Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Glaubhaftmachung. Eidesstattliche Versicherung. Fristversäumung aus Versehen
Leitsatz (amtlich)
Zur Glaubhaftmachung eines Versehens bedarf es nicht der Darlegung von Gründen, die das Versehen erklären könnten.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 12.02.2004; Aktenzeichen 10 U 286/03) |
LG Limburg a.d. Lahn |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des OLG Frankfurt v. 12.2.2004 aufgehoben.
Der Beklagten wird gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Beschwerdewert: 116.732,87 EUR.
Gründe
I.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 22.10.2003 zugestellte Urteil am 14.11.2003 Berufung eingelegt, diese jedoch erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 5.1.2004 begründet. Gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung vorgetragen, ursächlich für die Fristversäumung sei ein Versehen der Kanzleiangestellten E., einer zuverlässigen und mit dem Fristenwesen vertrauten Kraft. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe bei Zustellung des Urteils die schriftliche Anweisung erteilt, den Ablauf der Berufungsfrist und den der Berufungsbegründungsfrist (22.12.2003), jeweils mit Vorfrist, im Fristenkalender zu vermerken. Die Kanzleiangestellte E. habe auf dem Aktenvermerk hinsichtlich beider Fristen einen Erledigungsvermerk angebracht, versehentlich aber nur die Berufungsfrist nebst Vorfrist, nicht dagegen die Berufungsbegründungsfrist im Kalender eingetragen. Zur Glaubhaftmachung hat die Beklagte Ablichtung des betreffenden Aktenvermerks sowie eine eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten E. vorgelegt.
II.
Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei auf Grund des von dem Beklagten vorgetragenen Sachverhalts nicht davon überzeugt, dass die Fristversäumung nicht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten beruhe. Nach der Lebenserfahrung sei davon auszugehen, dass der Aktenvermerk von der Kanzleiangestellten E. in einem Arbeitsgang abgearbeitet worden sei; dann aber sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Berufungsfrist eingetragen worden, die Eintragung der ebenso bedeutenden Berufungsbegründungsfrist dagegen unterblieben sei. Gründe dafür seien nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht vorgetragen worden.
III.
1. Die hiergegen form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Beklagten ist gem. § 238 Abs. 4 S. 1, § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO statthaft. Sie ist zulässig gem. § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, denn die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt die Beklagte in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (BGH, Beschl. v. 23.10.2003 - V ZB 28/03, BGHReport 2004, 266 = MDR 2004, 408 = NJW 2004, 367, unter II 1).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, denn die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf einer Würdigung, die der Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert.
Nach dem Vorbringen der Beklagten im Wiedereinsetzungsverfahren ist Ursache der Fristversäumung ein Versehen der zuverlässigen und mit dem Fristenwesen vertrauten Kanzleiangestellten E. bei der Ausführung der ihr schriftlich erteilten Anweisung zur Notierung der Berufungsbegründungsfrist. Dass es sich hierbei um ein Versehen handelte, hat die Kanzleiangestellte E. eidesstattlich versichert. Konkrete Umstände, die Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer eidesstattlichen Versicherung begründen könnten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Damit ist ein Geschehensablauf glaubhaft gemacht, bei dem nach der ständigen Rechtsprechung des BGH Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (z.B. BGH, Beschl. v. 22.3.1995 - VIII ZB 2/95, MDR 1995, 1266 = NJW 1995, 1682, unter III 1; Beschl. v. 29.6.1995 - III ZB 6/95, VersR 1996, 388). Soweit das Berufungsgericht darüber hinaus zur Glaubhaftmachung eines Versehens die Darlegung von Gründen fordert, die das Versehen erklären könnten, überspannt es die an die Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes zu stellenden Anforderungen (BGH, Beschl. v. 8.10.1998 - X ZB 33/97, NJW-RR 1999, 428, unter II 3).
Fundstellen
Haufe-Index 1276690 |
NJW 2005, 2625 |
BGHR 2005, 321 |
FamRZ 2005, 267 |
NJW-RR 2005, 1006 |
ZAP 2005, 217 |
MDR 2005, 469 |
PA 2005, 19 |
Mitt. 2005, 136 |
ProzRB 2005, 154 |