Leitsatz (amtlich)
Wird dem Berufungskläger nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt, beginnt die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Nachholung der Berufungsbegründung erst mit der Mitteilung der Wiedereinsetzungsentscheidung.
Normenkette
ZPO § 234 Abs. 1 S. 2, Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des KG in Berlin vom 30.5.2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 4. Zivilsenats des KG in Berlin vom 30.5.2006 aufgehoben.
Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Berufung der Klägerin und über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt bis zu 35.000 EUR.
Der Antrag der Klägerin auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts wird als offensichtlich unbegründet abgelehnt.
Gründe
I.
[1] Das LG hat mit Urteil vom 14.7.2005, zugestellt am 22.7.2005, die Klage der Klägerin gegen die beklagte Bank auf Rückabwicklung eines zur Finanzierung einer Immobilienfondsbeteiligung abgeschlossenen Darlehensvertrages abgewiesen. Mit einem beim Berufungsgericht am 22.8.2005 eingegangenen Schreiben hat die Klägerin beantragt, ihr für die beabsichtigte Durchführung des Berufungsverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Dem Antrag hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 16.2.2006 im Wesentlichen stattgegeben und der Klägerin eine Rechtsanwältin beigeordnet. Der Beschluss ist der Klägerin am 17.2.2006 formlos übersandt und der Rechtsanwältin am 22.2.2006 zugestellt worden. Diese hat am 6.3.2006 Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist sowie Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7.4.2006 beantragt. Mit Verfügung vom 23.3.2006 hat der Berichterstatter des Berufungssenats die Klägerin darauf hingewiesen, dass gegen die Gewährung der Fristverlängerung Bedenken bestünden.
[2] Daraufhin hat die Klägerin am 31.3.2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist gem. § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO beantragt und die Berufung begründet.
[3] Mit Beschluss vom 6.4.2006, zugestellt am 12.4.2006, hat das Berufungsgericht der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt. Durch Beschluss vom 27.5.2006 hat das Berufungsgericht den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt, weil es sich der Sache nach um einen Antrag auf eine gesetzlich nicht zulässige Verlängerung der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Nachholung der versäumten Prozesshandlung i.S.d. § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO handele.
[4] Mit dem angefochtenen Beschluss (KGReport 2006, 856) hat das Berufungsgericht den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 31.3.2006 gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zurückgewiesen sowie den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 6.3.2006 gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und die Berufung der Klägerin mangels fristgerecht eingereichter Berufungsbegründung als unzulässig verworfen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sei unzulässig, weil die versäumte Prozesshandlung entgegen §§ 234 Abs. 1 Satz 2, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht innerhalb der Antragsfrist von einem Monat nachgeholt worden sei. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist sei unbegründet, weil die Versäumung der Frist von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin verschuldet worden sei und die Klägerin sich dieses Verschulden nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse; die Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe nicht davon ausgehen dürfen, dass angesichts der - wie sie meint - "offensichtlichen Verfassungswidrigkeit" des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO das Berufungsgericht dem Fristverlängerungsantrag stattgeben werde. Aufgrund dessen sei die Berufung nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist, die am 22.9.2005 abgelaufen sei, begründet worden und daher unzulässig.
[5] Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin. Durch Beschluss vom 12.12.2006, zugestellt am 14.12.2006, hat der Senat der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt. Daraufhin hat sie am 15.12.2006 wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und diese, nachdem dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde am 8.1.2007 entsprochen worden war, am 15.1.2007 begründet.
II.
[6] Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
[7] 1. Die gem. §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Klägerin ist zulässig, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und zudem zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Die Verfahrensgarantien des Grundgesetzes verbieten es, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. dazu BVerfG v. 11.2.1987 - 1 BvR 475/85, BVerfGE 74, 228, 234 = MDR 1987, 728 = CR 1987, 374; BVerfG v. 22.10.2004 - 1 BvR 894/04, NJW 2005, 814, 815; BGHZ 151, 221, 227). Indem das Berufungsgericht zu Unrecht (dazu unter 2.) davon ausgegangen ist, dass die Klägerin die Berufungsbegründung nicht fristgerecht nachgeholt habe, hat es der Klägerin den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.
[8] 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
[9] a) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Frist zur Begründung der Berufung gegen das am 22.7.2005 zugestellte Urteil des LG am 22.9.2005 abgelaufen war, so dass die erst am 31.3.2006 eingereichte Berufungsbegründung an sich verfristet war.
[10] b) Das Berufungsgericht hat aber den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Unrecht als unzulässig verworfen. Die Klägerin hat die versäumte Prozesshandlung - die Einreichung der Berufungsbegründung - innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO nachgeholt. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten, und beginnt gem. § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Diese Frist hat die Klägerin eingehalten, weil die Frist erst mit der Mitteilung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist - hier also am 12.4.2006 - zu laufen begonnen hat.
[11] aa) Liegt das Hindernis - wie hier - in der Mittellosigkeit der Partei, entfällt es zwar für die Berufungseinlegung grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, so dass der Lauf der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu diesem Zeitpunkt beginnt (vgl. Senatsbeschluss v. 8.2.1994 - XI ZB 1/94, VersR 1994, 1324; BGH, Beschl. v. 2.10.1985 - IVb ZB 62/85, BGH v. 2.10.1985 - IVb ZB 62/85, VersR 1986, 40, 41; v. 21.3.2006 - VI ZB 31/05, VersR 2006, 1141, 1142). Ob dies aber auch hinsichtlich der Berufungsbegründung und der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO gilt, hat der BGH noch nicht entschieden. Der III. Zivilsenat des BGH (Beschl. v. 29.6.2006 - III ZA 7/06, BGHReport 2006, 1192 = MDR 2007, 100 = NJW 2006, 2857, 2858) hat lediglich für die Fallgestaltung einer unbedingt eingelegten Berufung und eines sodann gestellten Prozesskostenhilfeantrages angenommen, dass der Lauf der Begründungsfrist nach Maßgabe des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO beginnt und dem Antragsteller nach Wegfall des Hindernisses, d.h. nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe oder deren Versagung, die Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Verfügung steht, um die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.
[12] bb) In der Literatur ist die Beantwortung der Frage umstritten.
[13] Nach der überwiegenden Auffassung ist § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO dahin auszulegen, dass bei versäumter Berufungsfrist die Begründungsfrist erst ab Mitteilung der Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist läuft (so Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 28. Aufl., § 234 Rz. 3b; Fölsch MDR 2004, 1029, 1032; Löhnig FamRZ 2005, 578, 579; Lange DB 2004, 2125, 2128 zum gleichlautenden § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Andere Stimmen in der Literatur sprechen sich für eine Korrektur des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in der Weise aus, dass ab Mitteilung des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe eine zweite, gleichlange Begründungsfrist, mithin im Falle der Berufung die zweimonatige Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO, laufen soll (H. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl., § 234 Rz. 13; HK-ZPO/Saenger, 2. Aufl., § 234 Rz. 7; Schultz NJW 2004, 2329, 2334). Teilweise macht die Literatur auch nur verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung geltend, ohne aber Lösungen für eine Abhilfe aufzuzeigen (Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl., § 234 Rz. 7a; Musielak/Grandel, ZPO 5. Aufl., § 236 Rz. 6; Born NJW 2005, 2042, 2044; Greger NJW-Sonderheft BayObLG 2005, 36, 38; Knauer/Wolf NJW 2004, 2857, 2863). Lediglich vereinzelt wird in der Literatur die Neuregelung des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO für verfassungsgemäß gehalten (ausdrücklich: Bischoff FamRB 2005, 47, 48; ohne nähere Begründung: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 65. Aufl., § 236 Rz. 14); diese Auffassung wird in instanzgerichtlichen Entscheidungen geteilt (vgl. etwa OLG Stuttgart v. 23.5.2006 - 5 U 78/05, OLGReport Stuttgart 2006, 677).
[14] cc) Der erkennende Senat schließt sich der erstgenannten Literaturmeinung an. § 234 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 ZPO ist dahin auszulegen, dass bei auch versäumter Berufungsfrist die Frist zur Nachholung der Berufungsbegründung erst mit der Mitteilung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist läuft.
[15] (1) Hierfür sprechen bereits die Gesetzgebungsgeschichte und der Wille des Gesetzgebers.
[16] Nach der bis zum 31.12.2001 geltenden Rechtslage begann die Frist für die Berufungsbegründung mit der Einlegung der Berufung (§ 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F.). War der mittellosen Partei für die Berufungseinlegung Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr hierfür Wiedereinsetzung gewährt worden, bestand somit im Hinblick auf die Begründungsfrist zwischen mittelloser und vermögender Partei kein Unterschied. Mit der Reform der Zivilprozessordnung im Jahr 2002, die sich insoweit an bereits in anderen Verfahrensordnungen geltende Regelungen anlehnte, verschlechterte sich die Rechtslage für die mittellose Partei deutlich. Da der Beginn der Frist für die Berufungsbegründung nunmehr an die Zustellung des angefochtenen Urteils anknüpft (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO), war für die mittellose Partei bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungseinlegung in der Regel auch die Frist für die Berufungsbegründung abgelaufen, so dass sie faktisch gem. § 234 Abs. 1 ZPO a.F. die Berufung innerhalb von zwei Wochen - ohne Verlängerungsmöglichkeit - zu begründen hatte. Um diese unbillige Benachteiligung der mittellosen Partei zu vermeiden, räumte der BGH in Anlehnung an die Rechtsprechung anderer oberster Bundesgerichte der mittellosen Partei extra legem eine gesonderte Begründungsfrist ein (vgl. Beschlüsse vom 9.7.2003 - XII ZB 147/02, BGHReport 2003, 1155 m. Anm. Deichfuß = MDR 2003, 1308 = NJW 2003, 3275, 3276 f. m.w.N.; v. 25.9.2003 - IM ZB 84/02, NJW 2003, 3782 f.; v. 17.6.2004 - IX ZB 208/03, MDR 2004, 1376 = BGHReport 2004, 1374 = NJW 2004, 2902, 2903). Dabei konnte er den Meinungsstreit zwischen anderen obersten Bundesgerichten offen lassen, ob die besondere Begründungsfrist ein oder zwei Monate betrug und ob für den Fristbeginn die Mitteilung über die Wiedereinsetzung oder über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgeblich sein sollte (vgl. BGH, Beschl. v. 9.7.2003 - XII ZB 147/02, BGHReport 2003, 1155 m. Anm. Deichfuß = MDR 2003, 1308 = NJW 2003, 3275, 3277 m.w.N.).
[17] In Kenntnis dieser Problematik hat der Gesetzgeber durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz vom 24.8.2004 (BGBl. I, 2198) die Vorschrift des § 234 Abs. 1 ZPO um Satz 2 ergänzt, demzufolge die Wiedereinsetzungsfrist zur Begründung der Berufung einen Monat beträgt. Durch die Änderung sollte nach der Gesetzesbegründung sichergestellt werden, dass "einem Rechtsmittelführer, dem Prozesskostenhilfe nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist gewährt worden ist, ein Monat Zeit für die Rechtsmittelbegründung verbleibt, so dass er nicht schlechter gestellt wird als die vermögende Partei" (BT-Drucks. 15/1508, 17). Zugleich sollte hierdurch die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte zum Lauf der Rechtsmittelbegründungsfristen nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe umgesetzt werden, wobei ausdrücklich auf die Entscheidungen des BAG in NJW 1984, 941 (zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72a Abs. 3 ArbGG) und des BVerwG, Beschl. v. 17.4.2002 - 3 B 137/01, DVBI. 2002, 1050 ff. (zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) Bezug genommen wurde. Nach diesen Entscheidungen ist aber maßgeblicher Zeitpunkt für den Fristbeginn die Mitteilung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in die Einlegungsfrist (ebenso BGH v. 8.1.1982 - 2 StR 751/80, BGHSt 30, 335, 338 = MDR 1982, 423 zur Begründung der Rechtsbeschwerde nach § 345 Abs. 1 StPO; BGH BGHR StPO § 345 Abs. 1 Fristbeginn 3 zur Begründung der Revision; BVerwG Buchholz 310 § 139 VwGO Nr. 84 zur Begründung der Revision; BSG SozR 2. Folge 1500 § 67 SGG Nr. 13 und § 164 SGG Nr. 9 zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a Abs. 2 Satz 1 SGG).
[18] Da sich der Gesetzesbegründung kein Hinweis für eine nur eingeschränkte Umsetzung dieser Rechtsprechung entnehmen lässt, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber für den Beginn der Monatsfrist auf die Mitteilung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung, nicht die Bekanntgabe der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abstellen wollte. Zugleich kann wegen der eindeutigen Festlegung des Gesetzgebers auf eine einmonatige Frist den Stimmen in der Literatur, die für die Berufungsbegründungsfrist eine Verlängerung der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf zwei Monate, beginnend mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, vorschlagen (H. Roth, in: Stein/Jonas ZPO 22. Aufl., § 234 Rz. 13; HK-ZPO/Saenger, 2. Aufl., § 234 Rz. 7), nicht gefolgt werden.
[19] (2) Für die Maßgeblichkeit der Mitteilung der Wiedereinsetzungsentscheidung spricht auch das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, mit der Neuregelung die mittellose Partei nicht schlechter zu stellen als die vermögende Partei. Eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes ist nach Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsgrundsatz verfassungsrechtlich geboten (vgl. BVerfG v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 356; BVerfG DVBI. 2001, 1748, 1749; NJW 2003, 3190, 3191 m.w.N.), auch wenn eine vollständige Gleichstellung aus Verfassungsgründen nicht erforderlich ist (vgl. BVerfG v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 357; BVerfG v. 26.6.2003 - 1 BvR 1152/02, NJW 2003, 3190, 3191).
[20] Würde die Monatsfrist für die Berufungsbegründung mit der Bekanntgabe des Beschlusses über den Prozesskostenhilfeantrag beginnen, würde die mittellose Partei ggü. der vermögenden Partei deutlich benachteiligt. Während nämlich der von einer wirtschaftlich leistungsfähigen Partei für das Rechtsmittelverfahren mandatierte Anwalt zwei Monate Zeit hat, um die Berufungsbegründung zu fertigen, stünde dem Anwalt der mittellosen Partei hierfür nur eine einmonatige Frist zur Verfügung. Dieser ungleiche Fristlauf lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass im Rahmen der Zweimonatsfrist auch Überlegungen dazu angestellt werden müssen, ob die beschwerte Partei überhaupt Berufung einlegt und sich der mandatierte Anwalt erst danach mit der Erstellung der Berufungsbegründung näher befasst, während im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe diese "Vorprüfung" durch das Gericht vorgenommen wird. Eine solche zeitliche Zäsur lässt sich im Rahmen der Zweimonatsfrist im praktischen Ablauf nicht feststellen, weil die Frage der Berufungseinlegung und Überlegungen zum Inhalt der Berufungsbegründung gedanklich miteinander verschränkt sind.
[21] Die Ungleichbehandlung zwischen mittelloser und vermögender Partei wird außerdem dadurch deutlich verschärft, dass die auf Prozesskostenhilfe angewiesene Partei - anders als die vermögende - keine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erreichen kann, weil die Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO keine Begründungs-, sondern eine Wiedereinsetzungsfrist ist (Greger NJW-Sonderheft BayObLG 2005, 36, 37), für die § 224 ZPO eine Verlängerung verbietet. Auch wenn durch die Reform der Zivilprozessordnung im Jahr 2002 die Zulässigkeit einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO eingeschränkt worden ist, wird in der gerichtlichen Praxis zumindest eine einmonatige Verlängerung regelmäßig bewilligt.
[22] (3) Die Anknüpfung des Fristbeginns an die Mitteilung über die Wiedereinsetzungsentscheidung steht der Rechtsprechung des Bundes-gerichthofs zu § 234 Abs. 2 ZPO nicht entgegen.
[23] Nach dieser Vorschrift beginnt die Frist mit dem Tage, an dem das Hindernis behoben ist. Liegt das Hindernis - wie hier - in der Mittellosigkeit der Partei, entfällt es nach der ständigen Rechtsprechung des BGH für die Berufungseinlegung zwar grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe (vgl. Senatsbeschluss v. 8.2.1994 - XI ZB 1/94, VersR 1994, 1324; BGH, Beschl. v. 2.10.1985 - IVb ZB 62/85, VersR 1986, 40, 41; v. 21.3.2006 - VI ZB 31/05, VersR 2006, 1141). Diese Rechtsprechung betraf aber nach der bis zum 1.1.2002 geltenden Rechtslage nicht die Berufungsbegründung, weil die Begründungsfrist erst ab Berufungseinlegung lief und daher im Zeitpunkt der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens die Berufungsbegründungsfrist noch nicht abgelaufen sein konnte.
[24] Dies hat sich mit der Umgestaltung des Rechtsmittelrechts der Zivilprozessordnung geändert, weil aufgrund der Dauer des Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens die mittellose Partei nunmehr regelmäßig nicht nur die Berufungsfrist, sondern auch die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Da die Begründung der Berufung aber nach wie vor erst dann sinnvoll ist, wenn die Berufung eingelegt worden ist, muss § 234 Abs. 2 ZPO dahin ausgelegt werden, dass die Ursache der Verhinderung für die Einreichung der Berufungsbegründung nicht die Mittellosigkeit der Partei ist, sondern die fehlende Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Andernfalls wäre die mittellose Partei genötigt, das Rechtsmittel zu begründen, bevor sie weiß, ob ihr wegen Versäumung der Einlegungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird (vgl. BAG v. 19.9.1983 - 5 AZN 446/83, BAGE 43, 297, 298 = MDR 1984, 84 = NJW 1984, 941). Dem steht aber entgegen, dass die Begründung eines Rechtsmittels dessen Einlegung voraussetzt und ohne diesen "ersten Schritt" sinn- und zwecklos wäre (vgl. BVerwGE 36, 340, 343 = NJW 1971, 294).
[25] 3. Der Klägerin war daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren mit der Folge, dass die Verwerfung der Berufung gegenstandslos ist.
Fundstellen
BGHZ 2008, 14 |
NJW 2007, 3354 |
BGHR 2007, 986 |
EBE/BGH 2007 |
FamRZ 2007, 1640 |
WM 2007, 1719 |
WuB 2008, 159 |
MDR 2007, 1334 |
NJ 2007, 459 |
WuM 2007, 477 |
ZZP 2008, 107 |
PA 2007, 163 |