Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz. Mietvertrag. Versäumte Berufungsbegründungsfrist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Unfrankierte Post. Nachtbriefkasten. Eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten. Jahrelange Übung. Frankierte Verschickung. Fristverlängerungsantrag. Glaubhaftmachung eines konkreten Vortrags. Darstellung der Möglichkeit eines Hergangs
Leitsatz (redaktionell)
Voraussetzung für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist die Glaubhaftmachung eines konkreten Vortrags. Die Darstellung der Möglichkeit eines Hergangs ist nicht ausreichend.
Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 24.06.2015; Aktenzeichen 32 U 718/15) |
LG München I (Urteil vom 21.01.2015; Aktenzeichen 20 O 5910/14) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 32. Zivilsenats des OLG München vom 24.6.2015 wird auf Kosten des Klägers verworfen.
Beschwerdewert: 89.350 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Mit Urteil vom 21.1.2015, das dem Kläger am 27.1.2015 zugestellt worden ist, hat das LG dessen auf Schadenersatz aus einem Mietvertrag gerichtete Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger rechtzeitig Berufung eingelegt und mit einem auf den 27.3.2015 datierten, bei Gericht am 30.3.2015 nach Ablauf der gesetzlichen Berufungsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Auf einen ihm am 10.4.2015 zugegangenen richterlichen Hinweis hat der Kläger am 23.4.2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufungsbegründung eingereicht. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat er vorgetragen, dass die unfrankierte Post, die für die am Kanzleiort ansässigen Gerichte bestimmt sei, auf einem gesonderten Stapel gesammelt werde, der jeweils noch am gleichen Tage von der Kanzleiangestellten in den Nachtbriefkasten eingeworfen werde. Dem Wiedereinsetzungsantrag beigefügt war eine eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten, wonach diese sich sicher sei, dass sie den Antrag auf Fristverlängerung am 27.3.2015 in den Nachtbriefkasten eingeworfen habe.
Rz. 2
Nach Einholung einer dienstlichen Stellungnahme der gerichtlichen Posteingangsstelle, der zufolge ein Stempelungsfehler am 27.3.2015 auszuschließen sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers durch weiteren Schriftsatz vom 19.5.2015 mitgeteilt, dass seine Kanzleiangestellte keine konkrete Erinnerung mehr an den 27.3.2015 habe. Inzwischen habe sich jedoch herausgestellt, dass auch in einem anderen Rechtsstreit sein Fristverlängerungsgesuch vom 27. März erst am 30.3.2015 bei Gericht eingegangen sei und sich deshalb seine Vermutung verdichte, dass die Gerichtspost vom 27.3.2015 entgegen seiner Anordnung und der jahrelangen Übung nicht in den Nachtbriefkasten eingeworfen, sondern von seiner Kanzleiangestellten frankiert verschickt worden sei.
Rz. 3
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründungsfrist schuldlos versäumt sei. Die eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten seines Prozessbevollmächtigten, am 27.3.2015 wie üblich mit der Post verfahren zu sein, reiche nicht aus, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich der fragliche Schriftsatz nicht in der Post vom 27.3.2015 befunden habe. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.
Rz. 5
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten nicht in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BGH v. 11.6.2008 - XII ZB 184/07, FamRZ 2008, 1605 Rz. 6 m.w.N.). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt auch kein entscheidungserheblicher Verstoß des Beschwerdegerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor.
Rz. 6
2. Wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei erkannt hat, ist eine Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung gem. § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO ausgeschlossen, wenn das Verlängerungsgesuch erst nach Ablauf der Begründungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen ist (BGH, Beschl. v. 22.7.2015 - XII ZB 583/14, FamRZ 2015, 1878 Rz. 10 m.w.N.). Daher konnte die Begründungsfrist - wie auch die Rechtsbeschwerde nicht infrage stellt - auf den erst am 30.3.2015 eingegangenen Antrag nicht mehr verlängert werden.
Rz. 7
3. Zu Recht hat das Berufungsgericht auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Denn ein Wiedereinsetzungsgrund ist vom Kläger jedenfalls nicht glaubhaft gemacht.
Rz. 8
Zwar war zunächst durch eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten glaubhaft gemacht, diese habe den Fristverlängerungsantrag am 27.3.2015 in den Nachtbriefkasten des Gerichts eingeworfen. Von dieser Darstellung ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers jedoch selbst in seinem Schriftsatz vom 19.5.2015 wieder abgerückt und hat nunmehr die Vermutung geäußert, dass die Gerichtspost vom 27.3.2015 entgegen seiner Anordnung nicht in den Nachtbriefkasten eingeworfen, sondern per frankierter Post verschickt worden sei. Seine Kanzleiangestellte habe daran keine Erinnerung mehr.
Rz. 9
Damit fehlt es an der Glaubhaftmachung eines konkreten Vortrags. Die neu angestellten Vermutungen des Prozessbevollmächtigten über einen möglichen abweichenden Verlauf, bei dem die Kanzleiangestellte den Fristverlängerungsantrag weisungswidrig in die frankierte Post gegeben habe, stellt nur die Möglichkeit eines Hergangs dar, durch die andere denkbare Abläufe, die der Prozessbevollmächtigte selbst zu verantworten hätte, nicht mit der für eine Wiedereinsetzung nötigen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 8846787 |
JurBüro 2016, 615 |