Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiordnung eines Rechtsanwalts bei Pfändung aus einem Unterhaltstitel
Leitsatz (amtlich)
Wegen der sich aus der Regelung des § 850d ZPO ergebenden rechtlichen Schwierigkeiten bei der Pfändung aus einem Unterhaltstitel ist es in der Regel erforderlich, einem Unterhaltsgläubiger, dem Prozesskostenhilfe für die Stellung eines Antrags auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gewährt wird, einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt beizuordnen.
Normenkette
ZPO § 121 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Tübingen (Beschluss vom 16.09.2011; Aktenzeichen 5 T 120/11) |
AG Reutlingen (Beschluss vom 07.04.2011; Aktenzeichen 21 M 1247/11) |
Tenor
1. Auf die Rechtsmittel der Gläubiger werden der Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Tübingen vom 16.9.2011 und der den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts zurückweisende Beschluss des AG - Vollstreckungsgericht - Reutlingen vom 7.4.2011 aufgehoben.
2. Den Gläubigern wird für den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses Rechtsanwalt L., R., beigeordnet.
Gründe
I.
Rz. 1
Die durch ihre Mutter vertretenen minderjährigen Gläubiger betreiben gegen ihren Vater aus einem Versäumnisbeschluss des AG - FamG - die Zwangsvollstreckung wegen rückständiger und laufender Unterhaltsansprüche. Sie haben für einen Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit dem die Ansprüche des Schuldners gegen seinen Arbeitgeber auf Zahlung von Arbeitseinkommen sowie Forderungen des Schuldners gegen eine Bank gepfändet und ihnen zur Einziehung überwiesen werden sollten, Verfahrenskostenhilfe und die Beiordnung von Rechtsanwalt L. beantragt.
Rz. 2
Das AG hat ihnen mit Beschluss vom 7.4.2011 für die Zwangsvollstreckungsmaßnahme "Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses" Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt, den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts für diese Zwangsvollstreckungsmaßnahme jedoch zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das LG mit am 22.9.2011 zugestelltem Beschluss zurückgewiesen. Der Senat hat den Gläubigern für die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde mit am 1.12.2011 zugestelltem Beschluss Prozesskostenhilfe gewährt und ihnen die Sozietät Rechtsanwälte Prof. Dr. V. und Dr. Sch. beigeordnet. Die Gläubiger haben am 9.12.2011 Rechtsbeschwerde eingelegt und wegen Versäumung der Fristen für die Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Senat hat dem Antrag bezüglich der Versäumung der Einlegungsfrist mit Beschluss vom 22.12.2011 entsprochen. Mit der am 2.1.2012 begründeten Rechtsbeschwerde verfolgen die Gläubiger ihren Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt L. weiter.
II.
Rz. 3
1. Dem fristgerecht gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde war gem. § 233 ZPO zu entsprechen. Die Gläubiger waren aus finanziellen Gründen erst nach Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines bei dem BGH zugelassenen Rechtsanwalts zur Begründung der Rechtsbeschwerde in der Lage. Die Versäumung dieser Frist war damit entschuldigt. Die einmonatige Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde nach Zustellung des Beschlusses über die Gewährung von Prozesskostenhilfe haben die Gläubiger eingehalten.
Rz. 4
2. Die gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
Rz. 5
a) Das LG ist der Auffassung, die Beiordnung eines Rechtsanwalts sei nicht erforderlich. Da eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben und der Schuldner nicht durch einen solchen vertreten sei, komme eine Beiordnung nach § 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO nur in Betracht, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich sei. Insoweit seien neben Umfang, Schwierigkeit und Bedeutung der beabsichtigten Vollstreckungsmaßnahme vor allem auch die Kenntnisse und Fähigkeiten des Gläubigers bzw. seines gesetzlichen Vertreters sowie anderweitige Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Dazu seien zumindest aussagekräftige und plausible Darlegungen zu diesen Punkten seitens des Gläubigers erforderlich. Daran fehle es.
Rz. 6
b) Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 7
aa) In Verfahren ohne Anwaltszwang ist nach § 121 Abs. 2 ZPO u.a. ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn die Partei dies beantragt und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Dies ist der Fall, wenn Umfang, Schwierigkeit und Bedeutung der Sache Anlass zu der Befürchtung geben, der Hilfsbedürftige werde nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sein, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen und die notwendigen Maßnahmen in mündlicher oder schriftlicher Form zu veranlassen. Danach hängt die Notwendigkeit der Beiordnung einerseits von der Schwierigkeit der im konkreten Fall zu bewältigenden Rechtsmaterie und andererseits von den persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen gerade des Antragstellers ab (BGH, Beschl. v. 18.7.2003 - IXa ZB 124/03, NJW 2003, 3136; BVerfG WuM 2011, 352).
Rz. 8
bb) Das Beschwerdegericht stellt zu hohe Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts. Der BGH hat bereits in seinem Beschluss vom 18.7.2003 (IXa ZB 124/03, a.a.O.) ausgeführt, es liege nahe, dass ein juristisch nicht ausgebildeter Antragsteller bei der Pfändung wegen Unterhaltsansprüchen, insb. beim Vorhandensein mehrerer Unterhaltsberechtigter, auch mit Hilfe der Rechtsantragstelle häufig kaum in der Lage sein werde, einen korrekten Antrag zu stellen. Jedenfalls für Verfahren der erweiterten Pfändung von Arbeitslohn oder Lohnersatzleistungen dürfe dem Gläubiger daher nicht ohne Prüfung des Einzelfalls die Beiordnung eines Rechtsanwalts mangels Erforderlichkeit versagt werden. Nachfolgend hat der Senat wiederholt den Hinweis erteilt, es sei bei der insoweit vorzunehmenden Einzelfallprüfung zu beachten, dass die rechtlichen Schwierigkeiten bei der Pfändung aus einem Unterhaltstitel wegen der Regelung des § 850d ZPO es in der Regel geboten erscheinen lassen, einen Rechtsanwalt beizuordnen (BGH, Beschl. v. 20.12.2005 - VII ZB 94/05, NJW 2006, 1204; v. 29.3.2006 - VII ZB 14/06, FuR 2006, 309 und VII ZB 15/06, FamRZ 2006, 856). Von der Beiordnung eines Rechtsanwalts kann damit - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - nur in Ausnahmefällen, insb. bei einem juristisch vorgebildeten oder wirtschaftlich erfahrenen Gläubiger abgesehen werden. Diese Voraussetzungen liegen weder bei den Gläubigern noch deren gesetzlicher Vertreterin vor, die derzeit als Hausfrau tätig und auf staatliche Unterstützung angewiesen ist.
Rz. 9
3. Dem Antrag auf Beiordnung des Rechtsanwalts L. war daher unter Aufhebung des Beschlusses des Beschwerdegerichts und des diesen Antrag zurückweisenden Beschlusses des AG - Vollstreckungsgericht - zu entsprechen.
Fundstellen
Haufe-Index 3289207 |
NJW 2012, 6 |
EBE/BGH 2012 |
FamRZ 2012, 1637 |
FuR 2013, 40 |
NJW-RR 2012, 1153 |
JurBüro 2012, 665 |
FPR 2012, 512 |
FPR 2012, 7 |
JZ 2012, 665 |
MDR 2012, 1251 |
Rpfleger 2012, 698 |
AGS 2012, 580 |
FamFR 2012, 475 |
FamRB 2012, 374 |
RVGreport 2012, 439 |
VE 2012, 185 |
PAK 2012, 203 |
RENO 2012, 8 |