Leitsatz (amtlich)
Beauftragt eine vor einem auswärtigen Gericht klagende Partei einen in der Nähe ihres Wohnsitzes ansässigen Rechtsanwalt mit der gerichtlichen Vertretung, sind die Kosten des von diesem eingeschalteten Unterbevollmächtigten am Gerichtsort jedenfalls dann erstattungsfähig, wenn sie die (fiktiven) Reisekosten des Prozessbevollmächtigten am Wohnsitz der Partei nicht erheblich übersteigen.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Zwickau (Beschluss vom 26.04.2004; Aktenzeichen 8 T 95/03) |
AG Zwickau |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des LG Zwickau v. 26.4.2004 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben als das Beschwerdegericht über mehr als 30,01 EUR Kopierkosten zzgl. Umsatzsteuer zum Nachteil der Klägerin entschieden hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 645,52 EUR
Gründe
I.
Die Klägerin nahm den Beklagten vor dem AG Z. auf Schadensersatz für Entgeltfortzahlung in Anspruch, weil ihr Mitarbeiter L. von dem Hund des Beklagten verletzt worden war. Die Klägerin ist geschäftsansässig in B.; ihr Prozessbevollmächtigter hat seinen Kanzleisitz etwa 75 km entfernt in P. Die Termine vor dem AG Z. nahm Rechtsanwalt R. aus einer Kanzlei in Z. in Untervollmacht für die Klägerin und deren Prozessbevollmächtigten wahr. Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin legte - vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten - Berufung ein. Vor dem Berufungsgericht trat wiederum Rechtsanwalt R. für die Klägerin auf. Die Parteien schlossen einen Vergleich. Der Beklagte verpflichtete sich zur Zahlung eines Teilbetrages von 713,45 EUR an die Klägerin. Von den Kosten des Rechtsstreits übernahmen die Klägerin 1/4, der Beklagte 3/4. Die Klägerin beantragte Kostenausgleichung und brachte hierzu u.a. für den ersten Rechtszug je eine 10/10 Prozess-, Verhandlungs- und Beweisgebühr sowie eine 10/10 Verkehrsanwaltsgebühr in Ansatz. Für die zweite Instanz begehrte sie die Berücksichtigung je einer 13/10 Prozess-, Erörterungs- und Vergleichsgebühr sowie einer "Dokumentenpauschale" von 30,01 EUR für 79 Ablichtungen. Zusätzlich verlangte sie Erstattung der Kosten des Unterbevollmächtigten für den ersten Rechtszug in Höhe einer 5/10 Prozessgebühr, einer 10/10 Verhandlungsgebühr und einer 10/10 Beweisgebühr sowie für den zweiten Rechtszug in Höhe einer 6,5/10 Prozessgebühr und je einer 13/10 Verhandlungs- und Vergleichsgebühr.
Das AG Z. hat mit Kostenfestsetzungsbeschluss v. 13.2.2003 die erstattungsfähigen Kosten auf die Kosten eines Verkehrsanwalts und eines Prozessbevollmächtigten am Gerichtsort bemessen. Das LG Z. hat die sofortige Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Wenn der Prozessbevollmächtigte der Partei seinen Kanzleisitz in 75 km Entfernung vom Geschäftssitz der Partei habe, stehe das einem Falle gleich, in dem sich die Partei eines Rechtsanwalts an einem dritten Ort bediene. Dann aber seien die Reisekosten des Anwalts von diesem Drittort zum Gericht nicht zu ersetzen. Sie könnten daher nicht als Maßstab für die Erstattungsfähigkeit der Kosten des Unterbevollmächtigten herangezogen werden. Vielmehr habe der Rechtsstreit schon wegen des örtlichen Bezugs zum Gerichtsort durch einen Anwalt am Gerichtsort bearbeitet werden müssen. Das AG habe daher die Kosten des Unterbevollmächtigten zu Recht abgesetzt. Gegen den am 5.5.2004 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 27.5.2004 Rechtsbeschwerde eingelegt und sie mit Schriftsatz vom selben Tag begründet.
II.
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und zulässig (§ 575 Abs. 1 bis 3 ZPO). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
1. Das Beschwerdegericht geht allerdings in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH davon aus, dass die Kosten eines Unterbevollmächtigten, der für den auswärtigen Prozessbevollmächtigten die Vertretung in der mündlichen Verhandlung übernommen hat, erstattungsfähig sind, soweit sie die durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten ersparten, erstattungsfähigen Reisekosten des Prozessbevollmächtigten nicht wesentlich übersteigen (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 f.; st.Rspr., zuletzt BGH, Beschl. v. 13.7.2004 - X ZB 40/03, zur Veröffentlichung vorgesehen). Es hält jedoch die Reisekosten des Prozessbevollmächtigten im vorliegenden Fall für nicht erstattungsfähig und will stattdessen die fiktiven Kosten eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts zzgl. der Kosten für einen (fiktiven) Verkehrsanwalt ansetzen. Das wird von den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses nicht getragen.
2. Die unterlegene Partei hat die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig waren (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dementsprechend sind Reisekosten zur Terminswahrnehmung eines Prozessbevollmächtigten, der - wie hier - weder bei dem Prozessgericht zugelassen noch am Gerichtsort ansässig ist, (nur) insoweit zu erstatten, als dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war (§ 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO). Ob diese Notwendigkeit gegeben war, bemisst sich danach, was eine vernünftige und kostenorientierte Partei als sachdienlich ansehen durfte. In diesem Rahmen ist eine nicht am Gerichtsort ansässige Partei kostenrechtlich nicht darauf angewiesen, einen Rechtsanwalt am Ort des Prozessgerichts mit ihrer Prozessvertretung zu beauftragen. Vielmehr kann sie grundsätzlich die Kosten ihres Prozessbevollmächtigten auch dann erstattet verlangen, wenn dieser bei dem Prozessgericht nicht zugelassen und am Gerichtsort nicht ansässig ist. Dabei ist dem Bedarf an persönlichem Kontakt zwischen Partei und Anwalt sowie dem Vertrauensverhältnis zwischen der Partei und dem von ihr ausgewählten Anwalt Rechnung zu tragen (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [899]). Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Beauftragung eines in der Nähe des Geschäftsortes der Partei ansässigen Rechtsanwalts eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung ist, kommt in Betracht, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird (vgl. BGH, Beschl. v. 13.7.2004 - X ZB 40/03). Eine weitere Ausnahme, bei der die unmittelbare Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bei dem Prozessgericht zumutbar sein kann, ist bei einem in tatsächlicher Hinsicht überschaubaren Streit um eine Geldforderung denkbar, wenn die Gegenseite versichert hat, nicht leistungsfähig zu sein und gegenüber der Klage keine Einwendungen zu erheben. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines derartigen Ausnahmefalls sind nicht vorhanden. Allein dass die Sache tatsächliche Schwierigkeiten nicht aufweist und in wirtschaftlicher Hinsicht von geringer Bedeutung ist, reicht hierfür nicht aus (vgl. BGH, Beschl. v. 9.10.2003 - VII ZB 45/02, BGHReport 2004, 70 [71]). Dass die Klägerin über eine Rechtsabteilung oder wenigstens über Mitarbeiter mit der für die Bearbeitung von Rechtsfällen erforderlichen Sachkunde verfügte, ist nicht ersichtlich.
Wie der BGH bereits ausgesprochen hat, sind hiernach Reisekosten eines beim Prozessgericht nicht zugelassenen und weder am Gerichtsort noch am Geschäfts- oder Wohnort der Partei ansässigen Prozessbevollmächtigten zur Terminswahrung jedenfalls insoweit zu erstatten, als sie sich im Rahmen der erstattungsfähigen Reisekosten halten, die angefallen wären, wenn die Partei einen Prozessbevollmächtigten entweder am Gerichtsort oder an ihrem Geschäfts- oder Wohnort beauftragt hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 11.3.2004 - VII ZB 27/03, MDR 2004, 838 = BGHReport 2004, 1062 = NJW-RR 2004, 858).
Gleiches gilt für die Gebühren im Berufungsverfahren (vgl. BGH, Beschl. v. 6.5.2004 - I ZB 27/03, BGHReport 2004, 1325 = MDR 2004, 1136 = AGS 2004, 310 f.).
a) Nach diesen Grundsätzen durfte das Beschwerdegericht nicht allein darauf abstellen, dass der "Hausanwalt" der Klägerin nicht am Geschäftssitz der Klägerin, sondern 75 km hiervon entfernt seinen Kanzleisitz hatte. Vielmehr wäre zu prüfen gewesen, ob dadurch höhere Reisekosten entstanden wären als sie bei Beauftragung eines am Geschäftssitz der Klägerin tätigen Anwalts entstanden wären.
b) Sodann hätte das Beschwerdegericht die einem am Geschäftssitz der Klägerin tätigen Anwalt entstehenden (fiktiven) Reisekosten als Maßstab für die Erstattungsfähigkeit der Kosten des Unterbevollmächtigten R. in Z. berücksichtigen müssen. Wenn die Kosten des Unterbevollmächtigten die (fiktiven) Reisekosten in erheblichem Umfang überstiegen, war seine Zuziehung nicht notwendig (§ 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO). Eine Erstattung kam dann nur in Höhe der Reisekosten des Hauptbevollmächtigten in Betracht. Eine weitere Vergleichsberechnung unter Einbeziehung der Kosten eines (fiktiven) Verkehrsanwalts gem. § 52 BRAGO sowie der Kosten eines (fiktiven) Prozessbevollmächtigten am Gerichtsort war nicht erforderlich. § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO ist auf einen solchen Fall weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [899]). Die Einschaltung eines Verkehrsanwalts (vgl. zur Beiordnung bei Prozesskostenhilfe BGH, Beschl. v. 23.6.2004 - XII ZB 61/04, BGHReport 2004, 1371 - zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt) ist i.d.R. nicht erforderlich.
c) Soweit der BGH in seinem Beschl. v. 11.3.2004 (BGH, Beschl. v. 11.3.2004 - VII ZB 27/03, MDR 2004, 838 = BGHReport 2004, 1062 = NJW-RR 2004, 858) offen gelassen hat, ob ausnahmsweise durch die Beauftragung eines an einem dritten Ort ansässigen Prozessbevollmächtigten entstehende Kosten zu erstatten sein können (vgl. BGH, Beschl. v. 18.12.2003 - I ZB 21/03, BGHReport 2004, 635 = MDR 2004, 839, VersR 2004, 1150), ist diese Frage auch vorliegend nicht abschließend zu entscheiden. Besondere Umstände für einen solchen Ausnahmefall trägt die Rechtsbeschwerde nicht vor. Die Klägerin hat Mehrkosten durch die Beauftragung eines Anwalts in P. statt in B. nicht geltend gemacht.
Dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bereits vorgerichtlich tätig gewesen sein soll und deshalb eine Geschäftsgebühr (§ 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) angefallen sein mag, kann - entgegen dem Vortrag der Rechtsbeschwerde - nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zu Lasten der beklagten Partei berücksichtigt werden. Die Geschäftsgebühr ist nach der ausdrücklichen Regelung des § 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO auf die Gebühren des § 31 Abs. 1 BRAGO anzurechnen.
Nach allem kann die Klägerin für die Gebühren ihres Unterbevollmächtigten Kostenausgleichung verlangen, wenn diese die (fiktiven) Reisekosten eines "Hausanwalts" in B. nicht wesentlich überstiegen.
III.
Das Beschwerdegericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zur Höhe der entstandenen Reisekosten einschließlich der Abwesenheitsgelder getroffen. Im Rechtsbeschwerdeverfahren können diese Feststellungen nicht nachgeholt werden (§ 577 Abs. 2 S. 4 ZPO i.V.m. § 559 ZPO). Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben, soweit er über die Erstattung der Anwaltsgebühren zum Nachteil der Klägerin entschieden hat; ausgenommen hiervon bleibt die Abweisung hinsichtlich der Kosten für Ablichtungen (vgl. BGH, Beschl. v. 5.12.2002 - I ZB 25/02, MDR 2003, 476 = BGHReport 2003, 358 = VersR 2004, 665 f.), die die Rechtsbeschwerde nicht angreift. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen nachholen kann.
Fundstellen
BB 2004, 2548 |
BGHR 2005, 201 |
FamRZ 2005, 204 |
NJW-RR 2005, 707 |
JurBüro 2005, 93 |
DAR 2005, 118 |
MDR 2005, 177 |
NJ 2005, 36 |
Rpfleger 2005, 112 |
VersR 2005, 997 |
AGS 2005, 41 |
GuT 2005, 28 |
RVG-B 2005, 41 |
RVGreport 2004, 473 |
AIM 2004, 239 |
BRAK-Mitt. 2005, 36 |
RVG-Letter 2004, 138 |