Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsbegründungsfrist. Verlängerungseinwilligung Berufungsbeklagter. Anwaltliche Versicherung gegenüber Gericht
Leitsatz (amtlich)
Die Einwilligung des Berufungsbeklagten in die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bedarf nicht der Schriftform, sondern kann vom Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt und gegenüber dem Gericht anwaltlich versichert werden.
Normenkette
ZPO (i.d.F. v. 1.1.2002) § 520 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 02.12.2003; Aktenzeichen 14 U 204/03) |
LG Berlin (Urteil vom 26.06.2003) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 14. Zivilsenats des KG in Berlin v. 2.12.2003 aufgehoben.
Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Berlin v. 26.6.2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
Der Gegenstandswert beträgt 6.000 EUR.
Gründe
I.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat gegen das die Klage abweisende Urteil des LG fristgerecht Berufung eingelegt. Auf seinen Antrag hat der Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats des KG die Begründungsfrist um einen Monat bis zum 16.10.2003 verlängert. Zugleich hat er darauf hingewiesen, dass eine weitere Verlängerung nur mit Einwilligung des Gegners, die dem Gericht vor Fristablauf schriftsätzlich vorliegen müsse, bewilligt werden dürfe. Am 16.10.2003 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wegen Arbeitsüberlastung eine weitere Fristverlängerung bis zum 23.10.2003 beantragt und mitgeteilt, der gegnerische Prozessbevollmächtigte habe dieser Verlängerung zugestimmt. Nach einem gerichtlichen Hinweis v. 17.10.2003, dass die Frist ohne Vorlage der schriftsätzlichen Zustimmung der Gegenseite nicht verlängert werden könne, hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten dem Gericht am 20.10.2003 schriftlich mitgeteilt, dass er einer Fristverlängerung bis zum 23.10.2003 zustimme. Am 23.10.2003 ist die Berufungsbegründung bei Gericht eingegangen.
Nachdem der Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats am 24.10.2003 darauf hingewiesen hatte, dass die Begründungsfrist nicht verlängert werden könne, weil die schriftsätzliche Zustimmung der Gegenseite erst nach Ablauf der bisherigen Frist eingegangen sei, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 29.10.2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten der beantragten Fristverlängerung am 16.10.2003 telefonisch zugestimmt habe. Die Vorlage der schriftlichen Zustimmung vor Fristablauf sei nicht erforderlich und vom KG in vergleichbaren früheren Fällen auch nie verlangt worden.
Das KG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Klägerin die Aufhebung dieses Beschlusses und die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Sie ist gem. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 S. 4, § 238 Abs. 2 S. 1 ZPO statthaft. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (BGH v. 29.5.2002 - V ZB 11/02, BGHZ 151, 42 [43] = BGHReport 2002, 745 = MDR 2002, 1266; v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [223] = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207; v. 7.5.2003 - XII ZB 191/02, BGHZ 155, 21 [22] = BGHReport 2003, 823 = MDR 2003, 1054; Beschl. v. 11.5.2004 - XI ZB 39/03, MDR 2004, 1135 = BGHReport 2004, 1185 = NJW 2004, 2222 [2223]), sind erfüllt. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Frage, ob die Einwilligung gem. § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO in schriftlicher Form erklärt und dem Gericht vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zugehen muss, ist, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht, für eine Vielzahl von Verfahren bedeutsam und bedarf grundsätzlicher Klärung.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
a) Das KG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Begründungsfrist habe nicht über den 16.10.2003 hinaus verlängert werden können, weil die hierfür gem. § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO erforderliche Einwilligung der Beklagten erst nach Ablauf der verlängerten Begründungsfrist bei Gericht eingegangen sei. Die Einwilligung sei gem. § 183 S. 1 BGB eine vorherige Zustimmung und müsse dem Gericht vor Ablauf der Begründungsfrist in schriftlicher Form zugehen. Da hierauf bereits bei der Fristverlängerung bis zum 16.10.2003 hingewiesen worden sei, könne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.
b) Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
aa) Die Klägerin war ohne ihr Verschulden und das ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) gehindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Ihr Prozessbevollmächtigter durfte darauf vertrauen, dass seinem Verlängerungsantrag v. 16.10.2003 stattgegeben würde. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsanwalt erwarten kann, dass nach einer bereits bewilligten Fristverlängerung auch einem zweiten Antrag auf Fristverlängerung entsprochen wird, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend entschieden (BGH, Beschl. v. 6.11.2001 - XI ZB 14/01, BGHR ZPO § 233 Fristverlängerung 22; Beschl. v. 21.2.2000 - II ZB 16/99, MDR 2000, 545 = NJW-RR 2000, 947 [948]). Sie bedarf auch hier keiner generellen Klärung, weil das Vertrauen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf die Bewilligung der beantragten Fristverlängerung jedenfalls auf Grund der konkreten Umstände des Falles gerechtfertigt war. Der Vorsitzende des zuständigen Zivilsenats des KG hatte ihm gleichzeitig mit der ersten Fristverlängerung mitgeteilt, dass eine weitere Verlängerung die Einwilligung des Gegners voraussetze. Dies durfte der Prozessbevollmächtigte so verstehen, dass der Vorsitzende bei der Ausübung seines Ermessens gem. § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO im Falle der Einwilligung des Gegners keine besonderen Anforderungen an den zweiten Verlängerungsantrag stellen werde, wenn der Berufungskläger einen erheblichen Grund i.S.d. § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO für eine Fristverlängerung darlege. Das ist hier geschehen; der Berufungskläger hat mit Arbeitsüberlastung seines Prozessbevollmächtigten einen erheblichen Grund für eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vorgetragen (vgl. Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl., § 520 Rz. 8).
bb) Dass der Vorsitzende bei der ersten Fristverlängerung die Rechtsauffassung vertreten hatte, die Einwilligung des Gegners müsse dem Gericht vor Fristablauf schriftsätzlich vorliegen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Da diese Ansicht unzutreffend war, durfte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin gleichwohl erwarten, dass seinem Verlängerungsantrag entsprochen würde.
Die Einwilligung gem. § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO bedarf nicht der Schriftform, sondern kann - wie im vorliegenden Fall geschehen - vom Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt und gegenüber dem Gericht anwaltlich versichert werden (Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 520 Rz. 37, 41; a.A.: Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 520 Rz. 11; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 520 Rz. 11). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO, der, anders als § 566 Abs. 2 S. 4 ZPO für die Einwilligung in die Sprungrevision, keine Schriftform verlangt. Die Schriftformbedürftigkeit des Verlängerungsantrages (BGH v. 23.1.1985 - VII ZR 18/84, BGHZ 93, 300 [303 f.]) ist auf die Einwilligung nicht übertragbar. Der rechtzeitige Eingang eines Verlängerungsantrages oder einer Begründungsschrift hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft. Damit hierüber im Interesse der Rechtssicherheit Klarheit besteht, bedarf der Verlängerungsantrag der Schriftform (BGH v. 23.1.1985 - VII ZR 18/84, BGHZ 93, 300 [303]). Die Einwilligung gem. § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO hat keine vergleichbare Bedeutung für den Eintritt der formellen Rechtskraft. Eine bewilligte Fristverlängerung ist auch dann wirksam, wenn die erforderliche Einwilligung nicht vorliegt (BGH, Beschl. v. 18.11.2003 - VIII ZB 37/03, MDR 2004, 589 = BGHReport 2004, 478 = NJW 2004, 1460 [1461]). Hinzu kommt, dass das durch das Zivilprozessreformgesetz v. 27.7.2001 (BGBl. I 2001, 1887) eingeführte Einwilligungserfordernis die Voraussetzungen einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gegenüber der früheren Rechtslage ohnehin verschärft hat und die entsprechende Regelung für die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist (§ 551 Abs. 2 S. 5 und 6 ZPO) durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz v. 24.8.2004 (BGBl. I 2004, 2198) bereits wieder gelockert worden ist. Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, an die Einwilligung gem. § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO erhöhte Anforderungen zu stellen und sie als schriftformbedürftig anzusehen.
c) Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben (§ 577 Abs. 4 S. 1 Alt. 1 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach Letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 S. 1 ZPO) und gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren.
Fundstellen
Haufe-Index 1268471 |
BGHZ 2005, 86 |
BB 2005, 69 |
NJW 2005, 72 |
BGHR 2005, 257 |
EBE/BGH 2004, 2 |
FamRZ 2005, 267 |
FuR 2005, 234 |
FA 2005, 22 |
ZAP 2005, 217 |
JZ 2005, 521 |
MDR 2005, 408 |
MDR 2006, 552 |
VersR 2005, 998 |
BrBp 2005, 212 |
BRAK-Mitt. 2005, 21 |
ProzRB 2005, 150 |