Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung bei Fristversäumnis wegen Krankheit des Prozessbevollmächtigten
Leitsatz (redaktionell)
Die Krankheit des Prozessbevollmächtigten einer Partei ist nur dann ein Wiedereinsetzungsgrund, wenn die Krankheit den Prozessbevollmächtigten überrascht hat und Maßnahmen zur Fristwahrung nicht mehr zumutbar waren. Im übrigen muss ein Rechtsanwalt grundsätzlich dafür Sorge tragen, dass die laufenden Rechtsmittelfristen kontrolliert und die erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung dieser Fristen ergriffen werden, wenn er selbst wegen Krankheit hierzu nicht in der Lage ist.
Normenkette
ZPO § 238 Abs. 2 S. 1, § 522 Abs. 1 S. 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
LG Köln (Beschluss vom 11.03.2003) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Köln v. 11.3.2003 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 12.220,96 Euro
Gründe
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des AG Köln v. 17.12.2002, durch das sie zur Räumung einer unter Zwangsverwaltung stehenden Wohnung ihrer Mutter verurteilt worden ist, ging am 21.1.2003 bei dem LG Köln ein. Nach Ablauf der Frist zur Begründung der Berufung am 24.2.2003 teilte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz v. 27.2.2003 mit, er sei in den vergangenen zwei Wochen zur Ausübung seiner anwaltlichen Tätigkeit außer Stande gewesen und erst jetzt wieder hierzu in der Lage; er werde die Begründung am 28.2.2003 vorlegen, was auch geschah. Am 7.3.2003 beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist. Er habe sich insbesondere in der Zeit v. 21. bis 26.2.2003 in einer gesundheitlichen Ausnahmesituation befunden, die es ihm unmöglich gemacht habe, seiner anwaltlichen Tätigkeit nachzugehen. Mit Beschl. v. 11.3.2003 hat das LG den Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten. Das LG hat durch weiteren Beschl. v. 14.4.2003 die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen; gegen diesen Beschluss hat die Beklagte ebenfalls Rechtsbeschwerde eingelegt, die Gegenstand eines gesonderten Verfahrens ist.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 238 Abs. 2 S. 1, 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, aber unzulässig, weil die Zulassungsgründe des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
1. Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts setzt voraus, dass es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Sachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierung ganz oder teilweise fehlt (BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [225] = BGHReport 2002, 948). Das ist hier nicht der Fall. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen einer Partei wegen der Erkrankung ihres Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung zu gewähren ist, ist in der Rechtsprechung des BGH geklärt. Danach muss der Rechtsanwalt einer Partei grundsätzlich dafür Sorge tragen, dass die laufenden Rechtsmittelfristen kontrolliert und die erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung solcher Fristen ergriffen werden, wenn er selbst dazu wegen einer Erkrankung nicht in der Lage ist (BGH, Beschl. v. 6.3.1990, VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026; Beschl. v. 11.3.1991 - II ZB 1/91, VersR 1991, 1270; Beschl. v. 26.11.1998 - IX ZB 84/98, AnwBl 1999, 227; Beschl. v. 8.2.2000 - XI ZB 20/99 veröffentlicht bislang nur bei juris). Eine Ausnahme ist nur dann anzuerkennen, wenn die Erkrankung den Rechtsanwalt überrascht und Maßnahmen zur Fristwahrung nicht mehr zumutbar sind (BGH, Beschl. v. 6.3.1990 - VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026). Ist ein Rechtsanwalt erkrankt, muss er Vorsorge auch für den Fall treffen, dass sich seine Erkrankung verschlimmert. Dass er die Entwicklung seiner Erkrankung günstiger einschätzt, entlastet ihn nicht (BGH, Beschl. v. 8.2.2000 - XI ZB 20/99, veröffentlicht bislang nur bei juris; vgl. dazu auch Beschl. v. 3.12.1998 - X ZR 181/98, MDR 1999, 1029 = NJW-RR 1999, 938). Diese Grundsätze gelten für Rechtsanwälte, die mit anderen in einer Sozietät verbunden, genauso wie für Rechtsanwälte, die - wie der Prozessbevollmächtigte der Beklagten - eine Einzelkanzlei haben (BGH, Beschl. v. 6.3.1990 - VI ZB 4/90, VersR 1990, 1026; Beschl. v. 26.11.1998 - IX ZB 84/98, AnwBl 1999, 227).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig.
a) Diese Voraussetzung ist namentlich in den Fällen einer Divergenz gegeben (BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [226] = BGHReport 2002, 948). Entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde liegt eine solche Divergenz hier nicht vor. Die Beklagte hat nämlich nicht dargelegt, dass die angefochtene Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die von ihr angeführte höchstrichterliche Rechtsprechung, also einen Rechtssatz aufstellt, der von einem die Vergleichsentscheidungen tragenden Rechtssatz abweicht (vgl. BGH v. 1.12.1983 - V BLw 18/83, BGHZ 89, 149 [151] = MDR 1984, 303; v. 29.5.2002 - V ZB 11/02, BGHZ 151, 42 [45] = BGHReport 2002, 745). Das LG ist im Gegenteil ausdrücklich von der Rechtsprechung des BGH ausgegangen, die es auch im Wesentlichen zutreffend wiedergegeben hat. Dafür, dass und in welcher Hinsicht sich das LG hiervon distanzieren und strengere Grundsätze hat anlegen wollen, lassen sich seiner Entscheidung Anhaltspunkte nicht entnehmen.
b) Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zu Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch dann erforderlich, wenn bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren (BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [226] = BGHReport 2002, 948). Solche Fehler sind dem LG indessen nicht unterlaufen. Das LG hat die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei der Erkrankung des Rechtsanwalts richtig angewandt und hierbei auch unter Berücksichtigung der großen Bedeutung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für den effektiven Rechtsschutz (dazu: BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [227 f.] = BGHReport 2002, 948) keine überzogenen Anforderungen gestellt. Die Einschätzung des LG, seine Erkrankung am Wochenende vor dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist habe den Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht unvorbereitet und überraschend getroffen, ist als tatrichterliche Würdigung einer Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt zugänglich, insoweit aber nicht zu beanstanden. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat dem LG mit seinem Schriftsatz v. 27.2.2002 anwaltlich versichert, dass er in den vergangenen zwei Wochen ernstlich erkrankt gewesen sei. Auch wenn er in dieser Zeit nicht im Stande gewesen sein sollte, seiner anwaltlichen Tätigkeit nachzugehen, so wäre ihm doch zumutbar gewesen, den Rechtsanwaltskollegen, mit dem er nach seinen Angaben im Wiedereinsetzungsgesuch in solchen Fällen zusammenarbeitet, um Durchsicht des Fristenbuchs und um Stellung etwa erforderlicher Anträge zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu bitten. Dies hat er indessen versäumt. Dass er an seine rechtzeitige Genesung glaubte, entlastet ihn nicht. Die von ihm selbst vorgetragene Ernstlichkeit seiner Erkrankung gab ihm Veranlassung, auch mit der dann eingetretenen gegenteiligen Möglichkeit zu rechnen und die zudem mit einfachen Mitteln möglichen Frist wahrenden Maßnahmen zu ergreifen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1064832 |
FamRZ 2004, 182 |