Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendigkeit der Beauftragung eines nicht am Prozessort zugelassenen Anwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung. Erstattung von Reisekosten für nicht am Prozessort zugelassenen Anwalt
Leitsatz (redaktionell)
Ein gewerbliches Unternehmen ist nicht verpflichtet, eine eigene ausreichend qualifizierte Rechtsabteilung aufzubauen, um im Rahmen der Verpflichtung, die Verfahrenskosten möglichst niedrig zu halten und die Einschaltung von Hausanwälten zu vermeiden. Die Erstattung von Geschäftsreisekosten für sogenannte „Hausanwälte” ist möglich.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Dortmund (Beschluss vom 02.05.2003) |
AG Dortmund (Beschluss vom 31.07.2002) |
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin werden
a) der Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Dortmund v. 2.5.2003 aufgehoben,
b) der Kostenfestsetzungsbeschluss des AG Dortmund v. 31.7.2002 auf die sofortige Beschwerde der Klägerin dahingehend abgeändert, dass der Beklagte der Klägerin weitere 66,13 Euro nebst Zinsen hierauf i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 17.7.2002 zu erstatten hat.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Gegenstandswert: 46,13 Euro
Gründe
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin wendet sich dagegen, dass ihr im Kostenfestsetzungsverfahren die Erstattung von Reisekosten, Tage- und Abwesenheitsgeld für ihren Rechtsanwalt i. H. v. insgesamt 57,01 Euro zzgl. 16 % Mehrwertsteuer und Zinsen versagt worden ist.
Die Klägerin, ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in K. , hat durch ihre in D. ansässigen Prozessbevollmächtigten, welche als "Hausanwälte" in ständiger Geschäftsbeziehung zu ihr stehen, den Beklagten an dessen Wohnsitz, beim AG Dortmund, auf Zahlung rückständiger Versicherungsprämien aus einem Krankenversicherungsvertrag verklagt. Der vom Beklagten erhobene Einwand, er sei von dem Vertrag wirksam zurückgetreten, war nach der vom AG am 14.6.2002 durchgeführten Beweisaufnahme, zu der ein Prozessbevollmächtigter der Klägerin aus D. angereist war, nicht erfolgreich. Mit Urt. v. 14.6.2002 wurde der Beklagte zur Prämienzahlung und Kostentragung verurteilt.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Klägerin u. a. beantragt, den Beklagten zur Erstattung der Fahrtkosten (42,01 Euro), sowie des Tage- und Abwesenheitsgeldes (15,- Euro) für ihren Rechtsanwalt (zzgl. 16 % Mehrwertsteuer und Zinsen gem. § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO) zu verpflichten. Das AG hat die Kostenfestsetzung insoweit abgelehnt, weil diese Kosten nicht angefallen wären, wenn die Klägerin einen Dortmunder Rechtsanwalt beauftragt hätte. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das LG ihr neben den vom AG festgesetzten Kosten lediglich weitere 20 Euro zugesprochen, die bei Einschaltung eines Dortmunder Rechtsanwalts als angemessene Informationskosten entstanden wären.
Demgegenüber verfolgt die Klägerin mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde ihr ursprüngliches Festsetzungsbegehren weiter. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
II. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt:
Im Rahmen ihrer Verpflichtung, die Verfahrenskosten möglichst niedrig zu halten, habe die Klägerin von vornherein einen beim Prozessgericht in Dortmund ansässigen Rechtsanwalt beauftragen müssen. Aus der neueren Rechtsprechung des BGH, wonach die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig i. S. v. § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO anzusehen sei (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898, unter B II 2b, bb (1), m. w. N.), ergebe sich nichts Anderes. Der BGH mache nämlich von dem vorgenannten Grundsatz dann eine Ausnahme, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts ein eingehendes Mandantengespräch erkennbar entbehrlich sei. Das komme insbesondere dann in Betracht, wenn ein gewerbliches Unternehmen eine eigene Rechtsabteilung unterhalte, die den Streitfall bearbeitet habe. Die Klägerin verfüge nach eigenem Vortrag über eine Rechtsabteilung. Dass in ihr - wie die Klägerin weiter behauptet - keine juristisch ausgebildeten Mitarbeiter beschäftigt seien, sei für das Ergebnis ohne Bedeutung. Denn der Klägerin als großem Versicherungsunternehmen sei die Einrichtung einer ausreichend qualifizierten Rechtsabteilung jedenfalls zuzumuten. Es könne ihr nicht erlaubt werden, stattdessen den ersparten Personalaufwand auf ihre jeweiligen Prozessgegner abzuwälzen, indem sie sich sog. Hausanwälte bediene und deren Kosten als Verkehrsanwaltskosten erstattet verlange. Die Hinzuziehung eines Verkehrsanwalts sei hier ebenso wenig notwendig gewesen wie die Heranziehung eines Unterbevollmächtigten, dessen Kosten nur dann erstattungsfähig seien, wenn anderenfalls dem Hauptbevollmächtigten Reisekosten zu erstatten gewesen wären. Das sei hier aber gerade nicht der Fall.
III. Das hält einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht stand.
1. Das Beschwerdegericht hat im Ansatz zutreffend erkannt, dass die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines nicht am Prozessgericht zugelassenen und dort auch nicht wohnenden Rechtsanwalts für Reisen zum Gerichtsort sich seit der zum 1.1.2000 in Kraft getretenen Neufassung des § 78 Abs. 1 ZPO allein danach richtet, ob die Beauftragung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Maßstab ist insoweit allein die Regelung des § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO. Eine - auch nur entsprechende - Anwendung des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO auf diesen Fall scheidet aus (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898, unter B II 1 und 2b, aa; Beschl. v. 12.12.2002 - I ZB 29/02, BGHReport 2003, 308 = NJW 2003, 901, unter II 2a, m. w. N.). Weiter legt das Beschwerdegericht zutreffend zu Grunde, dass für eine bei einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei im Regelfall die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes ansässigen Rechtsanwalts eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder -verteidigung i. S. v. § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO darstellt (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898, unter B II 2b, bb (1); Beschl. v. 12.12.2002 - I ZB 29/02, BGHReport 2003, 308 = NJW 2003, 901, unter II 2b, bb; OLG Frankfurt v. 31.7.2000 - 6 W 126/00, MDR 2000, 1215 [1216] = OLGReport Frankfurt 2000, 301; OLG Düsseldorf v. 14.12.2000 - 10 W 107/00, MDR 2001, 475 = NJW-RR 2001, 1000 [1001]; KG v. 23.1.2001 - 1 W 8967/00, MDR 2001, 473 = KGReport Berlin 2001, 102 = NJW-RR 2001, 1002 [1003]).
2. Im Weiteren kann dem Beschwerdegericht aber nicht mehr gefolgt werden.
a) Zwar hat der BGH (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898, unter B II 2b, bb (2)) Ausnahmen von dem vorgenannten Grundsatz für möglich gehalten und als Beispiel den Fall eines gewerblichen Unternehmens genannt, dessen Rechtsabteilung einen Fall so gründlich vorbereitet hat, dass sich schon bei Beauftragung des Rechtsanwalts ein eingehendes Mandantengespräch erübrigt. In einem solchen Fall mag es der auswärtigen Partei im Einzelfall zugemutet werden können, zur Vermeidung von Reisekosten einen beim Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt zu beauftragen und ihm die nötigen Informationen mittels moderner Telekommunikationsmittel zukommen zu lassen. Gleiches kann dann gelten, wenn ein Fall keine tatsächlichen und rechtlichen Probleme aufwirft und zudem abzusehen ist, dass sich die Gegenseite nicht verteidigen wird (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898, unter B II 2b , bb (2)).
Aus dieser beispielhaft angeführten Ausnahmesituationen folgt indes keine Obliegenheit oder gar Verpflichtung für gewerbliche Unternehmen, eine entsprechende Rechtsabteilung aufzubauen, umso mittels einer unternehmerischen Entscheidung, deren Kosten nicht absehbar sind und hier zu Lasten der Versichertengemeinschaft, d. h. letztlich auch des zur Prämienzahlung verpflichteten Beklagten, gehen müssten, erst die Voraussetzungen für die genannte Ausnahmesituation zu schaffen. Es hieße die Tragweite der Kostenregelungen der Zivilprozessordnung zu überspannen, wollte man daraus einen so weit gehenden Eingriff in die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit von Unternehmen ableiten (vgl. dazu auch BGH, Beschl. v. 11.11.2003 - VI ZB 41/03, z.V.b., unter II 2b bb (b)) Vielmehr ist davon auszugehen, dass nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin die genannte Ausnahmesituation nicht gegeben ist, weil ihre Rechtsabteilung personell und organisatorisch nicht in der Lage ist, Einzelfälle von Leistungsstörungen in Versicherungsverträgen zu bearbeiten, sie deshalb auch im vorliegenden Fall nicht vorbereitend tätig geworden ist.
b) Wegen seines anderen Lösungsansatzes hat das Beschwerdegericht konsequenterweise nicht geprüft, ob sich die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin deshalb als nicht notwendige Maßnahme der Rechtsverfolgung i. S. v. § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO darstellt, weil die Prozessbevollmächtigten ihren Sitz in D. , mithin nicht am Geschäftssitz der Klägerin in K. , haben. Die Frage ist aber schon deshalb zu verneinen, weil einerseits - möglicherweise infolge der regelmäßigen Befassung der Rechtsanwälte ("Hausanwälte") mit vergleichbaren Fällen - besondere Kosten für die Information der Rechtsanwälte nicht angefallen sind, während demgegenüber die Reisekosten sogar geringer ausgefallen sind als bei Beauftragung K. Anwälte, die einen deutlich weiteren Anreiseweg zum Gerichtsort in Dortmund gehabt hätten. Zwar hat es der BGH abgelehnt, einem Kläger auch dann Reisekosten für auswärtige Anwälte zuzubilligen, wenn er im eigenen Gerichtsstand klagt (Beschl. v. 12.12.2002 - I ZB 29/02, BGHReport 2003, 308 = NJW 2003, 901, unter II 2). Der dort entschiedene Fall ist aber mit dem vorliegenden nicht vergleichbar, weil hier durch die Beauftragung der in D. ansässigen Prozessbevollmächtigten keine Mehrkosten gegenüber der Beauftragung eines am Geschäftsort der Klägerin ansässigen Anwalts entstanden sind.
IV. Die geltend gemachten Geschäftsreisekosten sind auch der Höhe nach erstattungsfähig. Nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 BRAGO sind für die unstreitig vom Rechtsanwalt der Klägerin (mit dem Pkw) zurückgelegten 158 km je 0,27 Euro zu berechnen. Das ergibt 42,66 Euro, die Klägerin fordert lediglich 42,01 Euro. Die daneben geforderten 15 Euro Tage- und Abwesenheitsgeld entsprechen dem Mindestsatz des § 28 Abs. 3 BRAGO für eine Geschäftsreise von bis zu vier Stunden. Da die Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, entfallen auf beide Beträge 16 % Mehrwertsteuer. Die Zinsforderung ergibt sich aus § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO. Der Kostenfestsetzungsantrag ist am 17.7.2002 bei Gericht eingegangen.
Fundstellen
Haufe-Index 1117366 |
BGHR 2004, 706 |
FamRZ 2004, 618 |
JurBüro 2005, 263 |
RVG-B 2004, 54 |