Leitsatz (amtlich)
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gem. Art. 67 AEUV folgende Frage zur Auslegung der Fluggastrechteverordnung vorgelegt:
Kann ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auch dann bestehen, wenn ein Fluggast wegen einer relativ geringfügigen Ankunftsverspätung einen direkten Anschlussflug nicht erreicht und dies eine Verspätung von drei Stunden und mehr am Endziel zur Folge hat, die beiden Flüge aber von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen ausgeführt wurden und die Buchungsbestätigung durch ein Reiseunternehmen erfolgte, das die Flüge für seinen Kunden zusammengestellt hat?
Normenkette
EGVO 261/2004 (FluggastrechteVO) Art. 7
Verfahrensgang
LG Hamburg (Entscheidung vom 06.11.2015; Aktenzeichen 320 S 41/15) |
AG Hamburg (Entscheidung vom 12.02.2015; Aktenzeichen 22a C 285/14) |
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gem. Art. 267 AEUV folgende Frage zur Auslegung der Verordnung (EG) 261/2004 des Parlaments und des Rates über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 vom 11.2.2004 (ABl. EU Nr. L 46 vom 17.2.2004 S. 1 ff.) vorgelegt:
Kann ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung auch dann bestehen, wenn ein Fluggast wegen einer relativ geringfügigen Ankunftsverspätung einen direkten Anschlussflug nicht erreicht und dies eine Verspätung von drei Stunden und mehr am Endziel zur Folge hat, die beiden Flüge aber von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen ausgeführt wurden und die Buchungsbestätigung durch ein Reiseunternehmen erfolgte, das die Flüge für seinen Kunden zusammengestellt hat?
Gründe
Rz. 1
A. Die Kläger nehmen die Beklagte auf Ausgleichszahlungen i.H.v. jeweils 400 EUR nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung EWG Nr. 295/91 (ABl. EU Nr. L 46 vom 7.2.2004 S. 1 ff.; im Folgenden: Verordnung, Fluggastrechteverordnung oder FluggastrechteVO) in Anspruch.
Rz. 2
Die Kläger buchten bei der T. GmbH eine Pauschalreise mit Flügen von Hamburg über Las Palmas nach Fuerteventura für den Zeitraum vom 22. Juni bis zum 12.7.2012. Der Flug von Hamburg nach Las Palmas, der von der Beklagten durchgeführt wurde, sollte um 12:40 Uhr starten und um 16:30 Uhr landen. Im Anschluss sollten die Kläger um 17:30 Uhr mit der Fluggesellschaft B. nach Fuerteventura fliegen. Nach dem Vortrag der Kläger hatte der erste Flug in Las Palmas eine Verspätung von etwa 20 Minuten; die Kläger verpassten deshalb den Anschlussflug und erreichten Fuerteventura mit einer Verspätung von etwa 14 Stunden.
Rz. 3
Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger das Klagebegehren weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Rz. 4
B. Die Entscheidung über die Revision erfordert die Beantwortung einer Vorfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union.
Rz. 5
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, eine Ausgleichspflicht der Beklagten ergebe sich weder aus dem Wortlaut der Fluggastrechteverordnung, noch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des BGH, wonach bei Durchführung der Flüge durch dasselbe Luftfahrtunternehmen eine am Endziel eingetretene Verspätung von mehr als drei Stunden Grundlage einer Ausgleichszahlung sein könne.
Rz. 6
Eine Ausgleichszahlung sei nicht nach Sinn und Zweck der Fluggastrechteverordnung geboten. Deren Ziel sei, ein hohes Schutzniveau für die Fluggäste, die auf die Flugplanung keinen Einfluss nehmen könnten, sicherzustellen und ihnen einen Ausgleich für die Unannehmlichkeiten zu gewähren, die insb. bei Nichtbeförderung, großer Verspätung oder Annullierung von Flügen aufträten. Eine pauschale Zuweisung der Verantwortlichkeit an das Luftfahrtunternehmen eines Zubringerfluges sei nicht sachgerecht, auch wenn im Streitfall dessen Verspätung letztlich kausal für das Verpassen des Anschlussfluges gewesen sei. Das Luftfahrtunternehmen hafte, wie Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO zeige, nur für Ereignisse, die in seiner Risikosphäre lägen. Die Haftung müsse daher ausgeschlossen sein, wenn ein Reiseunternehmen die Gesamtflugreise auf zwei Flüge aufgeteilt habe und der Anschlussflug von einem anderen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werde als der Zubringerflug. Auf die Planung der Gesamtflugstrecke wie auch auf die Umstände der Durchführung des Anschlussfluges habe das den Zubringerflug ausführende Luftfahrtunternehmen keinen Einfluss gehabt.
Rz. 7
Die daraus folgende Überbürdung des Verspätungsrisikos auf den Fluggast sei nicht unbillig. Dieser könne Probleme in der Planung der Flugverbindungen erkennen und das Reiseunternehmen auf diese Probleme hinweisen. Dem Luftfahrtunternehmen wiederum müsse, um Einfluss nehmen zu können, im Einzelnen bekannt sein, für welche Reisenden sein Flug ein Zubringerflug sei, und weiter, wann die jeweiligen Anschlussflüge planmäßig abflögen oder die betreffenden Abfertigungsschalter schlössen. Selbst bei Kenntnis dieser Umstände und der Erkennbarkeit ungünstiger Flugplanungen sei das Reiseunternehmen jedoch auch dem Luftfahrtunternehmen gegenüber nicht zu einer Änderung verpflichtet, ebenso wenig könne das Luftfahrtunternehmen des Zubringerfluges auf dasjenige des Anschlussfluges einwirken.
Rz. 8
Durch diese Sichtweise sei der Fluggast nicht schutzlos gestellt, da ihm Gewährleistungsansprüche gegen das Reiseunternehmen zustehen könnten.
Rz. 9
II. Ob diese Beurteilung der revisionsrechtlichen Überprüfung standhält, hängt von der Auslegung von Art. 7 FluggastrechteVO ab.
Rz. 10
1. Die Fluggastrechteverordnung ist gem. Art. 3 Abs. 1 FluggastrechteVO jedenfalls deshalb anwendbar, weil die Kläger beide Flüge im Gebiet eines Mitgliedstaats angetreten haben.
Rz. 11
2. Das Berufungsgericht hat zugunsten der Kläger unterstellt, dass der Flug von Hamburg nach Las Palmas eine Verspätung von 20 Minuten hatte und dass die Kläger aus diesem Grund den Anschlussflug nach Fuerteventura nicht wie geplant absolvieren konnten. Von diesem Sachverhalt ist zugunsten der Kläger auch in der Revisionsinstanz auszugehen.
Rz. 12
3. Vor diesem Hintergrund kann über die Revision der Kläger nicht ohne Beantwortung der Vorlagefrage entschieden werden.
Rz. 13
a) Ein Ausgleichsanspruch der Kläger ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil beide Flüge zum geplanten Zeitpunkt gestartet wurden.
Rz. 14
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urt. v. 19.11.2009 - Rs. C-407/07 und C-432/07, Slg. 2009 I-10923, NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 Rz. 40 ff. - Sturgeon u.a.; Urt. v. 23.10.2012 - Rs. C-581/10 und C-629/10, NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272 Rz. 28 ff. - Nelson u.a.) und des BGH (Urt. v. 7.5.2013 - X ZR 127/11, NJW-RR 2013, 1065 = RRa 2013, 237 Rz. 9) können auch die Fluggäste verspäteter Flüge den Ausgleichsanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVO geltend machen, wenn sie infolge der Verspätung ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen und dadurch einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden. Dieser Anspruch setzt die Einhaltung einer Abflugverspätung i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Buchst. a bis c FluggastrechteVO nicht voraus (EuGH, Urt. v. 26.2.2013 - Rs. C-11/11, NJW 2013, 1291 = RRa 2013, 78 Rz. 37 - Folkerts).
Rz. 15
b) Ein Ausgleichsanspruch ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil nur der erste Flug verspätet war und diese Verspätung weniger als drei Stunden betragen hat.
Rz. 16
aa) Zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beförderungsvorgänge auf den beiden Teilstrecken als zwei getrennte Flüge im Sinne der Fluggastrechteverordnung anzusehen sind.
Rz. 17
Flug im Sinne der Verordnung ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ein Luftbeförderungsvorgang, der in gewisser Weise eine "Einheit" dieser Beförderung darstellt, die von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, das die entsprechende Flugroute festlegt (EuGH, Urt. v. 10.7.2008 - Rs. C-173/07, Slg. 2008, I-5237, NJW 2008, 2697 = RRa 2008, 237 Rz. 40 - Emirates Airlines; Urt. v. 22.6.2016 - Rs. C-255/15, NJW 2016, juris Rz. 20 - Mennens). Es geht mithin um einen Luftbeförderungsvorgang, mit dem ein Luftfahrtunternehmen die Gesamtheit der Fluggäste dieses Vorgangs auf einer von ihm angebotenen und zur Buchung zur Verfügung gestellten Flugroute von dem Startflughafen zum Landeflughafen befördert (BGH NJW-RR 2013, 1065 = RRa 2013, 237 Rz. 10; Urt. v. 13.11.2012 - X ZR 12/12, NJW 2013, 682 = RRa 2013, 19 Rz. 13; Urt. v. 28.5.2009 - Xa ZR 113/08, NJW 2009, 2743 = RRa 2009, 242 Rz. 8). Ob mehrere Flüge in einer einheitlichen Buchung aufgeführt sind, ist in diesem Zusammenhang unerheblich (EuGH NJW 2008, 2697 = RRa 2008, 237 Rz. 51 - Emirates Airlines; NJW 2013, 682 = RRa 2013, 19 Rz. 13; BGH NJW 2009, 2743 = RRa 2009, 242 Rz. 9).
Rz. 18
Im Streitfall handelt es sich bei dem Flug von Hamburg nach Las Palmas und dem Flug von Las Palmas nach Fuerteventura deshalb um zwei getrennte Flüge.
Rz. 19
bb) Bei direkten Anschlussflügen kann ein Anspruch auf Ausgleichsleistung aber auch dann bestehen, wenn die Verspätung eines Flugs dazu geführt hat, dass der Fluggast einen Anschlussflug nicht erreicht hat.
Rz. 20
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist für die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs maßgeblich, ob ein Zeitverlust von drei Stunden oder mehr am Endziel eingetreten ist (EuGH NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 Rz. 57 - Sturgeon u.a.; NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272 Rz. 40 - Nelson u.a.). Endziel ist gemäß der auch in diesem Zusammenhang maßgeblichen Definition in Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO der Zielort auf dem am Abfertigungsschalter vorgelegten Flugschein, bei direkten Anschlussflügen der Zielort des letzten Fluges (EuGH NJW 2013, 1291 = RRa 2013, 78 Rz. 37 - Folkerts; BGH NJW-RR 2013, 1065 = RRa 2013, 237 Rz. 11).
Rz. 21
c) Der von den Klägern gebuchte Flug von Las Palmas nach Fuerteventura ist nach dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO als direkter Anschlussflug anzusehen.
Rz. 22
aa) Der Begriff des direkten Anschlussflugs ist in der Verordnung nicht ausdrücklich definiert. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat sich bislang ebenfalls nicht ausdrücklich mit diesem Begriff befasst.
Rz. 23
bb) Dem Wortlaut nach ist ein Anschlussflug ein Flug, der einem anderen Flug nachfolgt und dazu dient, den Fluggast vom Ziel des ersten Flugs zu einem anderen Zielort weiter zu befördern.
Rz. 24
Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.
Rz. 25
cc) Direkt ist ein Anschlussflug, wenn zwischen den beiden Flügen kein allzu großer Zeitraum liegt.
Rz. 26
Was sich im Einzelnen aus diesem Erfordernis ergibt, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung. Der Zeitraum zwischen den beiden Flügen war nach dem Vortrag der Kläger so knapp bemessen, dass sie den Flug nach Fuerteventura nur unter optimalen Bedingungen erreichen konnten. Ein noch engerer zeitlicher Zusammenhang ist kaum vorstellbar und jedenfalls nicht erforderlich.
Rz. 27
d) Aus dem Sinn und Zweck von Art. 7 FluggastrechteVO könnte sich ergeben, dass ein Anspruch auf Ausgleichsleistung nur dann besteht, wenn das Flugunternehmen, das die Verspätung am Endziel verursacht hat, die Zusammenstellung der aufeinanderfolgenden Flüge durch Ausgabe oder Genehmigung einer Buchungsbestätigung gebilligt hat. Diese Frage ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht abschließend geklärt.
Rz. 28
aa) Der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zu entnehmen, dass ein Ausgleichsanspruch jedenfalls dann bestehen kann, wenn mehrere aufeinanderfolgende Flüge bei dem Luftfahrtunternehmen gebucht werden, das auf Ausgleichszahlung in Anspruch genommen wird.
Rz. 29
In den Entscheidungen, in denen sich der Ausgleichsanspruch aus einer verspäteten Ankunft am Zielort eines direkten Anschlussflugs ergab, waren die aufeinanderfolgenden Flüge bei dem im Ausgangsverfahren in Anspruch genommenen Luftfahrtunternehmen gebucht worden (EuGH NJW 2013, 1291 = RRa 2013, 78 Rz. 18 - Folkerts [dazu ergänzend BGH, Beschl. v. 9.12.2010 - Xa ZR 80/10, RRa 2011, 84 Rz. 1]; Beschl. v. 4.10.2012 - Rs. C-321/11, NJW 2013, 363 = RRa 2012, 279 Rz. 10, 34 - Rodríguez Cachafeiro u.a.). Andere Entscheidungen des Gerichtshofs, in denen der Begriff des Flugs im Sinne der Verordnung von Bedeutung war, betreffen ebenfalls Fälle, in denen der Fluggast alle relevanten Flüge bei demjenigen Luftfahrtunternehmen gebucht hatte, das er später auf Ausgleichszahlung in Anspruch nahm (vgl. EuGH NJW 2008, 2697 = RRa 2008, 237 Rz. 13 - Emirates Airlines; NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 Rz. 11 - Sturgeon u.a.; EuGH NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272 Rz. 15 - Nelson u.a.).
Rz. 30
bb) Diese Konstellation liegt im Streitfall nicht vor.
Rz. 31
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sind die beiden Flüge von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen ausgeführt worden. Die Buchung erfolgte nicht bei einem dieser Unternehmen, sondern bei einem Reiseunternehmen. Dieses hat auch die als Anlage K1 vorgelegte Buchungsbestätigung ausgestellt. Mangels entsprechender Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte selbst einen Flugschein für beide Flüge ausgegeben oder genehmigt hat.
Rz. 32
cc) Für diese Konstellation ergeben sich aus der Verordnung und der aufgezeigten Rechtsprechung des Gerichtshofs keine hinreichend sicheren Schlussfolgerungen.
Rz. 33
Gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. a FluggastrechteVO ist die Verordnung nur dann anwendbar, wenn der Fluggast über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügt. Dies setzt gem. Art. 2 Buchst. g FluggastrechteVO voraus, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde. Letzteres kann in einem Flugschein i.S.v. Art. 2 Buchst. f FluggastrechteVO erfolgen, den das Luftfahrtunternehmen oder dessen zugelassener Vermittler ausgegeben oder genehmigt hat, oder in einem andern Beleg.
Rz. 34
Aus dieser Regelung ergibt sich zweifelsfrei, dass einem Fluggast auch dann ein Ausgleichsanspruch gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen zustehen kann, wenn dieses zwar nicht an der einzelnen Buchung und deren Bestätigung beteiligt war, aber einem Vermittler oder einem Reiseunternehmen die Möglichkeit eingeräumt hat, solche Buchungen entgegenzunehmen und zu bestätigen. Das Luftfahrtunternehmen muss sich in diesen Fällen die Buchungsbestätigung des Vermittlers oder Reiseunternehmens wie eine eigene Erklärung zurechnen lassen.
Rz. 35
Hieraus kann aber nicht zweifelsfrei abgeleitet werden, dass sich ein Luftfahrtunternehmen die Buchungsbestätigung eines Vermittlers oder Reiseunternehmens auch insoweit zurechnen lassen muss, als diese einen anderen Flug betrifft, der von einem anderen Luftfahrtunternehmen ausgeführt wird. Hinsichtlich eines solchen Flugs tritt der Vermittler oder das Reiseunternehmen primär an die Stelle des Luftfahrtunternehmens, das diesen Flug ausführt. Aus Sicht der beteiligten Luftfahrtunternehmen stellt sich die Lage damit ähnlich dar, wie wenn der Fluggast selbst mehrere separate Buchungen bei unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen für aufeinander folgende Flüge vornimmt. Für den zuletzt genannten Fall geht jedenfalls die Kommission in ihren Leitlinien zur Auslegung der Verordnung davon aus, dass kein Ausgleichsanspruch besteht (Leitlinien der Kommission vom 10.6.2016, C(2016) 3502 final, S. 18 unter 4d A ii).
Rz. 36
dd) Nach Auffassung des Senats spricht dennoch einiges dafür, einen Ausgleichsanspruch auch dann zu bejahen, wenn die Buchungsbestätigung für aufeinanderfolgende Flüge von einem Reiseunternehmen ausgegeben wurde.
Rz. 37
(1) Die Verordnung sieht für die unterschiedlichen Formen der Buchungsbestätigung grundsätzlich dieselben Rechtsfolgen vor. In Erwägungsgrund 5 wird zudem hervorgehoben, dass sich der Schutz auch auf Fluggäste im Rahmen von Pauschalreisen erstrecken soll. Eine Einstandspflicht für Flüge, die ein Reiseunternehmen zusammengestellt hat, stünde ferner in Einklang mit dem in den Erwägungsgründen 1 bis 4 definierten Ziel, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes Rechnung zu tragen, und dem daraus vom Gerichtshof abgeleiteten Grundsatz, dass die Vorschriften der Verordnung, mit denen den Fluggästen Ansprüche eingeräumt werden, weit auszulegen sind (dazu EuGH NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 Rz. 45 - Sturgeon u.a.), während Begriffe in einer Bestimmung, die eine Ausnahme von einem Grundsatz oder spezifischer, von gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften darstellt, grundsätzlich eng auszulegen sind (dazu EuGH, Urt. v. 22.12.2008 - Rs. C-549/09, Slg. 2008, I-11061, NJW 2009, 347 = RRa 2009, 35 Rz. 17 - Wallentin-Hermann).
Rz. 38
(2) Die Bejahung eines Ausgleichsanspruchs steht nach Auffassung des Senats auch in Einklang mit dem vom Gerichtshof hervorgehobenem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit für die mit der Buchungsbestätigung übernommenen Leistungspflichten.
Rz. 39
Für den Fall, dass ein Luftfahrtunternehmen, bei dem zwei aufeinanderfolgende Flüge gebucht wurden, die Beförderung auf dem zweiten Flug in der Annahme verweigert, der Fluggast könne diesen Flug wegen Verspätung des ersten Flugs nicht mehr erreichen, hat der Gerichtshof einen Ausgleichsanspruch bejaht. Als ausschlaggebend hierfür hat er angesehen, dass der Anspruch die Unannehmlichkeiten ausgleichen soll, die durch einen irreversiblen Zeitverlust von drei Stunden und mehr entstehen, und dass ein ausführendes Luftfahrtunternehmen für diese Unannehmlichkeiten jedenfalls dann einstehen muss, wenn feststeht, dass es sie zu vertreten hat - sei es, weil es die Verspätung des ersten von ihm selbst durchgeführten Flugs zu verantworten hat, sei es, weil es irrig davon ausgegangen ist, die betroffenen Fluggäste könnten sich nicht rechtzeitig am Flugsteig des Anschlussflugs einfinden, oder weil es Flugscheine für aufeinanderfolgende Flüge verkauft hat, bei denen die für das Erreichen des Anschlussflugs zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichte (EuGH NJW 2013, 363 = RRa 2012, 279 Rz. 34 - Rodríguez Cachafeiro u.a.).
Rz. 40
Jedenfalls aus Sicht des Fluggasts, dessen Schutz der Ausgleichsanspruch dient, liegt eine vergleichbare Situation vor, wenn das Luftfahrtunternehmen die Flugscheine für aufeinanderfolgende Flüge zwar nicht selbst ausgegeben oder genehmigt, einem Reiseunternehmen aber die Möglichkeit eingeräumt hat, solche Flugscheine auszustellen und hierbei auch Flüge zusammenzustellen, die von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden.
Rz. 41
ee) Dennoch sieht sich der Senat an einer eigenen Entscheidung gehindert.
Rz. 42
Eine entsprechende Anwendung der vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze auf die hier zu beurteilende Konstellation erscheint aus den dargelegten Gründen zwar naheliegend. Sie ergibt sich aus den bisherigen Entscheidungen des Gerichtshofs aber nicht zweifelsfrei.
Fundstellen
Haufe-Index 9711335 |
DB 2016, 14 |
NJW 2016, 2912 |
NZG 2016, 7 |
ZIP 2016, 63 |
DAR 2016, 583 |
EuZW 2016, 760 |
JZ 2016, 719 |
MDR 2016, 1192 |
MDR 2016, 8 |
NZV 2016, 520 |
RRa 2016, 286 |
VuR 2016, 5 |
RdW 2016, 530 |