Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufung. Rechtsmittelbeschwer. Wertgrenze. Berücksichtigung von Nebenforderungen. Hauptforderung. Werterhöhung
Leitsatz (redaktionell)
Mit der Berufung weiterverfolgte Nebenforderungen sind bei der Rechtsmittelbeschwer werterhöhend zu berücksichtigen, soweit sie zu Hauptforderungen geworden sind.
Normenkette
ZPO § 511 Abs. 2 Nr. 1, § 522 Abs. 1 S. 4, § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 15.07.2010; Aktenzeichen 2-17 S 48/10) |
AG Bad Homburg (Entscheidung vom 25.03.2010; Aktenzeichen 2 C 1258/09 (18)) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 17. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juli 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: bis 900 €.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten im Rahmen einer mietrechtlichen Auseinandersetzung auf Zahlung von 1.580 € nebst Zinsen sowie Erstattung vorprozessualer Anwaltskosten in Höhe von 229,55 € in Anspruch. Nachdem gegen den Beklagten ein Teilanerkenntnisurteil über 308,31 € ergangen ist, hat das Amtsgericht den Beklagten im Schlussurteil zur Zahlung weiterer 749,86 € nebst Zinsen verurteilt; im Übrigen hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat Berufung eingelegt, mit der er den abgewiesenen Teil der Hauptforderung (521,83 € nebst Zinsen), Zinsen auf den nicht mehr streitgegenständlichen Teil der Hauptforderung (18,42 €) und die vorgerichtlichen Anwaltskosten (229,55 €) weiterverfolgt. Das Landgericht hat die Berufung mit der Begründung als unzulässig verworfen, dass sie die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht erreiche. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet.
1.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts, die Berufung sei im Hinblick auf die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unzulässig, verletzt den Kläger in seinem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227 mwN).
2.
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Berufung der Beklagten kann nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung als unzulässig verworfen werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung die Wertgrenze von 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
a)
Das Berufungsgericht hat verkannt, dass mit der Berufung weiterverfolgte Nebenforderungen im Sinne von § 4 Abs. 1 ZPO bei der Rechtsmittelbeschwer zu berücksichtigen sind, soweit sie Hauptforderungen geworden sind; das ist der Fall, wenn und soweit der Hauptanspruch, auf den sich die Nebenforderungen beziehen, nicht mehr Gegenstand des Rechtsstreits ist. Danach sind im vorliegenden Fall die mit der Berufung weiterverfolgten vorprozessualen Rechtsanwaltskosten (teilweise) und die gesondert geltend gemachten Zinsen auf den nicht mehr streitgegenständlichen Teil der Hauptforderung werterhöhend zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2010 - VIII ZB 39/09, [...] Rn. 4 mwN zu vorprozessualen Anwaltskosten).
b)
Von der ursprünglich geltend gemachten Hauptforderung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens nur noch der nicht zugesprochene Teilbetrag in Höhe von 521,83 €. Die ursprünglich insgesamt als Nebenforderung geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten in Höhe von 229,55 €, die sich auf den Gegenstandswert der ursprünglichen Hauptforderung beziehen, haben sich in der Berufungsinstanz, soweit sie den durch die erstinstanzlichen Urteile zugesprochenen Teil der Klageforderung (insgesamt 1.058,17 €) betreffen, als Hauptforderung verselbständigt (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2010 - VIII ZB 39/09, aaO). Daraus ergibt sich, dass sich der Wert des Beschwerdegegenstandes - über die in die Berufungsinstanz gelangte restliche Hauptforderung von 521,83 € hinaus - durch die anteiligen vorprozessualen Rechtsanwaltskosten, die auf den in erster Instanz zugesprochenen Teil der ursprünglichen Hauptforderung entfallen, jedenfalls auf mehr als 600 € erhöht. Mithin ist die Berufung zulässig (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), ohne dass es noch auf die darüber hinaus gesondert geltend gemachten Zinsen in Höhe von 18,42 € ankommt.
Fundstellen
JurBüro 2011, 260 |
WuM 2011, 177 |
AGS 2011, 140 |