Verfahrensgang

LG Kaiserslautern (Beschluss vom 22.03.2004; Aktenzeichen 1 S 183/03)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Kaiserslautern v. 22.3.2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 1.256,92 EUR

 

Gründe

I.

Mit Urteil v. 6.8.2003, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 11.8.2003, hat das AG die auf Zahlung restlichen Schadensersatzes gerichtete Klage abgewiesen. Gegen das Urteil hat der Kläger am 4.9.2003 Berufung eingelegt und mit Schriftsatz v. 9.10.2003 erstmalig beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung bis einschließlich 13.11.2003 zu verlängern. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Angelegenheit noch nicht abschließend besprochen werden konnte. Der Schriftsatz weist den Eingangsstempel v. 14.10.2003 auf. Nach einem richterlichen Hinweis auf den verspäteten Eingang des Fristverlängerungsantrags hat der Kläger fristgemäß mit Schriftsatz v. 29.10.2003, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufung begründet. Unter Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der Kanzleiangestellten S. seines Prozessbevollmächtigten hat er vorgetragen, dass der Antrag auf Fristverlängerung innerhalb laufender Frist bereits am Freitag, dem 10.10.2003 von der Kanzleiangestellten persönlich in der Postannahmestelle des Gerichts abgegeben worden sei. Der Justizbeamte, der den Eingangsstempel auf den Verlängerungsantrag aufgebracht hat, kann sich nach der vom LG eingeholten dienstlichen Stellungnahme an den Vorgang nicht erinnern. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wurde vom Berichterstatter der Berufungskammer aufgefordert, die Aktenzeichen der gleichzeitig von der Kanzleiangestellten zu Gericht gebrachten Schriftstücke zu benennen und Fotokopien der einschlägigen Seiten seines Postausgangsbuches vorzulegen. Dem ist der Prozessbevollmächtigte ohne weitere Angaben nicht nachgekommen.

Mit Beschluss v. 22.3.2004 hat das LG den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist und das Wiedereinsetzungsgesuch des Klägers zurückgewiesen und zugleich die Berufung als unzulässig verworfen. Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 23.3.2004 zugestellten Beschluss wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

1. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Antrag auf Fristverlängerung nicht vor Ablauf der am Montag, dem 13.10.2003, um 24.00 Uhr endenden Berufungsbegründungsfrist bei Gericht eingegangen ist. Dafür erbringe der gerichtliche Eingangsstempel als öffentliche Urkunde vollen Beweis. Zwar könne dieser durch den Gegenbeweis entkräftet werden, doch sehe die Kammer keine Grundlage für eine Zeugenvernehmung der Kanzleiangestellten und des zuständigen Justizwachtmeisters, nachdem der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Aufforderungen zur Vorlage der der Sachverhaltsaufklärung dienenden Schriftstücke ohne Angabe von Gründen nicht nachgekommen sei.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung könne nicht stattgegeben werden. Der Prozessbevollmächtigte habe nicht dargelegt, dass er darauf habe vertrauen dürfen, dass die Kanzleiangestellte S. die ihr übertragenen Aufgaben zuverlässig erledigen und ihm Auskunft darüber erteilen würde. Auch habe er sich vor Fristablauf und Eintragung des Erledigungsvermerks im Fristenkalender erkundigen müssen, ob die Verlängerung tatsächlich gewährt worden sei. Dass der von ihm genannte Grund einer noch nicht ausreichenden Besprechungsmöglichkeit als ausreichend für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist angesehen werden würde, habe dem Prozessbevollmächtigten in jedem Fall zweifelhaft erscheinen müssen.

2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft nach §§ 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 ZPO. Sie ist fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Die Frage der Zulässigkeit der Berufung hat das Berufungsgericht von Amts wegen zu prüfen (§ 522 Abs. 1 S. 1 ZPO). Hat es insoweit Zweifel, die sich auf andere Weise nicht beheben lassen, so muss es versuchen, diese Unklarheiten durch Erhebung geeigneter Beweise zu beseitigen. Dabei genügt die einfache Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO), für die schon eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des behaupteten Geschehensablaufes ausreicht, nicht (vgl. BGH v. 23.1.1985 - VII ZR 18/84, BGHZ 93, 300 [306]; Beschl. v. 17.5.1989 - IVa ZB 6/89, BGHR ZPO § 236 Abs. 2 S. 1, Glaubhaftmachung 1). Vielmehr ist der volle Beweis notwendig.

Für die Rechtzeitigkeit oder Verspätung eines fristgebundenen Schriftsatzes erbringt zwar der gerichtliche Eingangsstempel als öffentliche Urkunde den vollen Beweis (§ 418 Abs. 1 ZPO). Er kann allerdings durch den Gegenbeweis entkräftet werden (§ 418 Abs. 2 ZPO). Beweisbelastet ist insofern die Partei, die sich auf den rechtzeitigen Eingang eines Rechtsmittels oder sonstigen fristgebundenen Schriftstückes beruft (vgl. BGH, Beschl. v. 26.3.1981 - IVa ZB 4/81, MDR 1981, 748 = NJW 1981, 1789). Vom Beweisverfahren in der Sache selbst unterscheidet sich die Beweiserhebung über verfahrensrechtliche Umstände, insb. über die Zulässigkeit von Anträgen und Rechtsmitteln, nur dadurch, dass es sich hierbei um einen Freibeweis handelt, mithin das Gericht von einem Beweisantritt der Parteien unabhängig und auf die gesetzlichen Beweismittel nicht beschränkt ist (BGH, Beschl. v. 9.7.1987 - VII ZB 10/86, MDR 1988, 136 = NJW 1987, 2875 unter II. 1. b der Gründe, m.w.N.). Hängt die Zulässigkeit der Berufung nicht unmittelbar vom Eingang der Rechtsmittelbegründung ab, sondern - wie hier - vom Eingang des Antrages auf Verlängerung der Begründungsfrist, so gilt für die Prüfung der betreffenden Tatsachen nichts anderes.

b) Im vorliegenden Fall hätte das Berufungsgericht über die Umstände, die der Kläger in seinem Wiedereinsetzungsgesuch zur Wahrung der Berufungsbegründungsfrist vorgetragen hat, Beweis erheben müssen und erst dann über den Verlängerungsantrag sowie die Zulässigkeit der Berufung entscheiden dürfen. Zwar hat sich das Berufungsgericht in dem angefochtenen Beschluss mit dem tatsächlichen Vorbringen des Klägers auseinander gesetzt, dabei hat es aber lediglich die Frage der Glaubhaftmachung anhand der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung geprüft. Es ist nicht von vornherein auszuschließen, dass eine Beweisaufnahme, die sich nach Lage der Dinge vor allem auf die Vernehmung der Kanzleiangestellten S. sowie des Justizbeamten, der den Eingangsstempel aufgebracht hat, konzentrieren wird, trotz der gegenüber der Glaubhaftmachung strengeren Anforderungen zu einem anderen, für den Kläger günstigeren Ergebnis führen kann. Erst wenn das Berufungsgericht bei dieser erneuten Prüfung nicht die Überzeugung von der Rechtzeitigkeit des Fristverlängerungsantrages gewinnt, muss von einer Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ausgegangen werden. Schon deshalb ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zurückzuverweisen.

3. Im Hinblick auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, auf den es im Falle der Rechtzeitigkeit des Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ankäme, weil zum Zeitpunkt der Berufungsbegründung die Frist mangels einer Verlängerung verstrichen wäre, weist der Senat auf Folgendes hin:

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kann ein Rechtsanwalt in aller Regel erwarten, dass seinem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn ein erheblicher Grund i.S.d. § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO geltend gemacht wird (vgl. dazu insb. BGH, Beschl. v. 5.7.1989 - IVb ZB 53/89, VersR 1989, 1064; v. 2.11.1989 - III ZB 49/89, BGHR ZPO § 233, Fristverlängerung 3 und 4; v. 28.11.2002 - III ZB 45/02, BGHReport 2003, 459). Davon geht auch das Berufungsgericht aus. Doch begegnet die Auffassung rechtlichen Bedenken, dass der Rechtsanwalt unter den Umständen des vorliegenden Falles eine Erkundigungspflicht nach dem Erfolg seines Antrags gehabt habe. Auch wenn die Begründung des Verlängerungsantrags nach der Auffassung des Berufungsgerichts zu pauschal und wenig aussagekräftig ist, durfte der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf vertrauen, dass die beantragte Fristverlängerung nicht ohne "Vorwarnung" abgelehnt wird, wenn der Antrag nach der Behauptung des Klägers zwei Tage vor Fristablauf bei Gericht eingereicht worden ist (vgl. BVerfG v. 10.8.1998 - 1 BvR 10/98, MDR 1998, 1364 = NJW 1998, 3703; Beschl. v. 1.8.2001 - VIII ZB 24/01, NJW 2001, 3552; v. 19.1.2000 - XII ZB 22/99, NJW-RR 2000, 799; v. 11.11.1998 - VIII ZB 24/98, MDR 1999, 374 = NJW 1999, 430; vgl. v. Pentz, NJW 2003, 858 ff. [863]).

 

Fundstellen

BGHR 2005, 189

JurBüro 2005, 279

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