Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhöhung der Regelvergütung eines Insolvenzverwalters bei Fortführung des Unternehmens des Schuldners durch den Verwalter und Gleichbleiben der Masse trotz der Fortführung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine den Regelsatz übersteigende Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist nach § 3 I lit. b Fall 1 InsVV festzusetzen, wenn der Verwalter das Unternehmen des Schuldners fortgeführt hat und die Masse dadurch nicht entsprechend größer geworden ist. Beide Tatbestandsmerkmale müssen kumulativ gegeben sein. Von einer „entsprechend” größeren Masse ist auszugehen, wenn die Erhöhung der Vergütung, die sich aus der Massemehrung ergibt, ungefähr den Betrag erreicht, der dem Verwalter bei unveränderter Masse über einen Zuschlag zustände. Denn der Insolvenzverwalter, der durch die Betriebsfortführung eine Anreicherung der Masse bewirkt, darf vergütungsmäßig nicht schlechter stehen, als wenn die Masse nicht angereichert worden wäre. Ist die aus der Massemehrung sich ergebende Erhöhung der Vergütung niedriger als der Betrag, der über den Zuschlag ohne Massemehrung verdient wäre, hat das Insolvenzgericht einen Zuschlag zu gewähren, der die bestehende Differenz in etwa ausgleicht. Höher darf er nicht sein. Andernfalls würde der Insolvenzverwalter für seine Bemühungen um die Betriebsfortführung doppelt honoriert. Dies ist zu vermeiden.
2. Danach ist vom Gericht eine Vergleichsrechnung durchzuführen, bei der es den Wert, um den sich die Masse durch die Unternehmensfortführung vergrößert hat, und die dadurch bedingte Zunahme der Regelvergütung mit der Höhe der Vergütung zu vergleichen hat, die ohne die Massemehrung über den dann zu gewährenden Zuschlag erreicht würde.
3. Eine überlange Verfahrensdauer rechtfertigt für sich gesehen als solche keinen Zuschlag. Die Verfahrensdauer kann jedoch einen Zuschlag rechtfertigen, wenn der Verwalter stärker als in Insolvenzverfahren allgemein üblich in Anspruch genommen worden ist. Ob die Voraussetzungen für einen Zuschlag vorliegen, ist vom Tatrichter unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Dessen Entscheidung ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur darauf zu überprüfen, ob sie die Gefahr der Verschiebung von Maßstäben mit sich bringt.
4. Die vorbereitende Tätigkeit eines Beschwerdeführers als vorläufiger Insolvenzverwalter kann vergütungsmindernd in Rechnung gestellt werden.
5. Im Verfahren der sofortigen Beschwerde gilt zwar das Verschlechterungsverbot mit der Folge, dass die Position eines(alleinigen) Rechtsmittelführers nicht zu seinem Nachteil verändert werden darf. Das Beschwerdegericht darf deshalb die einem Rechtsmittelführer in erster Instanz zugesprochene Vergütung nicht herabsetzen. Es wird aber durch das Verschlechterungsverbot nicht gehindert, bei Feststellung der angemessenen Vergütung im Einzelfall Vergütungsfaktoren anders zu bemessen als das Insolvenzgericht, soweit es den Vergütungsbetrag insgesamt nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers ändert.
Normenkette
InsVV § 3 Abs. 1 Buchst. b Alt. 1
Verfahrensgang
LG Memmingen (Beschluss vom 29.04.2008; Aktenzeichen 4 T 2155/07) |
AG Memmingen (Beschluss vom 19.11.2007; Aktenzeichen IN 63/01) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des weiteren Beteiligten werden der Beschluss des Amtsgerichts Memmingen vom 19. November 2007 und der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Memmingen vom 29. April 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung – auch über die Kosten des Verfahrens – an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 43.607,04 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Der Antragsteller (nachfolgend auch: Beteiligter) ist Verwalter in dem am 16. August 2001 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der V. GmbH (fortan: Schuldnerin), einer Bauträgergesellschaft, für die er schon im Eröffnungsverfahren mit Beschluss vom 4. Mai 2001 zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt worden war.
Rz. 2
Mit seinem Schlussbericht vom 28. August 2007 hat der Beteiligte die Festsetzung seiner Vergütung und Auslagen beantragt. Die Teilungsmasse besteht zu einem erheblichen Teil aus Feststellungsbeiträgen absonderungsberechtigter Gläubiger, die Rechte an den vom Beteiligten fertig gestellten Bauprojekten hatten. Der Beteiligte hat beantragt, einen Zuschlag von insgesamt 30 v.H. auf den Regelsatz festzusetzen. Dieser soll sich aus einem Zuschlag von 35 v.H. für Betriebsfortführung und einem Abschlag von 5 v.H. für die Tätigkeit als vorläufiger Verwalter zusammensetzen.
Rz. 3
Mit Beschluss vom 19. November 2007 hat das Insolvenzgericht die Vergütung abweichend vom Antrag des Beteiligten auf 75 v.H. der Regelvergütung festgesetzt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beteiligten hat das Landgericht durch Beschluss vom 29. April 2008 zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Beteiligte seinen ursprünglichen Vergütungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, das Insolvenzgericht sei nicht gezwungen, Zu- und Abschlagstatbestände im Einzelnen zu bewerten; ausreichend sei eine im Ergebnis angemessene Gesamtwürdigung. Die vom Beteiligten als „Betriebsfortführung” angesehene Veräußerung der schuldnerischen Immobilien sei durch die Sondervergütung nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 InsVV angemessen berücksichtigt. Die Dauer des Verfahrens stelle für sich allein noch kein Zuschlagskriterium dar. Die Tätigkeit als vorläufiger Verwalter führe regelmäßig zu einem Abschlag auf die Vergütung des endgültigen.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 6, 7, 64 Abs. 3 Satz 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 575 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Rz. 6
1. Mit Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Ausführungen des Beschwerdegerichts nicht mit den Grundsätzen vereinbar sind, die der Senat zur Erhöhung der Regelvergütung nach § 3 Abs. 1 Buchst. b Alt. 1 InsVV aufgestellt hat. Eine den Regelsatz übersteigende Vergütung ist festzusetzen, wenn der Verwalter das Unternehmen des Schuldners fortgeführt hat und die Masse dadurch nicht entsprechend größer geworden ist. Beide Tatbestandsmerkmale müssen kumulativ gegeben sein. Von einer „entsprechend” größeren Masse ist auszugehen, wenn die Erhöhung der Vergütung, die sich aus der Massemehrung ergibt, ungefähr den Betrag erreicht, der dem Verwalter bei unveränderter Masse über einen Zuschlag (§ 3 Abs. 1 Buchst. b Alt. 1 InsVV) zustände. Denn der Insolvenzverwalter, der durch die Betriebsfortführung eine Anreicherung der Masse bewirkt, darf vergütungsmäßig nicht schlechter stehen, als wenn die Masse nicht angereichert worden wäre. Ist die aus der Massemehrung sich ergebende Erhöhung der Vergütung niedriger als der Betrag, der über den Zuschlag ohne Massemehrung verdient wäre, hat das Insolvenzgericht einen Zuschlag zu gewähren, der die bestehende Differenz in etwa ausgleicht. Höher darf er nicht sein. Andernfalls würde der Insolvenzverwalter für seine Bemühungen um die Betriebsfortführung doppelt honoriert. Dies ist zu vermeiden (BGH, Beschl. v. 22. Februar 2007 – IX ZB 106/06, ZIP 2007, 784, 786; v. 22. Februar 2007 – IX ZB 120/06, ZIP 2007, 826; v. 24. Januar 2008 – IX ZB 120/07, ZInsO 2008, 266 Rn. 7).
Rz. 7
Nach dieser Rechtsprechung hätte das Beschwerdegericht eine Vergleichsrechnung durchführen müssen, bei der es den Wert, um den sich die Masse durch die Unternehmensfortführung vergrößert hat, und die dadurch bedingte Zunahme der Regelvergütung mit der Höhe der Vergütung zu vergleichen hatte, die ohne die Massemehrung über den dann zu gewährenden Zuschlag erreicht würde. Dies ist nicht geschehen. Die Entscheidung lässt nicht einmal eindeutig erkennen, ob das Beschwerdegericht überhaupt von einer Betriebsfortführung, die hier in einer Form vorliegen dürfte, die einer Auslaufproduktion entspricht, ausgegangen ist. Erst nach einer solchen Vergleichsberechnung hätte das Beschwerdegericht entsprechend der von ihm mit Recht herangezogenen Entscheidung des Senats vom 11. Mai 2006 (IX ZB 249/04, ZInsO 2006, 642 Rn. 12; vgl. auch BGH, Beschl. v. 6. Mai 2010 – IX ZB 123/09, ZInsO 2010, 1504 Rn. 7) eine Gesamtwürdigung der in Betracht zu ziehenden Zu- und Abschlagstatbestände vornehmen dürfen.
Rz. 8
2. Nicht zu beanstanden ist – entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdebegründung – die Auffassung des Beschwerdegerichts, eine überlange Verfahrensdauer rechtfertige für sich gesehen als solche keinen Zuschlag. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung. Die Verfahrensdauer kann einen Zuschlag rechtfertigen, wenn der Verwalter stärker als in Insolvenzverfahren allgemein üblich in Anspruch genommen worden ist (BGH, Beschl. v. 11. Mai 2006, aaO Rn. 42; v. 6. Mai 2010, aaO; v. 16. September 2010 – IX ZB 154/09 Rn. 8 z.V.b.). Ob die Voraussetzungen für einen Zuschlag vorliegen, ist vom Tatrichter unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen (BGH, Beschl. v. 11. Mai 2006, aaO Rn. 44; v. 1. März 2007 – IX ZB 277/05, Rn. 7; v. 22. März 2007 – IX ZB 201/05, ZInsO 2007, 370 Rn. 3; v. 13. November 2008 – IX ZB 141/07, ZInsO 2009, 55 Rn. 10). Dessen Entscheidung ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur darauf zu überprüfen, ob sie die Gefahr der Verschiebung von Maßstäben mit sich bringt (BGH, Beschl. v. 4. Juli 2002 – IX ZB 31/02, ZIP 2002, 1459, 1460; v. 12. Juni 2008 – IX ZB 184/07 Rn. 4; v. 13. November 2008 – IX ZB 141/07, ZInsO 2009, 55 Rn. 8).
Rz. 9
3. Nach ständiger Rechtsprechung kann die vorbereitende Tätigkeit des Beschwerdeführers als vorläufiger Insolvenzverwalter vergütungsmindernd in Rechnung gestellt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 4. Februar 2010 – IX ZB 96/08 Rn. 2; v. 8. Juli 2010 – IX ZB 222/09, ZInsO 2010, 1503 Rn. 4). Hiervon ist das Beschwerdegericht, in dessen tatrichterliche Verantwortung die Bemessung des Abschlags auch insoweit fällt, zutreffend ausgegangen. Ein im Rechtsbeschwerdeverfahren erheblicher Fehler ist seiner Entscheidung insoweit nicht zu entnehmen.
Rz. 10
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die vom Beschwerdegericht nachzuholende Vergleichsrechnung nicht zu einer Erhöhung der Vergütung führen muss. Im Verfahren der sofortigen Beschwerde gilt zwar das Verschlechterungsverbot (BGH, Beschl. v. 6. Mai 2004 – IX ZB 349/02, BGHZ 159, 122, 124 ff) mit der Folge, dass die Position des (alleinigen) Rechtsmittelführers nicht zu seinem Nachteil verändert werden darf. Das Beschwerdegericht darf deshalb die dem Rechtsmittelführer in erster Instanz zugesprochene Vergütung nicht herabsetzen. Es wird aber durch das Verschlechterungsverbot nicht gehindert, bei Feststellung der angemessenen Vergütung im Einzelfall Vergütungsfaktoren anders zu bemessen als das Insolvenzgericht, soweit es den Vergütungsbetrag insgesamt nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers ändert (BGH, Beschl. v. 16. Juni 2005 – IX ZB 285/03, ZIP 2005, 1371; v. 28. September 2006 – IX ZB 108/05, ZIP 2006, 2186 Rn. 4)
Fundstellen
Haufe-Index 2934839 |
ZInsO 2010, 2409 |
ZInsO 2010, 2409, 2410 |