Leitsatz (amtlich)
Hebt ein Verfassungsgericht die Entscheidung eines Gerichts auf und verweist die Sache an dieses zurück, ist das weitere Verfahren vor diesem Gericht ein neuer Rechtszug.
Normenkette
RVG § 21 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Würzburg (Beschluss vom 13.12.2010; Aktenzeichen 3 T 1910/10) |
AG Würzburg (Beschluss vom 07.07.2010; Aktenzeichen 30 C 2232/08) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des LG Würzburg vom 13.12.2010 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die vom Beklagten geltend gemachte zweite Terminsgebühr von 1,2 gem. Nr. 3104 RVG-VV nebst Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 RVG-VV nicht angesetzt worden ist. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des AG Würzburg vom 7.7.2010 wird in der Fassung des Beschlusses des LG Würzburg vom 13.12.2010 dahin abgeändert, dass die von der Klägerin an den Beklagten gem. § 106 ZPO nach dem vorläufig vollstreckbaren Endurteil des AG Würzburg vom 6.5.2010 zu erstattenden Kosten auf insgesamt 182,65 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.5.2010 festgesetzt werden.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Klägerin 56,32 vom Hundert und der Beklagte 43,68 vom Hundert zu tragen. Von den Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben die Klägerin 87,57 vom Hundert und der Beklagte 12,43 vom Hundert zu tragen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 44,23 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Mit Urteil vom 12.1.2009 verurteilte das AG den Beklagten, an die Klägerin einen Betrag i.H.v. 491,27 EUR zzgl. Zinsen hieraus zu zahlen. Die hiergegen gerichtete Anhörungsrüge des Beklagten wies das AG zurück. Auf die Verfassungsbeschwerde des Beklagten hob der Bayerische Verfassungsgerichtshof das Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das AG zurück. Mit Urteil vom 6.5.2010 verurteilte das AG den Beklagten, an die Klägerin 147,80 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Zugleich stellte es fest, dass sich die Hauptsache i.H.v. 83,26 EUR nebst Zinsen hieraus erledigt hat, und wies die Klage im Übrigen ab. Nach dieser Entscheidung haben die Klägerin 59,77 v.H. und der Beklagte 40,23 v.H. der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Rz. 2
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Beklagte unter Hinweis auf § 21 RVG u.a. eine weitere 1,2 Terminsgebühr nebst Auslagenpauschale für das Verfahren nach der Zurückverweisung beantragt, welche das AG neben anderen Kosten nicht berücksichtigt hat. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Beklagten hat der Rechtspfleger i.H.v. 158,39 EUR abgeholfen und die Sache im Übrigen dem Beschwerdegericht vorgelegt. Von den dort durch den Beklagten weiterverfolgten quotenbezogenen Kosten i.H.v. 218,16 EUR hat das Beschwerdegericht lediglich weitere Terminwahrnehmungskosten i.H.v. 14,94 EUR anerkannt; im Übrigen ist die Beschwerde erfolglos geblieben. Mit seiner allein insoweit zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Beklagte die Aufnahme der weiteren Terminsgebühr nebst Auslagenpauschale in das Kostenfestsetzungsverfahren.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 575 ZPO), wobei insb. ein Mindestbeschwerdewert wie für die sofortige Beschwerde in § 567 Abs. 2 ZPO nicht erforderlich ist (BGH, Beschl. v. 28.10.2004 - III ZB 41/04, NJW-RR 2005, 939), und auch begründet.
Rz. 4
1. Das LG hat, soweit noch von Interesse, ausgeführt: Eine weitere Terminsgebühr mit einer weiteren Auslagenpauschale sei nicht anzuerkennen, weil § 21 RVG die Gebührenfrage nur bei einer Zurückverweisung durch das Rechtsmittelgericht regele. Die Verfassungsbeschwerde sei kein ordentliches Rechtsmittel. Bei der Entscheidung über die Beschwerde werde nicht über die anhängige Sache an sich verhandelt und entschieden. Auch trete mit ihrer Erhebung keine Hemmung der Rechtskraft der fachgerichtlichen Entscheidung ein. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts sei vielmehr mit der Regelung des § 321a ZPO vergleichbar, nach welcher das Verfahren fortzusetzen sei und die Gebühren insgesamt nur einmal entstünden.
Rz. 5
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 6
a) Soweit eine Sache an ein untergeordnetes Gericht zurückverwiesen wird, ist das weitere Verfahren vor diesem Gericht nach § 21 Abs. 1 RVG ein neuer Rechtszug. Die Vorschrift findet auch dann Anwendung, wenn ein Verfassungsgericht die Entscheidung eines anderen Gerichts aufhebt und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverweist (vgl. OVG Lüneburg, AnwBl. 1966, 137 f zu § 15 BRAGO; Hartmann, Kostengesetze, 39. Aufl., § 21 RVG Rz. 3; Schneider/Wolf, RVG, 6. Aufl., Vor §§ 20, 21 Rz. 47 und § 21 Rz. 4; Mayer/Kroiß, RVG, 5. Aufl., § 21 Rz. 3; Jungbauer in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, RVG, 5. Aufl., § 21 Rz. 4). Dafür sprechen Sinn und Zweck der Regelung.
Rz. 7
aa) Zwar stehen die Verfassungsgerichte des Bundes und der Länder, denen die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit gerichtlicher Entscheidungen übertragen ist, außerhalb des förmlichen Instanzenzuges (vgl. Schlaich/Korioth, Das BVerfG, 9. Aufl., Rz. 4). Stellen sie eine Verfassungsverletzung fest, wird die angefochtene Entscheidung jedoch ebenso wie bei einem ordentlichen Rechtsmittel aufgehoben und die Sache an das Vordergericht zurückverwiesen, damit der Prozess fortgesetzt und einer abschließenden Entscheidung zugeführt werden kann (vgl. Hömig in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 2009, § 95 Rz. 21 und 28). Im Umfang seines auf das Verfassungsrecht bezogenen Prüfungsmaßstabes nimmt daher auch das Verfassungsgericht gegenüber dem Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, die Funktion eines übergeordneten Gerichts wahr (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.).
Rz. 8
bb) Da § 21 Abs. 1 RVG die durch eine Zurückverweisung entstehende Mehrarbeit des Rechtsanwalts vergüten soll (BGH, Beschl. v. 29.4.2004 - V ZB 46/03, NJW-RR 2004, 1294, 1295 zu § 15 Abs. 1 BRAGO; unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zur Vorläuferbestimmung des § 27 RAGebO) und das Ausgangsgericht bei Zurückverweisung durch ein Verfassungsgericht die Sache im Lichte der verfassungsrechtlichen Entscheidung (vgl. Hömig in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 2009, § 95 Rz. 34) neu verhandeln muss, ist dem Rechtsanwalt auch in diesem Fall gem. § 21 Abs. 1 RVG die hierdurch entstandene Mehrarbeit zu vergüten. Hierfür ist maßgeblich, dass er typischer Weise die verfassungsrechtliche Entscheidung und ihre prozessrechtliche Vorgeschichte in seine Betrachtungen einzubeziehen und seine Prozesstaktik hierauf aufzubauen hat (vgl. hierzu allgemein Jungbauer in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, RVG, 5. Aufl., § 21 Rz. 11 m.w.N.).
Rz. 9
b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts unterscheidet sich die Verfahrensfortführung nach Zurückverweisung durch ein Verfassungsgericht in diesem Gesichtspunkt wesentlich von der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO. Im Falle einer erfolgreichen Anhörungsrüge ist das bisherige Verfahren fortzusetzen (§ 321a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 ZPO), während die Zurückverweisung durch das Verfassungsgericht zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung wie nach der Entscheidung eines Rechtsmittelgerichts führt.
III.
Rz. 10
Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann daher im angegriffenen Umfang keinen Bestand haben. Da in der Sache keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, sondern der Sachverhalt zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat gem. § 577 Abs. 5 ZPO zu entscheiden. Dem Beklagten steht gegen die Klägerin ein Anspruch auf Erstattung einer weiteren 1,2 Terminsgebühr (§§ 2, 13, 21 Abs. 1 RVG, Nr. 3104 RVG-VV) i.H.v. 54 EUR und einer weiteren Auslagenpauschale (Nr. 7002 RVG-VV) i.H.v. 10,80 EUR (20 vom Hundert aus 54 EUR) entsprechend der im Endurteil getroffenen Kostenverteilungsquote zu. Dies entspricht einem Betrag von 38,73 EUR.
Fundstellen