Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 16.12.2021; Aktenzeichen 20 W 248/21) |
AG Wiesbaden (Entscheidung vom 02.11.2021; Aktenzeichen 7100 II 492/21) |
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.
2. Die Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
3. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
4. Der Betroffenen wird für die Rechtsbeschwerdeinstanz ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Wassermann beigeordnet.
Gründe
Rz. 1
Die Betroffene erhebt eine Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem es ihre Beschwerde gegen die Verlängerung ihrer elektronischen Aufenthaltsüberwachung gemäß § 31a Abs. 1 und 2 Satz 3 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) durch das Amtsgericht Wiesbaden vom 2. November 2021 zurückgewiesen hat. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Gleichwohl ist der Betroffenen Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.
I.
Rz. 2
Die in Deutschland aufgewachsene Betroffene reiste 2014 als 16-Jährige nach Syrien aus, wo sie sich in die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) eingliederte. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland im November 2019 wurde sie deshalb zu einer zweijährigen Jugendstrafe unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die elektronische Fußfessel wurde ihr erstmals im Februar 2021 bei der Entlassung aus der Untersuchungshaft angelegt. Im März 2021 und im August 2021 ordnete das Amtsgericht ihre elektronische Aufenthaltsüberwachung für einen Zeitraum von je drei Monaten an. Dagegen hat die Betroffene jeweils erfolglos Beschwerden und Rechtsbeschwerden eingelegt. Wegen der Einzelheiten des vorstehenden Sachverhalts wird auf die Beschlüsse des Senats vom 22. Februar 2022 (3 ZB 3/21, NStZ-RR 2022, 187, 188) und vom 26. Juli 2022 (3 ZB 5/21, juris Rn. 2 ff.) verwiesen.
Rz. 3
Nunmehr hat das Oberlandesgericht am 16. Dezember 2021 die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wiesbaden vom 2. November 2021 zurückgewiesen, mit dem jenes die elektronische Aufenthaltsüberwachung ein weiteres Mal um drei Monate verlängert hatte. Durch ihren beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt hat die Betroffene am 27. Dezember 2021 auch hiergegen Rechtsbeschwerde eingelegt.
II.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2022 - 3 ZB 3/21, NStZ-RR 2022, 187, 188 mwN).
Rz. 5
2. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg. Denn die Anordnung der Verlängerung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung um weitere drei Monate begegnet erneut keinen rechtlichen Bedenken (zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab s. § 72 Abs. 1 Satz 2, § 74 Abs. 2 und 3 Satz 3 FamFG).
Rz. 6
a) Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich. Entgegen den Ausführungen der Betroffenen haben die Tatgerichte der Pflicht zur Amtsaufklärung nach §§ 26, 34 Abs. 1 FamFG auch ohne ihre mündliche Anhörung hinreichend Genüge getan. Das Oberlandesgericht hatte sie bereits in einem Termin am 21. Oktober 2021 persönlich befragt. Angesichts des kurzen Zeitraums, der seither vergangen war, hat es sein Ermessen fehlerfrei dahin ausgeübt, dass das im Beschwerdeverfahren gewährte schriftliche Gehör für die anwaltlich vertretene Betroffene ausreiche.
Rz. 7
Auch keinen Bedenken begegnet, dass die Tatgerichte keine Stellungnahmen aus dem Umfeld der Betroffenen eingeholt haben. Denn sie besuchte erst seit kurzem eine Schule, unterlag noch nicht lange der Bewährungsaufsicht und stand erst in den Anfängen eines Deradikalisierungsprogramms.
Rz. 8
b) Materiellrechtlich ist die angefochtene Anordnung ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Maßnahme ist erneut auf § 31a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 5 HSOG gestützt. Amts- und Oberlandesgericht haben im Verhalten der Beschwerdeführerin noch immer ausreichende konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür ausgemacht, dass sich in ihrer Person innerhalb eines vorhersehbaren Zeitraums eine terroristische Gefahr aktualisieren kann.
Rz. 9
Zur Rechtsgrundlage des § 31a HSOG, der Verfassungsgemäßheit der Vorschrift, der grundsätzlichen Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen sowie deren Würdigung, dem damit einhergehenden Spielraum des Tatgerichts bei der individuellen Beurteilung des Falls, zur Auslegung der in § 31a HSOG verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe sowie zu den mithin auch hier anzulegenden Maßstäben hat der Senat im Beschluss vom 22. Februar 2022 (3 ZB 3/21, NStZ-RR 2022, 187, 189) Näheres ausgeführt. Dies gilt weiterhin.
Rz. 10
Die jetzt zur Beurteilung stehende Verlängerung haben die Tatgerichte auf seit den letzten Beschlüssen nahezu unveränderter Tatsachengrundlage getroffen. Das Oberlandesgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass sich auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevortrags an der Sachlage nichts Wesentliches geändert habe. Vor diesem Hintergrund hat es sich in seiner Abwägung auf die von ihm bereits einige Wochen zuvor angestellten Überlegungen bezogen. Es hat die langjährige Mitgliedschaft der Betroffenen im IS ins Verhältnis zu der seit ihrer Haftentlassung vergangenen Zeit gesetzt und unter anderem die Dauer von mindestens einem Jahr bedacht, auf die das als Bewährungsauflage angeordnete Deradikalisierungsprogramm angelegt ist. Außerdem hat das Oberlandesgericht erwogen, dass aus dem bisher erst relativ kurzen Schulbesuch im Hinblick auf eine nachhaltige Verhaltensänderung der Betroffenen noch keine belastbaren Schlüsse gezogen werden können. Nach allem ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass die Anordnungsvoraussetzungen des § 31a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 4 HSOG weiterhin vorlagen. Es hat die Maßnahme schließlich als noch immer verhältnismäßig angesehen. Ermessensfehler sind ihm dabei nicht unterlaufen.
III.
Rz. 11
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 84 FamFG. Eine Kostenentscheidung zugunsten der an dem Verfahren beteiligten Behörde unterbleibt, weil ihr über den bloßen Verwaltungsaufwand hinaus keine besonderen Kosten erwachsen sind (vgl. Keidel/Weber, FamFG, 20. Aufl., § 80 Rn. 17).
Rz. 12
Die Festsetzung des Gegenstandswerts des Verfahrens in der Rechtsbeschwerdeinstanz folgt aus § 36 Abs. 2 und 3, § 61 Abs. 1 Satz 1 GNotKG.
IV.
Rz. 13
Der Betroffenen ist auf ihren Antrag für die Rechtsbeschwerdeinstanz unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts erneut Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.
Rz. 14
1. Nach § 31a Abs. 3 Satz 8 HSOG gelten für das Verfahren bei der Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung die Vorschriften des FamFG entsprechend. § 76 Abs. 1 FamFG verweist für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe auf die Normen der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe. Danach kann Verfahrenskostenhilfe nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine positive Erfolgsprognose ist zu stellen, wenn bei summarischer Prüfung eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit für die begehrte Rechtsfolge spricht. Dabei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden; es reicht aus, wenn das Gericht nach einer summarischen Prüfung den Rechtsstandpunkt des Antragstellers für vertretbar hält. Das gilt namentlich dann, wenn in der Hauptsache schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden sind (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Dezember 2012 - XII ZB 190/12, NJW 2013, 1310; vom 30. April 2020 - StB 29/18, juris Rn. 25 mwN).
Rz. 15
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erfolgsaussicht ist nicht der Zeitpunkt der Entscheidung, sondern derjenige der „Entscheidungsreife“. Zur Entscheidung reif ist ein VKH-Begehren, wenn die Partei es schlüssig begründet, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und der Gegner Gelegenheit gehabt hat, sich innerhalb angemessener Frist zu äußern (BGH, Beschlüsse vom 7. März 2012 - XII ZB 391/10, NJW 2012, 1964, 1966 mwN; vom 10. Dezember 2014 - XII ZB 232/13, juris Rn. 7; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. Januar 2017 - 13 WF 21/17, juris Rn. 5; Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 127 Rn. 9 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Januar 1982 - IVb ZB 925/80, MDR 1982, 564, 565; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28. Oktober 2019 - 4 O 238/19, NJW 2020, 944 Rn. 8 ff.).
Rz. 16
2. Diese Voraussetzungen haben vorgelegen. Entscheidungsreif war der VKH-Antrag bereits vor dem 22. Februar 2022 und damit zu einem Zeitpunkt, in dem eine höchstrichterliche Klärung über die Voraussetzungen einer elektronischen Überwachung gemäß § 31a HSOG noch ausstand und der Ausgang des Rechtsbeschwerdeverfahrens deshalb im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO offen war. Das ergibt sich aus Folgendem:
Rz. 17
Die Betroffene hat ihr Verfahrenskostenhilfegesuch am 5. Januar 2022 gestellt und eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt. Die Erfolgsaussicht ihres Rechtsmittels hat sie pauschal mit den bislang ungeklärten Rechtsfragen zur Anwendung und Auslegung von § 31a HSOG begründet, ohne auf den vorliegenden Einzelfall einzugehen. Der Antrag ist dem Verfahrensgegner am 10. Januar 2022 übersandt worden (§ 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Rz. 18
Nach § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der Antragsteller grundsätzlich das Streitverhältnis sachlich darzustellen, damit die Erfolgsaussicht seiner Rechtsverfolgung beurteilt werden kann. Derlei Ausführungen finden sich erst in der am 24. März 2022 eingereichten Begründung der Rechtsbeschwerde. Inhaltliche Angaben zum Streitstand sind aber dann entbehrlich, wenn sie sich aus vorhandenen Akten ergeben. In der Rechtsmittelinstanz ist das regelmäßig der Fall; hier ist das Streitverhältnis aus den Feststellungen der Vorinstanz bekannt, die für die Erfolgsaussicht relevanten Informationen liegen dem Prozessgericht vor. Der bedürftige Rechtsmittelführer kann sich deshalb darauf beschränken, den VKH-Antrag unter Beifügung der nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlichen Erklärung beim Prozessgericht einzureichen. Eine sachliche Begründung seines Gesuchs in Bezug auf das eingelegte oder beabsichtigte Rechtsmittel ist von Gesetzes wegen nicht geboten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2000 - XII ZB 193/00, NJW-RR 2001, 1146, 1147; vom 21. August 2018 - VIII ZB 22/18, NJW-RR 2018, 1271 Rn. 8; Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 117 Rn. 6 ff. mwN).
Rz. 19
Die Landesjustiz hat die Verfahrensakten zwar vorliegend erst Anfang März 2022 an den Bundesgerichtshof übersandt. Der Sach- und Streitstand war jedoch aus dem angefochtenen Beschluss des Oberlandesgerichts sowie den Verfahren 3 ZB 3/21 und 5/21 hinreichend bekannt. Einer zusätzlichen Darstellung oder Erläuterung des Begehrens der Antragstellerin bedurfte es zur Beurteilung der Erfolgsaussicht ihres Rechtsmittels nicht. Damit war die Bewilligungsreife jedenfalls vor dem 22. Februar 2022 gegeben. Dass der Senat über das Gesuch erst jetzt entscheidet, darf der Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen.
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