Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Berufung. Mängel der Berufungsschrift. Prozessuale Formvorschriften. Formmangel. Abgekürztes Rubrum. Zweifel an der Identität des angegriffenen Urteils. Abgleich der Berufungsschrift mit erstinstanzlichen Prozessakten. Vor Ablauf der Berufungsfrist
Leitsatz (amtlich)
Eine Berufung darf nicht mehr wegen Mängel bei den Formerfordernissen des § 519 Abs. 2 ZPO verworfen werden, wenn sich diese Mängel über einen Abgleich mit den erstinstanzlichen Prozessakten vor Ablauf der Berufungsfrist als unschädlich erweisen.
Normenkette
ZPO § 519 Abs. 2, § 522 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Köln (Beschluss vom 25.04.2006; Aktenzeichen 23 S 73/05) |
AG Köln (Urteil vom 25.11.2005; Aktenzeichen 120 C 293/02) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 23. Zivilkammer des LG Köln vom 25.4.2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird abgesehen (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Beschwerdewert: 4.722,33 EUR
Gründe
[1] I. Durch das am 25.11.2005 verkündete, der Klägerin am 9.12.2005 zugestellte Urteil wies das AG Köln die Klage auf Erstattung ärztlicher Behandlungskosten i.H.v. 4.722,33 EUR nebst Zinsen ab. Dagegen legte der Streithelfer - behandelnder Arzt der Klägerin - mit einem am 17.12.2005 bei der gemeinsamen Briefannahmestelle des LG und des AG Köln eingegangenem Telefax Berufung ein. Die Berufungsschrift enthielt lediglich ein abgekürztes Rubrum bestehend aus dem Nachnamen der Klägerin und einer Kurzform der Firmenbezeichnung der Beklagten, das Aktenzeichen des angefochtenen Urteils und einen formulierten Antrag (Aufhebung und Zurückverweisung oder - im Falle einer Sachentscheidung - Zahlung des bezifferten Klagebetrages nebst genauer Zinsforderung). Erstinstanzliches Gericht, Verkündungs- und Zustellungsdatum, Streithelfer, Parteibezeichnungen und Parteirollen im Rechtsmittelverfahren waren nicht angegeben; eine Urteilsabschrift war nicht beigefügt.
[2] Auf Verfügung vom 20.12.2005 "U.m.A. dem LG Köln - Berufung" - gingen die Vorgänge am 22.12.2005 beim LG ein. Am 27.1.2006 verlängerte die Vorsitzende der zuständigen Zivilkammer die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zum 9.3.2006. Nach fristgerechtem Eingang der Berufungsbegründung wies sie den Streithelfer auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung hin, da die Berufungsschrift nicht die gem. § 519 ZPO erforderlichen Angaben enthielte.
[3] Durch Beschluss vom 25.4.2006 hat das LG die Berufung wegen Verstoßes gegen das Formerfordernis des § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und der daraus folgenden Nichteinhaltung der Berufungsfrist des § 517 ZPO als unzulässig verworfen und zur Begründung weiter ausgeführt: Infolge der fehlenden Ortsangabe des erstinstanzlichen Gerichts habe es sich aus den vorhandenen Unterlagen nicht die Gewissheit über die Identität des angefochtenen Urteils verschaffen können, zumal dem LG Köln als Berufungsinstanz und damit auch der Sachgebietskammer für Personenversicherung neun AG zugeordnet seien. Ein weiterer Formverstoß liege in der unterbliebenen Bezeichnung des Rechtsmittelführers und der schlechterdings nicht erkennbaren Beteiligung des Streithelfers.
[4] Hiergegen richtet sich die vom Streithelfer eingelegte Rechtsbeschwerde.
[5] II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO; vgl. BGHZ 165, 371, 372 f. m.w.N.). Sie ist auch begründet, weil sich die Mängel der Berufungsschrift im Streitfall als unschädlich erwiesen haben. Auf die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Grundsatzfrage, ob ein Berufungsgericht rechtzeitig auf formelle Mängel hinzuweisen habe, kommt es nicht an.
[6] 2. Im Ausgangspunkt stellt das Berufungsgericht zutreffend fest, dass die Berufungsschrift den an eine wirksame Berufungseinlegung gem. § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu stellenden Formerfordernissen nicht genügt. Dazu gehört vor allem die vollständige und eindeutige Bezeichnung des Urteils und des Berufungsführers, die ihrerseits die Angaben der Parteien, des Gerichts, das das angefochtene Urteil erlassen hat, des Verkündungstermins, des Aktenzeichens, des Berufungsklägers und des Berufungsbeklagten erfordert (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 24.4.2003 - III ZB 94/02, BGHReport 2003, 825 = MDR 2003, 948 = VersR 2004, 623 unter 2a; Urteile v. 11.1.2001 - III ZR 113/00, MDR 2001, 529 = BGHReport 2001, 260 = VersR 2002, 212 unter II 1 und 19.2.2002 - VI ZR 394/00, BGHReport 2002, 518 = MDR 2002, 713 - BGHR ZPO § 518 (i.d.F. vom 3.12.1976) Abs. 2 "Parteibezeichnung 19"; jeweils m.w.N.). Gemessen daran war die Berufungsschrift, wie auch die Rechtsbeschwerde einräumt, mangelhaft. Insbesondere bleiben bei bloßer Mitteilung des Aktenzeichens ohne weitere Angaben zum Gericht des ersten Rechtszuges nicht behebbare Zweifel an der Identität des angegriffenen Urteils. Diese Unsicherheiten ergaben sich bereits aus der Zuständigkeit des Berufungsgerichts für neun AG (vgl. Senatsbeschluss v. 8.10.1986 - IVa ZB 12/86 - BGHR ZPO § 518 Abs. 2 Nr. 1 "Urteilsbezeichnung 1"), und wurden zusätzlich verstärkt durch die Möglichkeit, dass - wie im Streitfall auch geschehen - der Gerichtsstand der Hauptniederlassung der Beklagten durch den des Versicherungsagenten (§ 48 VVG) verdrängt werden kann.
[7] Ebenso wenig war in der Berufungsschrift mit der gebotenen Deutlichkeit angegeben, für wen die Berufung eingelegt werden sollte (vgl. BGH, Urt. v. 8.4.2004 - III ZR 20/03, MDR 2004, 931 = BGHReport 2004, 925 - BGHR ZPO (1.1.2002) § 519 Abs. 2 "Parteibezeichnung 1"); die Antragsformulierung sprach insoweit lediglich gegen die Beklagte. Für die Stellung des Streithelfers als alleinigen Rechtsmittelführer (vgl. RGZ 147, 125; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 27. Aufl., § 67 Rz. 4) fehlte indes jeder Anhalt.
[8] 3. Richtig ist ferner der Hinweis des Berufungsgerichts, dass die danach bestehenden Unklarheiten behoben wären, wenn der Berufungsschrift entsprechend der Sollvorschrift des § 519 Abs. 3 ZPO eine Abschrift der angefochtenen Entscheidung beigefügt worden wäre (BGHZ 165, 371, 373). Dies ist aber nicht die einzige Möglichkeit, über die Mängel einer Berufungsschrift ausgeglichen werden können.
[9] Anerkannt ist insb., dass - gemessen an den formalen Anforderungen des § 519 Abs. 2 ZPO - an sich unzureichende Angaben unschädlich sein können, wenn sich vor Ablauf der Berufungsfrist im Zusammenhang mit den Prozessakten für das Berufungsgericht zweifelsfrei ergibt, welches Urteil von wem angegriffen wird (BGH, Beschl. v. 24.4.2003a.a.O. unter 2b; v. 25.2.1993 - VII ZB 22/92, BRAK 1993, 179 = MDR 1994, 98 - BGHR ZPO § 518 Abs. 2 Nr. 1 "Urteilsbezeichnung 7" unter 2; Musielak/Ball, ZPO 5. Aufl., § 519 Rz. 4; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO 26. Aufl., § 519 Rz. 33; jeweils m.w.N.). Denn die prozessualen Formvorschriften sind kein Selbstzweck. Sie sollen insb. dem Rechtsmittelgericht eine rasche und unkomplizierte Anforderung der erstinstanzlichen Akten ermöglichen und damit den Geschäftsgang erleichtern und ihm zu einer eindeutigen Identifizierung des angefochtenen Urteils und Klärung des Rechtsmittelführers verhelfen (vgl. BGHZ 165, 371, 375; BGH, Urt. v. 8.4.2004a.a.O.).
[10] Dem hat das Berufungsgericht nicht Rechnung getragen. Ihm lagen ab dem 22.12.2005 die Berufungsschrift und die vollständigen erstinstanzlichen Akten vor; diese waren nach Eingang der Berufung bei der Briefannahmestelle bereits beigezogen und ihre Übersendung zusammen mit der Berufungsschrift am 20.12.2005 verfügt worden. Die Berufungsfrist lief erst am 9.1.2006 ab. Das Berufungsgericht war daher trotz der unvollständigen Berufungsschrift seit Beginn seiner Befassung mit der Sache nicht gehindert, seine prozessvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen (vgl. BGHZ 165, 371, 374). Über einen Abgleich der Berufungsschrift mit dem in den Prozessakten befindlichen erstinstanzlichen Urteil waren zudem unschwer jedwede bestehenden Zweifel mit völliger Sicherheit auszuräumen. Das Aktenzeichen, die Namen der Parteien, der Prozessbevollmächtigte des Streithelfers und die formulierten Anträge mit den genauen Angaben zum Zahlungsbegehren einschließlich Zinsforderung ergaben nunmehr eindeutig, dass der Streithelfer auf Klägerseite das vorliegende Urteil des AG Köln überprüft wissen wollte. Selbst die anfangs bestehende theoretische Möglichkeit mehrerer Verfahren der Parteien bei verschiedenen AG des Bezirks des Berufungsgerichts war damit lange vor Ablauf der Berufungsfrist ausgeschlossen.
[11] Eine Verwerfung der Berufung wegen formunwirksamer Einlegung kam danach nicht mehr in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 1697739 |
BB 2007, 630 |
BGHR 2007, 525 |
EBE/BGH 2007 |
FamRZ 2007, 553 |
NJW-RR 2007, 935 |
AnwBl 2007, 379 |
MDR 2007, 734 |
VersR 2007, 663 |
BRAK-Mitt. 2007, 60 |