Entscheidungsstichwort (Thema)
Klagerücknahme. Kostentragungspflicht. Kostenerstattungsanspruch. Kostenlast. Kostenentscheidung. Kosten
Leitsatz (redaktionell)
Die Ausnahmevorschrift des § 269 Abs. 3 S. 2 Halbs. 2 ZPO erfasst nur diejenigen Fälle, in denen aus einem (anderen) prozessualen Grund eine Kostentragungspflicht des Beklagten abweichend von dem Veranlassungsprinzip des § 269 Abs. 3 S. 2 Halbs. 1 ZPO gegeben ist; materiell-rechtlich begründete Kostenerstattungsansprüche sind hiervon nicht erfasst.
Normenkette
ZPO §§ 93d, 293 Abs. 3 S. 2, § 269 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 29.12.2004; Aktenzeichen 8 W 46/03) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des OLG Hamm v. 29.12.2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Wert: bis 1.200 EUR
Gründe
I. Der Kläger und die weiteren vier Gesellschafter gewährten der C. G. Verwaltungsgesellschaft mbH im Jahre 1995 Darlehen über jeweils 130.000 DM (66.467,94 EUR). Durch gerichtlichen Vergleich v. 24.10.2000 übertrug der Kläger seinen Geschäftsanteil zu gleichen Teilen auf die übrigen Gesellschafter. Diese beschlossen die am 14.1.2003 in das Handelsregister eingetragene Auflösung der GmbH. Zuvor - am 17.7.2002 - waren die von der GmbH an der Beklagten, der G. GmbH & Co. KG, gehaltenen Anteile auf die Gesellschafter der GmbH und ein Versicherungsunternehmen übertragen worden. Mit Schreiben v. 16.7.und 31.10.2002 mahnte der Kläger bei der GmbH ausstehende Ratenzahlungen an. Die Beklagte antwortete ihm am 6.11.2002 "als Rechtsnachfolgerin der C. G. Verwaltungsgesellschaft mbH", setzte ihn von der Liquidation der GmbH in Kenntnis und kündigte eine Prüfung der Ansprüche des Klägers durch ihren Wirtschaftsprüfer an. Am 28.11.2002 stellte der Kläger das gesamte Darlehen ggü. der Beklagten i.H.v. 31.941,27 EUR fällig. Diese überwies ihm den aus ihrer Sicht allein noch offen stehenden Betrag von 240,02 EUR. In dem vom Kläger über den Restbetrag angestrengten Rechtsstreit berief sie sich auf ihre fehlende Passivlegitimation. Der Kläger hat seine auf Zahlung von 31.701,25 EUR gerichtete Klage gegen die Beklagte zurückgenommen und im Wege des Parteiwechsels gegen die beiden Liquidatoren der GmbH erhoben. Das LG hat ihm mit Beschluss v. 22.5.2003 in entsprechender Anwendung des § 269 Abs. 3 ZPO die außergerichtlichen Kosten der (bisherigen) Beklagten auferlegt. Seine sofortige Beschwerde ist vor dem OLG ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet er sich mit der Rechtsbeschwerde.
II. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthaft; an ihre Zulassung ist der Senat gem. § 574 Abs. 3 S. 2 ZPO gebunden. Sie ist auch im Übrigen zulässig, jedoch in der Sache unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Vorschrift des § 269 Abs. 3 S. 2 Halbs. 2 ZPO bestimme, dass eine Klagrücknahme nur dann nicht zur Kostentragungspflicht des Klägers führe, wenn die Kosten der beklagten Partei "aus einem anderen Grunde aufzuerlegen" seien. Der Gesetzgeber habe damit die von der Rechtsprechung bis dahin anerkannten Ausnahmefälle - etwa bei einer außergerichtlichen Kostenregelung im Zuge eines Vergleichs - erfassen wollen, nicht aber einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch, wie ihn der Kläger für sich geltend mache. Die Voraussetzungen des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO seien nicht erfüllt, weil die vom Kläger erhobene Klage von Anfang an ggü. der Beklagten nicht begründet gewesen sei. Auch wenn die Beklagte möglicherweise zum Kläger in einem vertragsähnlichen Verhältnis (§ 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB) stehe und ihm mit ihren unzutreffenden Auskünften über die Rechtsnachfolge Anlass zur Klagerhebung gegeben habe, müsse es bei der grundsätzlichen Kostentragungspflicht des Klägers verbleiben. Denn das Verfahren nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO sei - auch unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 93d ZPO - nicht geeignet, die sich bei Prüfung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs des Klägers ergebenden Fragen zu klären.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass der Kläger nach § 269 Abs. 3 S. 2 Halbs. 1 ZPO verpflichtet ist, die außergerichtlichen Kosten der durch Klagrücknahme aus dem Rechtsstreit ausgeschiedenen Beklagten zu tragen. Die Regelung ist eine Ausprägung des allgemeinen, den §§ 91, 97 ZPO zu Grunde liegenden Prinzips, dass die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Nimmt der Kläger seine Klage zurück, begibt er sich freiwillig in die Rolle des Unterlegenen (BGH, Urt. v. 19.10.1994 - I ZR 187/92, MDR 1995, 641 = GRUR 1995, 169, unter II 2; Beschl. v. 14.10.2004 - VII ZB 23/03, MDR 2005, 227 = BGHReport 2005, 265, bei juris abrufbar unter III 3b; v. 27.10.2003 - II ZB 38/02, BGHReport 2004, 274 = MDR 2004, 408, unter II 1 a). Ob dieses Ergebnis mit dem materiellen Recht übereinstimmt, ist ohne Bedeutung. Letzteres betrifft allein den materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch, nicht aber die davon zu unterscheidende prozessuale Kostenlast (BGHZ 45, 251 [256 f.]). Das stellt auch die Rechtsbeschwerde nicht in Frage.
b) Entgegen ihrer Auffassung sind die Voraussetzungen des § 269 Abs. 3 S. 2 Halbs. 2 ZPO nicht erfüllt, weil sich eine Kostenlast der Beklagten nicht "aus einem anderen Grund" im Sinne dieser Vorschrift ergibt. Anlass für die Ausnahmeregelung war die Neufassung des § 93d ZPO durch das Kindesunterhaltsgesetz v. 6.4.1998 (BGBl. I, 666). Danach können die Kosten des Rechtsstreits abweichend von § 269 Abs. 3 S. 2 Halbs. 1 ZPO der beklagten Partei auferlegt werden, wenn sie zu einem Unterhaltsprozess Anlass gegeben hat, indem sie ihre Auskunftspflicht nicht oder nicht vollständig erfüllt hat. Damit verbunden war eine Ergänzung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO dahingehend, dass von der Kostentragungspflicht des Klägers im Falle der Klagrücknahme die Kosten ausgenommen waren, die "dem Beklagten aufzuerlegen" waren. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum Kindesunterhaltsgesetz war damit allein der Fall des § 93d ZPO gemeint (BT-Drucks. 13/7338, 33). Eine sachliche Änderung der Kostenvorschrift über diesen Bereich hinaus war nicht beabsichtigt. Der Vorschrift des § 93d ZPO liegt der Gedanke zu Grunde, dass gesetzliche Unterhaltsansprüche im Interesse aller Beteiligten bereits außergerichtlich geklärt werden sollen. Das ist nur möglich, wenn der Verpflichtete bereit- und freiwillig umfassend Auskunft erteilt, so dass der Berechtigte nicht den umständlichen und Zeit raubenden Weg einer Stufenklage nach § 254 ZPO zu gehen braucht. Verstöße gegen die Auskunftspflicht normiert § 93d ZPO mit einer "Kostenstrafe" (BT-Drucks. 13/7338, 33; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., § 93d Rz. 1). Das ist nicht auf andere Ansprüche übertragbar (a.A. Musielak/Foerste, ZPO, 4. Aufl., § 269 Rz. 13).
Auch das ZPO-Reformgesetz v. 27.7.2001 (BGBl. I, 1887) hat diese Rechtslage nicht berührt. Vielmehr ist § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO nur redaktionell angepasst worden. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum ZPO-Reformgesetz sollte klargestellt werden, dass dem Kläger die Kosten nicht auferlegt werden können, wenn einer der schon bisher von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle vorliegt (BT-Drucks. 14/4722, 80; unter Bezugnahme auf Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 269 Rz. 15; Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 269 Rz. 18a; BGH, Beschl. v. 27.10.2003 - II ZB 38/02, BGHReport 2004, 274 = MDR 2004, 408, unter II 1 b). Dazu gehören insb. eine Kostentragungspflicht der beklagten Partei gem. § 344 ZPO (vgl. BGH, Beschl. v. 13.5.2004 - V ZB 59/03, BGHReport 2004, 1126, m. Anm. Bonifacio = MDR 2004, 1082 = BB 2004, 1470, unter 2 a) und eine von § 269 Abs. 3 S. 2 Halbs. 1 ZPO abweichende Regelung der prozessualen Kostenlast in einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich (vgl. BGH, Beschl. v. 24.6.2004 - VII ZB 4/04, BGHReport 2004, 1463 = MDR 2004, 1251 = FamRZ 2004, 1552, unter 1).
c) Der Rechtsbeschwerde ist zuzugeben, dass die beabsichtigte Beschränkung des Anwendungsbereiches von § 269 Abs. 3 S. 2 Halbs. 2 ZPO auf § 93d ZPO oder die von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle im Gesetzeswortlaut unmittelbar nicht zum Ausdruck kommt. Es genügt nach der im Gesetz gewählten Formulierung, dass dem Beklagten die Kosten überhaupt "aus einem anderen Grund" aufzuerlegen sind. Das schließt in den beiden Gesetzesbegründungen nicht erwähnte Abweichungen von der Kostenregel des § 269 Abs. 3 S. 2 Halbs. 1 ZPO nicht grundsätzlich aus. Jedoch muss es sich dabei um Bestimmungen handeln, die aus einem (anderen) prozessualen Grund zu einer Kostentragungspflicht der beklagten Partei führen. Materiell-rechtlich begründete Kostenerstattungsansprüche werden davon nicht erfasst. Der Kläger erstrebt indes eine Kostengrundentscheidung, die sich aus solchen materiell-rechtlichen Erwägungen ergibt. Darauf ist die Vorschrift des § 269 Abs. 3 S. 2 Halbs. 2 ZPO ersichtlich nicht zugeschnitten. Sie dient allein dazu, prozessualen Besonderheiten Rechnung zu tragen und insoweit Ausnahmen von dem in § 269 Abs. 3 S. 2 Halbs. 1 ZPO normierten Veranlassungsprinzip zuzulassen, ohne dass dadurch die Prüfung materiell-rechtlicher Fragen zum Gegenstand der prozessualen Kostenentscheidung gemacht werden könnte.
d) Schließlich scheidet auch eine entsprechende Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO aus. Eine vergleichbare Fallgestaltung ist nicht gegeben; ebenso wenig wird eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigte Regelungslücke erkennbar. Die Vorschrift bestimmt, dass die Kosten des Rechtsstreits wie bei einer übereinstimmenden Erledigungserklärung zu verteilen sind, wenn der Anlass zur Klagerhebung vor Rechtshängigkeit weggefallen ist und der Kläger die Klage daraufhin zurücknimmt. Nach bisheriger Rechtslage hatte der Kläger in diesen Fällen keine Möglichkeit, in dem laufenden Verfahren eine für ihn nachteilige Kostenentscheidung zu vermeiden, selbst wenn der Beklagte Anlass zur Erhebung der Klage gegeben hatte. Ihm war auch der Weg über eine Erledigungserklärung mit dem Ziel einer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO verschlossen, weil diese Möglichkeit eine Erledigung des Rechtsstreits nach Rechtshängigkeit voraussetzt. Deshalb hat das ZPO-Reformgesetz eine Abweichung von dem Grundsatz des § 269 Abs. 3 S. 2 eingeführt (BGH, Beschl. v. 27.10.2003 - II ZB 38/02, BGHReport 2004, 274 = MDR 2004, 408, unter II 2; v. 18.11.2003 - VIII ZB 72/03, BGHReport 2004, 562, unter II 1, 2a; v. 18.12.2003 - VII ZB 55/02, ZfBR 2004, 373, unter III 1). Aus Gründen der Prozessökonomie ist ausnahmsweise ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch bereits für die Kostenentscheidung des laufenden Rechtsstreits zu berücksichtigen; ein neues Verfahren wird dafür nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung gem. § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO hat nach billigem Ermessen zu ergehen. Sie fordert unter Würdigung des bisherigen Sach- und Streitstandes eine sachliche Prüfung nicht nur der geltend gemachten Forderung, sondern auch des behaupteten erledigenden Ereignisses und ggf. eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs (BT-Drucks. 14/4722, 81, § 91a ZPO; BGH, Beschl. v. 28.10.2004 - III ZB 43/04, BGHReport 2005, 259 = MDR 2005, 287 = ZVI 2004, 730, unter II 1b bb). Mit diesen Fragen soll die prozessuale Kostenentscheidung - von dem im Gesetz geregelten Ausnahmefall abgesehen - sonst nicht belastet werden. Die Vorschrift des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ist daher einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich.
Der Kläger war überdies nicht vor die - von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO allein erfasste - Situation gestellt, bei Wegfall des Anlasses für die Einreichung einer (begründeten) Klage bereits kostenauslösende Maßnahmen getroffen zu haben. Die Vorschrift des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO hat nicht zum Zweck, den Kläger von der Prüfung der materiellen Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage zu entlasten. Das muss er aus eigenem Risiko beurteilen, auch wenn die gegnerische Partei ihm gegenüber vorgerichtlich als passivlegitimiert aufgetreten ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1397930 |
BGHR 2005, 1491 |
NJW-RR 2005, 1662 |
ProzRB 2005, 259 |