverfahren zur Entscheidung auf die Kammer übertragen, die sofortige Beschwerde der Gläubigerin zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Rz. 7
Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin den Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung weiter.
II.
Rz. 8
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
Rz. 9
1. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer wirksamen Zulassung durch die Kammer gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und, da sie gemäß den Erfordernissen des § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, im Übrigen ebenfalls zulässig.
Rz. 10
2. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde schon deshalb Erfolg, weil das Beschwerdegericht - was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. März 2022 - VII ZB 71/21 Rn. 8; Beschluss vom 28. Januar 2022 - VI ZB 13/20 Rn. 5 m.w.N., NJW-RR 2022, 570; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 20. April 2023 - 2 BvR 1605/21, WM 2023, 1181, juris Rn. 52) - entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch den Einzelrichter, sondern durch die Kammer entschieden hat.
Rz. 11
a) Nach § 568 Satz 1 ZPO entscheidet das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen worden ist. Hier ist der Antrag der Gläubigerin vom 12. April 2022 auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung von der Amtsrichterin zurückgewiesen worden. In einem solchen Fall ist die vollbesetzte Kammer (§§ 70, 75 GVG) gemäß § 568 Satz 2 ZPO nur dann zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufen, wenn der Einzelrichter durch eine gesonderte Entscheidung das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung übertragen hat. Dies setzt einen entsprechenden Beschluss des Einzelrichters voraus (BGH, Beschluss vom 21. April 2021 - VII ZB 40/20 Rn. 8, DGVZ 2021, 260; Beschluss vom 30. April 2020 - I ZB 61/19 Rn. 23, BGHZ 225, 252; Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 84/16 Rn. 10, MDR 2017, 1447).
Rz. 12
b) An einem solchen Beschluss fehlt es im Streitfall. Die Kammer selbst hat das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 11. November 2022 sich zur Entscheidung übertragen. Dies war verfahrensfehlerhaft. Die Beschwerdekammer ist außer in Fällen, in denen die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zweifelhaft ist (§ 348 Abs. 2 ZPO analog; vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2003 - X ARZ 175/03, BGHZ 156, 147, juris Rn. 15), nicht befugt, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. Insoweit ist unerheblich, ob der Einzelrichter an einem solchen Kammerbeschluss mitwirkt, weil es nach § 568 Satz 2 ZPO alleinige Entscheidungskompetenz des Einzelrichters ist, ob die Voraussetzungen für eine Übertragung auf die Kammer vorliegen (BGH, Beschluss vom 21. April 2021 - VII ZB 40/20 Rn. 9, DGVZ 2021, 260; Beschluss vom 30. April 2020 - I ZB 61/19 Rn. 24, BGHZ 225, 252; Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 84/16 Rn. 11, MDR 2017, 1447). Der von dem Einzelrichter vorab gegebene Hinweis, dass eine Übertragung der Sache auf die Kammer beabsichtigt sei, kann - auch in Verbindung mit dem späteren, von dem Einzelrichter mitunterzeichneten Übertragungsbeschluss des Kammerkollegiums - die insoweit gebotene eigene Entscheidung des Einzelrichters in Form eines Übertragungsbeschlusses nicht ersetzen.
Rz. 13
c) Die Bestimmung des § 568 Satz 3 ZPO, wonach auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung ein Rechtsmittel nicht gestützt werden kann, steht der Erheblichkeit des Verfahrensfehlers nicht entgegen. Es besteht kein Streit darüber, ob der Einzelrichter das Verfahren zu Recht nach § 568 Satz 2 ZPO der Kammer übertragen hat. Vielmehr hat der Einzelrichter insoweit keine Entscheidung getroffen. Dieser Fall wird von § 568 Satz 3 ZPO nicht erfasst (BGH, Beschluss vom 21. April 2021 - VII ZB 40/20 Rn. 10, DGVZ 2021, 260; Beschluss vom 30. April 2020 - I ZB 61/19 Rn. 25, BGHZ 225, 252; Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 84/16 Rn. 12, MDR 2017, 1447).
Rz. 14
d) Da das Beschwerdegericht nach alledem zu Unrecht entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch den Einzelrichter, sondern durch die Beschwerdekammer entschieden hat, war es nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 1 ZPO). Angesichts dieses absoluten Rechtsbeschwerdegrunds ist es unerheblich, ob sich der angefochtene Beschluss aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 577 Abs. 3 ZPO). Vielmehr sind gemäß § 577 Abs. 4 ZPO der fehlerhaft ergangene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (BGH, Beschluss vom 21. April 2021 - VII ZB 40/20 Rn. 11, DGVZ 2021, 260; Beschluss vom 30. April 2020 - I ZB 61/19 Rn. 26, BGHZ 225, 252; Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 84/16 Rn. 13, MDR 2017, 1447). Bei dem Beschwerdegericht ist nach § 75 GVG, § 568 Satz 1 ZPO der Einzelrichter - vorbehaltlich einer Übertragung des Verfahrens auf die vollbesetzte Kammer - zur Entscheidung berufen.
III.
Rz. 15
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6. April 2023 - I ZB 84/22 (juris) zu den Formerfordernissen eines elektronisch eingereichten Vollstreckungsantrags in Justizbeitreibungssachen hin.
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Fundstellen
Dokument-Index HI15826228 |