Normenkette
ZPO § 511 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 16.08.2021; Aktenzeichen 16 S 321/19) |
AG Bernau (Entscheidung vom 19.07.2019; Aktenzeichen 10 C 15/19) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 6. Zivilkammer - vom 16. August 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 4.463 €.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Die Kläger wollen erreichen, dass die Beklagten den auf deren Grundstück parallel zu der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichteten Flechtzaun beseitigen. Das Amtsgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Ihre Berufung hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Kläger beantragen, wollen die Beklagten die Durchführung des Berufungsverfahrens erreichen.
II.
Rz. 2
Aus Sicht des Berufungsgerichts erreicht der Wert des Beschwerdegegenstands den nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderlichen Beschwerdewert von mehr als 600 € nicht. Insoweit komme es auf die Kosten für den Abriss des Zauns an. Dieser bestehe aus Zaunelementen, deren Entfernung keinesfalls Kosten von 500 € verursache. Von der Richtigkeit der nicht näher belegten Behauptung der Beklagten, zwei Personen würden jeweils 1,5 Arbeitstage benötigen, habe sich das Berufungsgericht nicht überzeugen können.
III.
Rz. 3
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erfordert schon deshalb eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, weil das Berufungsgericht bei der Anwendung von § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Bemessung der Beschwer bei der Verurteilung zu einem Rückbau außer Acht gelassen hat.
Rz. 4
2. In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich eine 600 € übersteigende Beschwer der Beklagten im Sinne von § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht verneinen.
Rz. 5
a) Richtig ist im Ausgangspunkt, dass sich die Beschwer einer Partei, die zur Beseitigung einer baulichen Veränderung verurteilt worden ist, grundsätzlich nach den Kosten einer Ersatzvornahme des Abrisses bemisst (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 15. Januar 2015 - V ZB 135/14, NJW-RR 2015, 337 Rn. 3 mwN) und dass das Interesse an einem Sichtschutz keine Berücksichtigung finden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juli 2020 - V ZB 137/19, NJW-RR 2020, 1004 Rn. 8).
Rz. 6
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann aber auch das Interesse an dem Erhalt des Bauwerks bei der Bemessung der Beschwer zu berücksichtigen sein.
Rz. 7
aa) Übersteigt das Interesse des Beklagten, der zur Beseitigung einer baulichen Veränderung verurteilt worden ist, an dem Erhalt des Bauwerks die grundsätzlich maßgeblichen Kosten einer Ersatzvornahme des Abrisses, die ihm im Fall des Unterliegens drohen, so ist die Beschwer regelmäßig nach dem höheren Interesse an dem Erhalt des Bauwerks zu bemessen; dieses bestimmt sich grundsätzlich nach den für den Bau aufgewendeten Kosten. Diese Kosten, die einen Anhaltspunkt für den Wert des Bauwerks darstellen, wären bei der Verurteilung zum Rückbau vergeblich aufgewandt. Daher erscheint es sachgerecht, die Beschwer grundsätzlich nach diesen Kosten zu bemessen (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juli 2020 - V ZB 137/19, NJW-RR 2020, 1004 Rn. 8; Beschluss vom 26. September 2019 - V ZR 224/18, NZM 2019, 881 Rn. 3).
Rz. 8
bb) Die Beklagten hatten bereits in erster Instanz geltend gemacht, sie hätten für die Errichtung des fest im Boden verankerten Zauns über 4.000 € aufgewendet, ohne dass die Kläger dem entgegengetreten sind. In der Berufungsinstanz haben sie präzisiert, dass die Kosten 4.463 € betragen hätten. Hiermit hat sich das Berufungsgericht, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, nicht auseinandergesetzt, weil es diesen Vortrag aus Rechtsgründen für unerheblich hielt. Infolgedessen hat es auch die ihm obliegende eigene Schätzung auf Grund eigener Lebenserfahrung und Sachkenntnis nach freiem Ermessen unter Auswertung des Akteninhalts (eingehend dazu Senat, Beschluss vom 21. Juni 2018 - V ZB 254/17, NJW-RR 2018, 1421 Rn. 6) nicht vorgenommen.
IV.
Rz. 9
Die Sache ist nicht im Sinne von § 577 Abs. 5 ZPO zur Entscheidung reif. Zwar kann das Rechtsbeschwerdegericht den Wert der Beschwer schätzen, wenn das Beschwerdegericht dies unterlassen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Juni 2018 - V ZB 254/17, NJW-RR 2018, 1421 Rn. 8 mwN), und ausgehend von dem Vortrag der Beklagten, dass es sich um 20 bis 22 Sichtelemente mit Betonfundamenten handelt, sind die von ihnen genannten Kosten der Errichtung plausibel. Die Feststellungen des Berufungsgerichts reichen aber als Grundlage für eine Schätzung durch den Senat nicht aus. Es steht schon nicht fest, wie lang der Zaun ist und wie er verankert ist. Insbesondere nimmt das Berufungsgericht in dem Zurückweisungsbeschluss nur den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, nicht jedoch seinen Hinweisbeschluss in Bezug, so dass die in Letzterem enthaltenen Angaben im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden können (vgl. § 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO und Senat, Beschluss vom 21. Juni 2018 - V ZB 254/17, NJW-RR 2018, 1421 Rn. 12).
V.
Rz. 10
1. Die Entscheidung ist nach alledem aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO), das zunächst unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Senats zu ermitteln haben wird, ob die Beschwer 600 € übersteigt. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, dass die Errichtungskosten 600 € nicht übersteigen, wird es die Beseitigungskosten unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Rechtsbeschwerdebegründung zu überprüfen haben. Aus dem Zurückweisungsbeschluss geht nicht hervor, ob die Beseitigung der Stützpfeiler nebst Betonfundamenten bei der Schätzung der Beschwer einbezogen worden ist. Das ist deshalb angezeigt, weil die Verurteilung zur Beseitigung des Zauns alle Bestandteile der Zaunanlage umfasst; eine Beschränkung auf einzelne Zaunelemente lässt sich dem Tenor des angefochtenen Urteils nicht entnehmen.
Rz. 11
2. Den Gegenstandswert hat der Senat mangels anderer Anhaltspunkte anhand der Angaben der Beklagten bemessen.
Brückner |
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Haberkamp |
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Hamdorf |
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Malik |
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Laube |
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Fundstellen
Dokument-Index HI15274808 |