Leitsatz (amtlich)
Wird in der Berufungsschrift eine Partei fälschlich als Klägerin und Berufungsführerin bezeichnet, so ist bei den gebotenen strengen Anforderungen an eine eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers regelmäßig davon auszugehen, dass die so bezeichnete Partei der Rechtsmittelführer ist, wenn sich nicht aus anderen Umständen Gegenteiliges mit der erforderlichen Klarheit ergibt.
Normenkette
ZPO § 519 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Beschluss vom 24.07.2003) |
AG Düsseldorf |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 21. Zivilkammer des LG Düsseldorf v. 24.7.2003 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Gegenstandswert der Beschwerde: 4.451,20 Euro
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls auf Schadensersatz in Anspruch. Das AG hat die Klage abgewiesen und auf die Widerklage des Beklagten zu 2) den Kläger und die Widerbeklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner verurteilt, 2.119,40 Euro nebst Zinsen an den Beklagten zu 2) zu bezahlen. Das Urteil v. 19.2.2003 ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers und der Widerbeklagten am 20.3.2003 zugestellt worden. Am 15.4.2003 ist die Berufungsschrift der damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers und der Widerbeklagten beim Berufungsgericht eingegangen. Der Text der Berufungsschrift lautet auszugsweise:
"In dem Rechtsstreit
1. unter der Firma H. L. Elektrische Anlagen handelnden Elektromeisters H. L.,
- Kläger zu 1) und Berufungskläger -
2. des Herrn W., ...
- Kläger zu 2) und Berufungskläger -
3. der V. Versicherungs AG ....
- Klägerin zu 3) und Berufungsklägerin -
- Prozessbevollmächtigte: ....
gegen
1. Herrn M.S., ....
- Beklagter zu 1) und Berufungsbeklagter -
2. Herrn N. S., ....
- Beklagter zu 2) und Berufungsbeklagter -
3. die D. Allgemeine Versicherungs AG, ....
- Beklagte zu 2) und Berufungsbeklagte -
Aktenzeichen 1. Instanz: 43 C 4904/00
Namens und in Vollmacht der Klägerin legen wir hiermit gegen das am 19.2.2003 verkündete und am 20.3.2003 zugestellte Urteil des AG Düsseldorf Berufung ein.
Anträge und deren Begründung bleiben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten.
(Unterschrift)".
Eine Ablichtung des Urteils des AG war nicht erkennbar beigefügt, doch ist die Berufungsschrift dem gegnerischen Prozessbevollmächtigten zugestellt worden.
Mit Schriftsatz v. 19.5.2003 - beim LG am selben Tag eingegangen - haben die Prozessbevollmächtigten die Berufung namens des Klägers begründet und den Antrag angekündigt, das Urteil des AG abzuändern und die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 4.451,20 Euro nebst 10 % Zinsen hieraus seit 1.3.2000 zu zahlen.
Mit Beschluss v. 24.7.2003 hat das LG die Berufungen des Klägers und der Widerbeklagten zu 3) als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Berufung v. 15.4.2003 könne nur dahin verstanden werden, dass sie lediglich für die Widerbeklagte zu 3), die in der Berufungsschrift fälschlich als Klägerin zu 3) bezeichnet worden sei, eingelegt worden sei. Nach dem Inhalt der Berufungsschrift sei die Berufung ausdrücklich namens und in Vollmacht der "Klägerin" eingelegt worden. Als Klägerin sei in der Berufung nur die Widerbeklagte zu 3) bezeichnet worden. Auch unter Berücksichtigung des Rubrums der angefochtenen Entscheidung könne die Berufungsschrift nur in diesem Sinne ausgelegt werden, denn auch die Widerbeklagte zu 3) sei durch die angefochtene Entscheidung infolge ihrer Verurteilung auf die Widerklage beschwert. Eine Berufung für den Kläger sei daher nicht fristgerecht eingelegt worden (§§ 517, 519 ZPO). Die Berufung der Widerbeklagten zu 3) sei nicht gem. § 520 ZPO begründet worden. Für den Widerbeklagten zu 2) sei keine Berufung eingelegt.
Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 1.8.2003 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 1.9.2003 Rechtsbeschwerde eingelegt und innerhalb verlängerter Frist am 3.11.2003 begründet.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i. V. m. § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
a) Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung allerdings dann erforderlich, wenn bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren. Das kann insbesondere auch bei einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Fall sein, etwa wenn der angefochtene Beschluss die Parteien in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder wirkungsvollen Rechtschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt (vgl. BGH, Beschl. v. 23.9.2003 - VI ZB 32/03, z.V.b.). Eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten muss allerdings aus den Darlegungen des Beschwerdeführers im Einzelfall klar zu Tage treten, also offenkundig sein, und die angefochtene Entscheidung muss hierauf beruhen (vgl. BGH, Beschl. v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [226 f.] = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207; v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822 = NJW 2003, 1943 [1946 f.]).
b) Ein solcher Zulassungsgrund liegt hier nicht vor. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht nicht auf einem entscheidungserheblichen und klar zu Tage tretenden Verstoß gegen die Verfahrensgrundrechte des Klägers; sie ist zudem einzelfallbezogen und erfordert deshalb keine korrigierende Entscheidung des BGH.
aa) Zutreffend geht das LG davon aus, dass an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen sind. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Formvorschrift des § 519 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (früher: § 518 Abs. 2 ZPO a. F.) nur entsprochen, wenn bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist zweifelsfrei angegeben wird, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt werden soll (vgl. BGH, Urt. v. 15.12.1998 - VI ZR 316/97, MDR 1999, 625 = VersR 1999, 900; Beschl. v. 30.5.2000 - VI ZB 12/00, VersR 2000, 1299 [1300]; v. 7.11.1995 - VI ZB 12/95, MDR 1996, 92 = VersR 1996, 251). Daran fehlt es beispielsweise, wenn in der Berufungsschrift an Stelle des wirklichen Berufungsklägers ein anderer, mit ihm nicht identischer Beteiligter bezeichnet wird (vgl. BGH, Beschl. v. 16.7.1998 - VII ZB 7/98, MDR 1998, 1429 = VersR 1998, 1529). Das bedeutet zwar nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Rechtsmittelklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre. Vielmehr kann sie auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst im Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsfrist vorliegenden Unterlagen gewonnen werden (vgl. BGH, Urt. v. 13.10.1998 - VI ZR 81/98, MDR 1999, 182 = VersR 1999, 636 [638]; v. 15.12.1998 - VI ZR 316/97, MDR 1999, 625 = VersR 1999, 900; Beschl. v. 18.4.2000 - VI ZB 1/00, NJW-RR 2000, 1371 [1372]; Beschl. v. 30.5.2000 - VI ZB 12/00, VersR 2000, 1299 [1300]). An Umständen, die eine solche Klärung ermöglichen könnten, fehlt es vorliegend jedoch.
bb) Die entscheidende Frage, wer mit der Berufungsschrift v. 14.4.2003 Berufung eingelegt hat, ist allein anhand dieses Schriftsatzes nämlich nicht zuverlässig zu beantworten. Zwar sind der Kläger und die beiden anderen Widerbeklagten jeweils einzeln als "Berufungskläger" bezeichnet; andererseits sollte die Berufung ausdrücklich "namens und in Vollmacht der Klägerin" eingelegt werden. Die einzige weibliche (juristische) Person auf Klägerseite war jedoch die Widerbeklagte zu 3). Nur diese war im Eingang der Berufungsschrift zudem mit dem Zusatz "Klägerin" kenntlich gemacht. Hierdurch und durch den textlichen Hinweis kam in dem Schriftsatz zum Ausdruck, dass die Berufung für die Widerbeklagte zu 3) eingelegt werden sollte.
Wenn zusätzlich berücksichtigt wurde, dass der Kläger durch seine Firma bezeichnet worden war (vgl. § 17 Abs. 1 HGB), blieb unklar, wer Berufungsführer sein sollte, der Kläger unter seiner Firma, die Widerbeklagte zu 3), die irrig als Klägerin bezeichnet war, oder beide. Insofern unterscheidet sich der Sachverhalt von der Fallgestaltung, die der von der Rechtsbeschwerde genannten Entscheidung des BGH v. 15.7.1999 (BGH v. 15.7.1999 - IX ZR 316/97, NJW-RR 1999, 1587) zu Grunde lag.
Diese Unklarheiten die aus der Berufungsschrift allein nicht zu beheben waren, machten die Berufung unzulässig. Die Zweifel des Berufungsgerichts insoweit können nicht als lediglich theoretisch angesehen werden, wie die Rechtsbeschwerde meint.
c) Bei anderer Würdigung der Berufungsschrift wäre die Entscheidung des LG zwar möglicherweise fehlerhaft. Verfahrensgrundrechte des Klägers wären jedoch auch in diesem Fall nicht offenkundig verletzt. Auch eine Bedeutung der Entscheidung für die Allgemeinheit fehlt. Es handelt sich vielmehr um die Auslegung einer Berufungsschrift in einem Einzelfall, die keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1111922 |
BB 2004, 464 |
HFR 2004, 926 |
BGHR 2004, 619 |
EBE/BGH 2004, 2 |
NJW-RR 2004, 572 |
JurBüro 2004, 401 |
JurBüro 2004, 511 |
ZAP 2004, 464 |
MDR 2004, 703 |
NZV 2004, 242 |
VersR 2004, 1622 |