Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Berufung. Abänderung des angefochtenen Urteils. Schlussanträge erster Instanz. Verletzung rechtlichen Gehörs. Berufungsbegründung. Bestimmt gefasster Antrag
Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit einer Berufung, mit der die Abänderung des angefochtenen Urteils gemäß den Schlussanträgen in erster Instanz begehrt wird.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 14. Zivilsenats in Freiburg des OLG Karlsruhe vom 2.6.2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Beschwerdewert: 10.189,04 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Das LG hat mit Urteil vom 20.11.2008 die Klage, mit der Schadensersatzansprüche und Zahlungsansprüche aus einer Kontoabrechnung geltend gemacht werden, abgewiesen und der Feststellungswiderklage der Beklagten überwiegend stattgegeben. Die Entscheidung ist der Klägerin zu Händen ihres Prozessbevollmächtigten am 25.11.2008 zugestellt worden.
Rz. 2
Mit Schriftsatz vom 18.12.2008 hat der Klägervertreter eine Berufungsschrift ohne Begründung eingereicht und die Ausfertigung des angefochtenen Urteils mit der Bitte um dessen Rückgabe beigefügt. Am 23.12.2008 hat das Berufungsgericht die Zustellung der Berufung an die Beklagtenvertreter, die Benachrichtigung des Klägervertreters hiervon nebst Rückgabe der Ausfertigung des landgerichtlichen Urteils sowie die Anforderung der Akten beim LG veranlasst. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 25.2.2009 wegen eines am LG anhängigen Tatbestandsberichtigungsantrages des Klägervertreters hat dieser seine Berufung am 24.2.2009 begründet. Er hat beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und gemäß den Schlussanträgen der Klägerin in erster Instanz zu erkennen. Das LG hat den Tatbestandsberichtigungsantrag mit Beschluss vom 24.2.2009 zurückgewiesen und am 25.2.2009 die Akten an das Berufungsgericht übersandt. Am selben Tage hat das Berufungsgericht den Klägervertreter darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestünden, da die Schlussanträge erster Instanz unbekannt seien, die Akten des LG nicht vorlägen und auch sonst kein Urteil erster Instanz greifbar sei. Die Akten sind am 4.3.2009 beim Berufungsgericht eingegangen.
Rz. 3
Mit am 2.7.2009 zugestelltem Beschluss vom 2.6.2009 hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, weil weder die Berufungsschrift noch die Berufungsbegründungsschrift den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO genüge. Beide Schriftsätze würden keine Erklärung enthalten, inwieweit das landgerichtliche Urteil angefochten und welche Änderung beantragt werde. Da die Verfahrensakten bei Ablauf der Begründungsfrist nicht vorgelegen hätten, habe das Berufungsgericht über den Antrag auf Abänderung entsprechend der Schlussanträge erster Instanz keine Sachentscheidung treffen können. Trotz eines Hinweises des Berufungsgerichts habe der Klägervertreter diesen Mangel nicht behoben.
Rz. 4
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
Rz. 6
1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Dem steht nicht entgegen, dass die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist (BGH, Beschl. v. 21.5.2003 - VIII ZB 133/02, NJW-RR 2003, 1580 m.w.N.).
Rz. 7
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich, weil die angefochtene Entscheidung gemäß den nachstehenden Ausführungen das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt und darauf beruht (vgl. BGH BGHZ 159, 135, 139 f. m.w.N.).
Rz. 8
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Rz. 9
a) Nach muss die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten, inwieweit das erstinstanzliche Urteil angefochten wird und welche Abänderungen beantragt werden. Diese Erklärung muss nicht notwendig in einem bestimmt gefassten Antrag niedergelegt werden. Die Vorschrift verlangt lediglich, dass die Begründungsschrift ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig erkennen lässt, in welchem Umfang das Urteil der ersten Instanz angefochten werden soll (vgl. ; v. 27.3.1985 - IVb ZB 20/85, FamRZ 1985, 584).
Rz. 10
b) Das Berufungsgericht ist zwar ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass dies wegen der Komplexität des mehrere Vorprozesse fortführenden Rechtsstreits über die Auslegung eines gerichtlichen Vergleichs und die Abwicklung der darin vereinbarten Zahlungs- und Verrechnungsmodalitäten hier nur bei Kenntnis der in der Berufungsbegründungsschrift in Bezug genommenen erstinstanzlichen Schlussanträge der Klägerin der Fall ist. Angesichts der Tatsache, dass bereits mit der Berufungsschrift eine Ausfertigung des landgerichtlichen Urteils eingereicht worden war, in dem die Schlussanträge der Klägerin in erster Instanz wiedergegeben waren, musste der Klägervertreter jedoch nicht damit rechnen, dass das Berufungsgericht der Klägerin das Nichtvorliegen des landgerichtlichen Urteils anlasten würde. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht dem Klägervertreter die von ihm vorgelegte Urteilsausfertigung auf seine Bitte hin zurückgesandt hatte. Der Klägervertreter durfte vielmehr davon ausgehen, dass das Berufungsgericht jedenfalls bis zum Eingang der Verfahrensakten des LG einen Abdruck des Urteils zurückhalten würde.
Rz. 11
3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Dabei hat der Senat von § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Gebrauch gemacht.
Fundstellen
EBE/BGH 2010 |
NJW-RR 2010, 424 |
WM 2010, 434 |
MDR 2010, 279 |
PA 2010, 42 |