Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Musterklägers wird der Musterentscheid des Oberlandesgerichts Köln vom 30. September 2021 aufgehoben, soweit das Oberlandesgericht die Feststellungsziele I 1 bis 19 als unbegründet zurückgewiesen und den Vorlagebeschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 6. August 2020 hinsichtlich des Feststellungsziels II 1 für gegenstandslos erklärt hat.
Das Feststellungsziel II 1 wird als unbegründet zurückgewiesen. Der Vorlagebeschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 6. August 2020 ist hinsichtlich der Feststellungsziele I 1 bis 19 gegenstandslos.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde des Musterklägers zurückgewiesen.
Der Musterkläger trägt die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Musterrechtsbeschwerdegegnerin. Seine außergerichtlichen Kosten trägt der Musterkläger selbst.
Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf bis zu 13.000 € festgesetzt.
Gründe
A.
Rz. 1
Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) darüber, ob der bei der Emission des "C. -Fonds " (im Folgenden: Fonds) am 7. Mai 2008 aufgestellte Prospekt (im Folgenden: Prospekt) fehlerhaft ist und ob die Musterbeklagten hierfür aufgrund sogenannter bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen werden können.
Rz. 2
Bei dem Fonds handelte es sich um eine Beteiligung an den beiden Einschiffgesellschaften N. Schiffsbetriebsgesellschaft mbH & Co. MS "NE " KG und der NA. Schiffsbetriebsgesellschaft mbH & Co. MS "M. " KG (im Folgenden: Einschiffgesellschaften). Die Anleger beteiligten sich dabei direkt als Kommanditisten der Einschiffgesellschaften, und die Gesamteinlage eines jeden Kommanditisten verteilte sich zu gleichen Teilen auf die Einschiffgesellschaften. Die MS "NE. " und die MS "M. " waren Containerschiffe mit einer Containerkapazität von je 2.556 TEU (Twenty Foot Equivalent Unit bzw. 20-Fuß-Standard-Container).
Rz. 3
Die Musterbeklagte zu 1 stellte den Prospekt auf. Die Musterbeklagten zu 2 und 3 waren Gründungskommanditistinnen der Einschiffgesellschaften.
Rz. 4
Die Musterbeklagten werden auf Schadensersatz wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Beteiligung an dem Fonds nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen.
Rz. 5
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6. August 2020 dem Oberlandesgericht Feststellungsziele zum Zweck der Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt. Mit den Feststellungszielen I 1 bis 19 werden Prospektfehler geltend gemacht. Daneben wird die Feststellung begehrt, dass die Musterbeklagten als Gründungsgesellschafter der Fondsgesellschaften, respektive aufgrund der Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens nach den Grundsätzen der uneigentlichen Prospekthaftung im weiten Sinne gemäß § 311 Abs. 2 und 3, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB verantwortlich sind (Feststellungsziel II 1), bei der Veröffentlichung des Prospekts schuldhaft ihre vertraglichen Aufklärungspflichten verletzt haben (Feststellungsziel II 2) und verpflichtet waren, über die festgestellten unrichtigen, unvollständigen und irreführenden Punkte im streitgegenständlichen Prospekt aufzuklären, und deshalb wegen Verletzung ihrer Aufklärungspflichten haften (Feststellungsziel II 3).
Rz. 6
Das Oberlandesgericht hat durch Musterentscheid vom 30. September 2021 die Musterfeststellungsanträge I 1 bis 19 als unbegründet zurückgewiesen. Zudem hat es festgestellt, dass die Musterfeststellungsanträge II 1 bis 3 gegenstandslos sind.
Rz. 7
Gegen den Musterentscheid hat der Musterkläger Rechtsbeschwerde eingelegt. Er verfolgt seine Feststellungsanträge weiter.
Rz. 8
Der Senat hat mit Beschluss vom 21. Februar 2022 die Musterbeklagte zu 1 zur Musterrechtsbeschwerdegegnerin bestimmt.
B.
Rz. 9
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Musterklägers hat im Ergebnis keinen Erfolg.
I.
Rz. 10
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist rechtzeitig eingelegt und begründet worden (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO) und formuliert einen ordnungsgemäßen Rechtsbeschwerdeantrag (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 575 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).
II.
Rz. 11
Die Rechtsbeschwerde des Musterklägers hat im Ergebnis keinen Erfolg. Sie führt nur dazu, dass das Feststellungsziel II 1 und nicht die Feststellungsziele I 1 bis 19 als unbegründet zurückgewiesen werden und dass der Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele I 1 bis 19 gegenstandslos ist.
Rz. 12
1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung des Musterentscheids - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 13
Die Feststellungsziele I 1 bis 19 seien unbegründet, weil die gerügten Prospektfehler nicht vorlägen. Die Feststellungsziele II 1 bis 3 seien gegenstandslos, weil es auf die damit aufgeworfenen Fragen nicht mehr ankomme.
Rz. 14
2. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Oberlandesgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass keine Prospektfehler vorliegen. Denn die Rechtsbeschwerde hat bereits aus einem anderen Grund im Ergebnis keinen Erfolg. Das Feststellungsziel II 1 ist wegen des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung als unbegründet zurückzuweisen. Somit ist der Vorlagebeschluss nicht nur - wie vom Oberlandesgericht bereits festgestellt - hinsichtlich der Feststellungsziele II 2 und 3, sondern auch hinsichtlich der Feststellungsziele I 1 bis 19 gegenstandslos.
Rz. 15
a) Durch das Feststellungsziel II 1 sollte nur eine Haftung der Musterbeklagten nach den Grundsätzen der "Prospekthaftung im weiteren Sinne" durch Verwenden eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden. Dies ergibt sich aus der Zusammenschau mit dem Feststellungsziel II 2, das ausdrücklich darauf abstellt, dass die Musterbeklagten "bei der Veröffentlichung" des streitgegenständlichen Prospekts ihre Aufklärungspflichten verletzt hätten. Zudem sind Feststellungsziele so auszulegen, dass ein prozessual zulässiges Ergebnis erreicht wird. Feststellungen zu einem Schadensersatzanspruch, der nicht an eine falsche, irreführende oder unterlassene öffentliche Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung anknüpft, wären im Kapitalanleger-Musterverfahren unstatthaft (Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2021 - XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 21 und vom 26. April 2022 - XI ZB 27/20, WM 2022, 1169 Rn. 16).
Rz. 16
b) Die begehrte Feststellung ist nicht zu treffen, weil die vom Musterkläger geltend gemachte Haftung der Musterbeklagten aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird - was der Senat bereits mehrfach entschieden hat (Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2021 - XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 22 ff., vom 14. Juni 2022 - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 7 f. mwN in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, juris und vom 26. Juli 2022 - XI ZB 23/20, juris Rn. 50 ff. mwN) - vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt.
Rz. 17
Auf den am 7. Mai 2008 aufgestellten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG in der vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) in Verbindung mit § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) eröffnet.
Rz. 18
Die Musterbeklagte zu 1 ist Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BörsG aF. Denn sie hat die Verantwortung für den Prospekt ausdrücklich übernommen (Seite 13 des Prospekts). Die Musterbeklagten zu 2 und 3 sind nach den Feststellungen des Musterentscheids Gründungskommanditistinnen der Einschiffgesellschaften und als solche Prospektveranlasserinnen im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. Oktober 2021 - XI ZB 26/19, WM 2021, 2386 Rn. 24, vom 26. April 2022 - XI ZB 32/19, WM 2022, 1277 Rn. 39 und vom 14. Juni 2022 - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 12 in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, juris). Die Musterbeklagten hafteten mithin für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF. Neben dieser ist eine Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen.
Rz. 19
c) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den von der Rechtsbeschwerde zitierten Entscheidungen des II. und des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs. Insoweit wird auf die Ausführungen in den Senatsbeschlüssen vom 15. März 2022 (XI ZB 31/20, WM 2022, 921 Rn. 25 ff.), vom 26. April 2022 (XI ZB 27/20, WM 2022, 1169 Rn. 22 ff.) und vom 19. Juli 2022 (XI ZB 32/21, WM 2022, 1684 Rn. 23 ff.) verwiesen. Die Rechtsbeschwerde rügt zudem zu Unrecht die Zuständigkeit des Senats (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 19. Juli 2022, aaO Rn. 33 f.).
Rz. 20
d) Da der Antrag zu dem Feststellungsziel II 1 in der Sache unbegründet ist, ist der Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele I 1 bis 19 und II 2 und 3 gegenstandslos (vgl. Senatsbeschluss vom 15. März 2022 - XI ZB 31/20, WM 2022, 921 Rn. 30 ff. mwN).
III.
Rz. 21
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens folgt aus § 26 Abs. 1 und 3 KapMuG i.V.m. §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entsprechend. Soweit der Senat auf die (teilweise) Gegenstandslosigkeit des Vorlagebeschlusses erkennt, ist damit eine der Rechtsbeschwerde günstige Entscheidung in der Sache, die eine Belastung der Musterbeklagten mit Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens rechtfertigte, nicht verbunden (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 - XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 76).
IV.
Rz. 22
Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts für die Gerichtskosten folgt aus § 51a Abs. 2 GKG, wobei vorliegend wegen Klagerücknahmen in den übrigen Verfahren nur der Streitwert im Verfahren des Musterklägers und damit die Gebührenstufe bis 13.000 € anzusetzen ist.
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Fundstellen
Dokument-Index HI15507873 |