Leitsatz (amtlich)
Die Postausgangskiste eines Prozessbevollmächtigten gehört zu dessen organisatorischem Verantwortungsbereich und ist nicht bereits Teil des Postwegs.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Beschluss vom 13.11.2015; Aktenzeichen 4 U 97/15) |
LG Kiel (Urteil vom 24.07.2015; Aktenzeichen 8 O 268/12) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des OLG Schleswig vom 13.11.2015 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 7.000 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schmerzensgeld und Feststellung nach einer ärztlichen Behandlung in Anspruch. Das LG hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am 28.7.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger rechtzeitig Berufung eingelegt. Nach Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts, die Berufung sei nicht begründet worden, übermittelte der Kläger am 12.10.2015 eine auf den 8.9.2015 datierte Berufungsbegründung. Zugleich hat der Kläger beantragt, ihm insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Rz. 2
Zur Begründung dieses Antrags hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, die Berufungsbegründung sei am 8.9.2015 für den Postversand frankiert und in das Postversandfach gelegt worden. Dort sei sie offensichtlich hinter das Regal des Postfaches gerutscht und erst im Rahmen der Suche in Folge des gerichtlichen Hinweises aufgefunden worden. Einzige Erklärung hierfür sei, dass die gelben Postkisten - wie es in letzter Zeit häufiger vorgekommen sei - derart vollgefüllt waren, dass die oberen Postsendungen bereits über den Rand des Postkastens hinausragten.
Rz. 3
Auf den weiteren Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts, dass es an einer Glaubhaftmachung der zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgetragenen Tatsachen ebenso fehle wie an substantiiertem Vortrag u.a. dazu, wann und von wem die Berufungsbegründungsschrift in einen Umschlag getan, frankiert und in das Postausgangsfach gelegt worden sein soll, hat der Kläger eine eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten vorgelegt, wonach dieser den Schriftsatz am Nachmittag des 8.9.2015 unterschrieben und die Versendung an das Gericht veranlasst habe. Die Berufungsbegründung sei für den Postversand frankiert und ins Postfach gelegt worden. Dies sei ihm von seinem Personal versichert worden. Offensichtlich sei der Brief mit der Berufungsbegründung hinter den Schrank gerutscht. Zwar könnten eigentlich keine Briefe hinter das Regal gelangen. Allerdings sei es in letzter Zeit häufiger vorgekommen, dass die Postkisten derart vollgefüllt waren, dass die oberen Postsendungen bereits über den Rand des Postkastens hinausragten.
Rz. 4
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 13.11.2015 hat das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Berufung nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet worden sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Wiedereinsetzungsgesuch sei in der Sache ohne Erfolg. Denn es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Berufung rechtzeitig zu begründen. Vielmehr stünden Versäumnisse seiner Prozessbevollmächtigten im Raum, die sich der Kläger gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Ursache der Fristversäumnis außerhalb des Verantwortungsbereichs seines Prozessbevollmächtigten liege. Zum einen habe der Kläger nicht ausreichend konkret dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründungsschrift in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten am 8.9.2015 zum Postversand fertig in das Postausgangsfach gelegt worden sei. Es fehle insoweit an einer lückenlosen Darlegung des Ablaufs, nämlich wann und von wem die Berufungsbegründung in einen Umschlag getan, frankiert und in das Postausgangsfach gelegt worden sein soll; eine Glaubhaftmachung unter Nennung von Namen von Kanzleiangestellten und Vorlage von deren eidesstattlichen Versicherungen sei nicht erfolgt. Im Übrigen - die Angaben des Klägers als ausreichend konkret zugrunde gelegt - liege aufgrund der bekannten Überfüllung der Postabholkiste ein dem Kläger zurechenbares Organisationsverschulden vor.
Rz. 5
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 6
Die statthafte (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (BGH, Beschl. v. 15.12.2015 - VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rz. 5 m.w.N.), sind nicht erfüllt. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich; insb. verletzen die angefochtenen Beschlüsse nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG NJW 2003, 281 m.w.N.).
Rz. 7
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, dass ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung, das dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist und die Wiedereinsetzung ausschließt (§ 233 Satz 1 ZPO), nicht vorliegt.
Rz. 8
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Der Prozessbevollmächtigte muss durch organisatorische Maßnahmen gewährleisten, dass für den Postversand vorgesehene Schriftstücke zuverlässig auf den Postweg gebracht werden (BGH, Beschl. v. 16.7.2014 - IV ZB 40/13, juris Rz. 9; v. 5.2.2003 - IV ZB 34/02, NJW-RR 2003, 862 unter II 1; v. 18.12.2002 - IV ZB 23/02, NJW-RR 2003, 569 unter II 1; BGH, Beschl. v. 27.11.2013 - III ZB 46/13, juris Rz. 8; Urt. v. 11.1.2001 - III ZR 148/00, VersR 2002, 380 unter II 1; jeweils m.w.N.). Zu diesem Zweck hat er eine Ausgangskontrolle zu organisieren, die einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet (BGH, Beschl. v. 4.11.2014 - VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rz. 8 f.; v. 16.12.2013 - II ZB 23/12, juris Rz. 10). Geht ein fristgebundener Schriftsatz verloren, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn die Partei auf der Grundlage einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe zur Post glaubhaft macht, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist (BGH, Beschl. v. 19.6.2013 - V ZB 226/12, juris Rz. 9; v. 6.5.2015 - VII ZB 19/14, VersR 2016, Rz. 11; v. 10.9.2015 - III ZB 56/14, WM 2015, 2161 Rz. 14).
Rz. 9
b) Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor.
Rz. 10
Der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers und die eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten lassen - trotz entsprechenden Hinweises durch den Vorsitzenden des Berufungsgerichts - bereits einen lückenlosen Vortrag dazu vermissen, wann und von wem die Berufungsbegründungsschrift versandfertig gemacht und in die Postausgangskiste gelegt worden ist. Es fehlt diesbezüglich auch an hinreichender Glaubhaftmachung; der Hinweis des Prozessbevollmächtigten auf die ihm insoweit erteilte Auskunft durch das "Personal" ist erkennbar ungenügend. Zutreffend hat das Berufungsgericht zudem ein dem Kläger zurechenbares Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten darin gesehen, dass nach dessen Schilderung die Postkisten bereits in der Vergangenheit häufiger derart vollgefüllt gewesen seien, dass die oberen Postsendungen bereits über den Rand des Postkastens hinausragten. Der Prozessbevollmächtigte wäre gehalten gewesen, zumindest eine weitere Postkiste vorzuhalten bzw. organisatorisch hierauf hinzuwirken.
Rz. 11
Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, dem Kläger könne ein Verschulden während des Transportvorgangs nicht zugerechnet werden, verkennt sie, dass der Schriftsatz vorliegend noch im organisatorischen Verantwortungsbereich des Prozessbevollmächtigten, hinter dessen Regal die Berufungsbegründung gerutscht war, und nicht erst auf dem Transport durch die Post verlustig gegangen ist. Aus der Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Verlust von fristwahrenden Schriftstücken auf dem Postweg (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 11.2.1957 - VII ZB 3/57, BGHZ 23, 291, 293; Beschl. v. 6.5.2015 - VII ZB 19/14, VersR 2016, 69 Rz. 11) kann die Rechtsbeschwerde daher nichts herleiten.
Rz. 12
2. Die darüber hinaus in der Rechtsbeschwerde erhobene Gehörsrüge, wonach das Berufungsgericht das Wiedereinsetzungsvorbringen des Klägers unzutreffend gewürdigt habe, greift nicht durch. Entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde ist das Berufungsgericht nicht davon ausgegangen, dass bereits in der Vergangenheit Poststücke hinter das Regal gerutscht seien. Der Gehörsrüge liegt insoweit ein Missverständnis der diesbezüglich von ihr angegriffenen Stelle in der Begründung des angegriffenen Beschlusses zugrunde.
Fundstellen
Haufe-Index 9788975 |
BB 2016, 2370 |