Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtvollstreckungsordnung. Schuldlose Versäumung der Anmeldefrist. Zurückweisung verspäteten Vorbringens § 296 ZPO analog
Leitsatz (amtlich)
Hat der Gläubiger im Anwendungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung die Anmeldefrist schuldlos versäumt, ist § 296 ZPO entsprechend anzuwenden; § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gilt nicht.
Normenkette
GesO § 5 Nr. 3, § 14 Abs. 1; ZPO § 234 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Neuruppin (Beschluss vom 15.03.2005; Aktenzeichen 5 T 116/04) |
AG Neuruppin (Beschluss vom 19.03.2004; Aktenzeichen 15 N 455/96) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin werden der Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Neuruppin vom 15.3.2005 und der Beschluss des AG Neuruppin vom 19.3.2004 aufgehoben.
Die von der Gläubigerin angemeldete Forderung wird zur Aufnahme in die Tabelle zur späteren Prüfung zugelassen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat die Masse zu tragen.
Der Gegenstandswert für das Verfahren der Rechtsbeschwerde wird auf 206.941,37 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] In dem am 30.10.1996 eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin hat das Insolvenzgericht die Anmeldefrist für Forderungen auf den 17.1.1997 bestimmt. Den Prüfungstermin hat es auf den 7.2.1997 festgelegt. Im Jahre 1993 hatte die Schuldnerin Grundstücke an die Rechtsvorgängerin der beteiligten Gläubigerin (fortan nur Gläubigerin) veräußert. Seit Herbst 1998 führte der beteiligte Gesamtvollstreckungsverwalter (fortan nur Verwalter) gegen die Gläubigerin einen Rechtsstreit, mit dem er hinsichtlich einer Teilfläche die Zustimmung der Gläubigerin zur Grundbuchberichtigung begehrte. Das LG wies die Klage ab. Das OLG verurteilte die Gläubigerin durch Urteil vom 27.9.2001 zur Zustimmung. Der BGH nahm die Revision der Gläubigerin durch Beschluss vom 17.10.2002 nicht zur Entscheidung an.
[2] Mit Schreiben vom 10.3.2003 meldete die Gläubigerin ihren Anspruch auf Rückzahlung des für die Teilfläche geleisteten Kaufpreises von umgerechnet 1.290.158,14 EUR zur Tabelle an. Der Verwalter ist der Aufnahme in die Tabelle unter Hinweis auf § 14 Abs. 1 GesO i.V.m. §§ 233 f ZPO entgegengetreten. Die Vorinstanzen haben den Antrag der Gläubigerin, der nachträglichen Aufnahme der nach Fristablauf angemeldeten Forderung zuzustimmen, abgelehnt. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin die Aufnahme ihrer Forderung in die Tabelle weiter.
II.
[3] Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft, weil Entscheidungen des Gesamtvollstreckungsgerichts nach §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 20 GesO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind und das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 15.1.2004 - IX ZB 62/03, MDR 2004, 644 = BGHReport 2004, 547 = ZIP 2004, 1072).
[4] Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Forderungsanmeldung der Gläubigerin ging zwar erst im März 2003 und damit nach Ablauf der am 17.1.1997 endenden Anmeldefrist beim Gesamtvollstreckungsverwalter ein. Sie muss jedoch gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 GesO vom Verwalter in die Tabelle zur späteren Prüfung aufgenommen werden, weil die verspätete Anmeldung unverschuldet war.
[5] 1. Das Beschwerdegericht geht davon aus, dass im Falle der Aufnahme der angemeldeten Forderung in die Tabelle zur späteren Prüfung der dann erforderliche besondere Prüfungstermin die weitere Abwicklung des Insolvenzverfahrens in keiner Weise verzögert hätte (vgl. § 296 Abs. 1 ZPO). Ein zusätzlicher Termin wäre in gleicher Weise erforderlich geworden, wenn die Gläubigerin die Forderung "nach Wegfall des Hindernisses" innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist (vgl. § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) angemeldet hätte. Es komme deshalb darauf an, ob die Verspätung unverschuldet sei. Dies bestimme sich in entsprechender Anwendung der §§ 233, 234 ZPO. Danach könne eine verspätete Anmeldung nur dann als unverschuldet gewertet werden, wenn sie innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses erfolge. Maßgeblicher Zeitpunkt sei vorliegend die Zustellung der für die Gläubigerin negativen Berufungsentscheidung. Selbst wenn auf die Nichtannahmeentscheidung des BGH abzustellen sei, habe die Gläubigerin die Zweiwochenfrist nicht gewahrt.
[6] 2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[7] a) In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung sowie im Schrifttum ist streitig, ob die Vorschriften der §§ 233, 234 ZPO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend anzuwenden sind, wenn der Gläubiger die Frist zur Anmeldung zur Tabelle versäumt hat (wie das Beschwerdegericht: LG Berlin v. 10.7.1996 - 81 T 368/96, ZIP 1996, 1713 f.; LG Frankfurt/O. ZIP 1996, 1225; LG Halle ZInsO 1998, 42; LG Meiningen v. 26.5.1999 - 4 T 145/99, ZIP 1999, 1055, 1056; dagegen: OLG Dresden v. 29.11.1993 - 2 U 1011/93, ZIP 1993, 1826, 1828; Hess/Binz/Wienberg, GesO 4. Aufl., § 14 Rz. 32 ff., 41; Pape ZIP 1992, 1289, 1291 f.). Der BGH hat die Frage bisher nicht entschieden (vgl. BGH v. 25.11.1993 - IX ZR 84/93, BGHZ 124, 247, 248 f. = MDR 1994, 368).
[8] b) Auszugehen ist von der in der Rechtsprechung des BVerfG hervorgehobenen Grundrechtsrelevanz des § 14 Abs. 1 Satz 1 GesO, der den Insolvenzgläubiger, mag seine Forderung auch zunächst bestehen bleiben, daran hindert, wenigstens die Quote des Gesamtvollstreckungsverfahrens durchzusetzen (vgl. BVerfG v. 26.4.1995 - 1 BvL 19/94, 1 BvR 1454/94, MDR 1995, 1020 = WM 1995, 1078, 1080 f.). Das BVerfG hat den Ausschluss verspätet angemeldeter Forderungen mit der Eigentumsgarantie als vereinbar angesehen, weil er das Gesamtvollstreckungsverfahren straffe und beschleunige und damit erreiche, dass die materielle Berechtigung der angemeldeten Forderungen möglichst zeitnah zur Eröffnung in nur einem Termin geprüft werde. Seien nur die innerhalb der Anmeldefrist angemeldeten Forderungen zu berücksichtigen, so führe jede danach eingehende Anmeldung zu einer neuerlichen Tätigkeit des Verwalters. Die starre Frist zwinge den Gläubiger, seinerseits zur Straffung des Verfahrens beizutragen. Müsste stets geprüft werden, ob eine verspätete Anmeldung das Verfahren tatsächlich verzögert habe, so ergäbe sich schon hieraus und aus dem möglichen Streit darüber eine längere Verfahrensdauer (BVerfG a.a.O. S. 1080 f.).
[9] aa) Entgegen der Auffassung des LG kann aus diesen Erwägungen für eine entsprechende Anwendbarkeit der §§ 233, 234 ZPO nichts hergeleitet werden. Die Darlegungen des BVerfG betreffen den Fall, dass der Insolvenzgläubiger die ursprünglich gesetzte Frist schuldhaft versäumt. Dies verdeutlichen auch dessen weitere Ausführungen, die den Ausschlusscharakter für zumutbar erklären, weil der Gläubiger die verspätete Anmeldung entschuldigen könne. Hierbei seien die Gerichte gehalten, der Bedeutung und Tragweite der Eigentumsgarantie Rechnung zu tragen (BVerfG a.a.O. S. 1081).
[10] bb) Mit einem solchen Verständnis ist es nicht zu vereinbaren, einem Insolvenzgläubiger, der - wie hier - die gesetzte Frist für die Anmeldung der Forderung schuldlos versäumt hat, den Weg zur nachträglichen Anmeldung der Forderung nur deshalb abzuschneiden, weil er eine im Wiedereinsetzungsrecht der Zivilprozessordnung vorgesehene Frist nicht eingehalten hat. Wie das Beschwerdegericht selbst sieht, ist hierdurch keine Verzögerung des Verfahrens eingetreten. Das Insolvenzverfahren ist vielmehr aus Gründen, die mit der nachträglichen Forderungsanmeldung der Gläubigerin nicht im Zusammenhang stehen, noch nicht abgeschlossen.
[11] Für die entsprechende Anwendung der Wiedereinsetzungsfrist bietet die Gesamtvollstreckungsordnung keine Grundlage. Sie ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Verweisungsnorm des § 1 Abs. 3 GesO, wonach die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden sind. Diese Verweisung führt allenfalls zur Anwendung des § 234 ZPO gegenüber einem an dem Gesamtvollstreckungsverfahren bereits Beteiligten. Vor seiner Forderungsanmeldung erlangt der Gläubiger diese verfahrensrechtliche Stellung indes nicht.
[12] Gegen die entsprechende Anwendung des § 234 ZPO spricht des Weiteren die mangelnde Vergleichbarkeit der prozessualen Lagen. Das Wiedereinsetzungsrecht betrifft insb. Fristen, die einen neuen Verfahrensabschnitt eröffnen. Der Lauf dieser Fristen berührt stets auch die Interessen der gegnerischen Partei. Sie soll sich auf ihren Ablauf einstellen können. Darum geht es bei der Anmeldefrist des § 5 Nr. 3 GesO indes nicht. Diese Frist soll die "Stoffsammlung" im Gesamtvollstreckungsverfahren beschleunigen, nämlich die Ermittlung der Forderungen, auf welche die Masse verteilt werden soll. Das Ergebnis dieser "Stoffsammlung" erfahren die Beteiligten regelmäßig erst im Schlusstermin. Vor diesem Zeitpunkt können sie in ihrem rechtlich geschützten Anspruch, Rechtssicherheit im Verfahren zu genießen, nicht beeinträchtigt sein. Der mit den Vorschriften der §§ 5 Nr. 3, 14 Abs. 1 GesO verfolgte Beschleunigungszweck rückt die Regelung in die Nähe der ebenfalls die Stoffsammlung betreffenden Vorschrift des § 296 ZPO. Danach ist der Gläubiger grundsätzlich gehalten, die Forderungsanmeldung unverzüglich nach Wegfall des Hindernisses vorzunehmen. Im Streitfall hat die Anmeldung erst mit Schreiben vom 10.3.2003 keine Verzögerung nach sich gezogen. Deshalb besteht keine Veranlassung, die Obliegenheiten des nachträglich anmeldenden Gläubigers in zeitlicher Hinsicht zu konkretisieren. Jedenfalls gibt es keinen sachlich überzeugenden Grund, eine Forderungsanmeldung unberücksichtigt zu lassen, deren Verspätung der Anmeldende nicht zu vertreten hat und deren Berücksichtigung das Gesamtvollstreckungsverfahren nicht verzögert.
Fundstellen
Haufe-Index 1742179 |
BGHR 2007, 733 |
EBE/BGH 2007 |
WM 2007, 979 |
WuB 2007, 563 |
ZIP 2007, 974 |
DZWir 2007, 346 |
MDR 2007, 1043 |
NZI 2007, 411 |
NZI 2008, 52 |
ZInsO 2007, 494 |