Leitsatz (amtlich)
Zur Abgrenzung von sonstigen Familiensachen zu allgemeinen Zivilsachen.
Normenkette
FamFG § 266
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 05.04.2022; Aktenzeichen 2 U 233/21) |
LG Aurich (Entscheidung vom 13.09.2021; Aktenzeichen 3 O 35/20) |
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 5. April 2022 wird auf Kosten des Antragstellers verworfen.
Wert: 74.317 €
Gründe
I.
Rz. 1
Die Beteiligten sind geschiedene Eheleute. Sie streiten um die Verteilung des Erlöses aus dem Verkauf einer Immobilie.
Rz. 2
Die Beteiligten schlossen im Dezember 2013 die Ehe. Im Oktober 2014 übertrug der Antragsteller der Antragsgegnerin ein ihm gehörendes und mit kreditsichernden Grundschulden zugunsten der G. Bank belastetes Hausgrundstück, das den Beteiligten in der Ehezeit als Familienheim diente. Zugleich wurde dem Antragsteller neben einem lebenslänglichen dinglich gesicherten Wohnrecht auch ein mit einer Rückauflassungsvormerkung gesicherter Widerrufsvorbehalt unter anderem für den Fall eingeräumt, dass die Zwangsvollstreckung in das Grundstück betrieben wird. Die G. Bank kündigte mit Schreiben vom 31. Juli 2018 die gesicherten Kredite und leitete als Grundpfandrechtsgläubigerin im September 2018 die Zwangsvollstreckung ein. Die Antragsgegnerin veräußerte das Hausgrundstück im März 2019 freihändig unter Mitwirkung des Antragstellers, der auf seine dinglich gesicherten Rechte verzichtete. Der bei dem Verkauf nach Abzug der Verbindlichkeiten gegenüber der G. Bank erzielte und der Antragsgegnerin gutgeschriebene Resterlös betrug 148.634,74 €. Die Beteiligten trennten sich im Dezember 2019 und sind seit April 2021 rechtskräftig geschieden.
Rz. 3
Das Landgericht hat dem im Januar 2020 anhängig gemachten und auf Auskehrung des gesamten Resterlöses gerichteten Zahlungsverlangen des Antragstellers vollumfänglich stattgegeben. Auf die Berufung der Antragsgegnerin hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels dahingehend abgeändert, dass die Antragsgegnerin (lediglich) zur Zahlung von 38.389,82 € an den Antragsteller verpflichtet wird. Dabei ist es davon ausgegangen, dass der beim Grundstücksverkauf erzielte Resterlös beiden Beteiligten jeweils zur Hälfte (74.317,37 €) zustehe und der Antragsteller wegen einer Forderungspfändung in Höhe von 35.927,55 € nicht mehr aktivlegitimiert sei. Der Antragsteller nimmt die Zurückweisung seines Antrages mangels Aktivlegitimation hin und wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Oberlandesgericht, soweit sein Antrag in Höhe von weiteren 74.317,37 € abgewiesen worden ist.
II.
Rz. 4
Die Beschwerde ist nicht statthaft. Die Vorinstanzen haben die Sache zu Unrecht als allgemeine Zivilsache und nicht als Familiensache behandelt. In Familiensachen ist ein Rechtsmittel gegen die zweitinstanzliche Entscheidung nur gegeben, wenn es - was hier nicht der Fall ist - in dieser Entscheidung zugelassen wurde (§ 70 Abs. 1 FamFG). Eine Nichtzulassungsbeschwerde sieht das Gesetz nicht vor. Auch der Meistbegünstigungsgrundsatz kann eine Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht begründen.
Rz. 5
1. Bei dem bisher als Zivilsache behandelten Verfahren handelt es sich um eine sonstige Familiensache nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG.
Rz. 6
a) Gemäß § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG sind sonstige Familiensachen Verfahren, die Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil im Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe betreffen, sofern nicht die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben ist oder das Verfahren eines der in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a bis k ZPO genannten Sachgebiete, das Wohnungseigentumsrecht oder das Erbrecht betrifft und sofern es sich nicht bereits nach anderen Vorschriften um eine Familiensache handelt.
Rz. 7
Mit § 266 FamFG hat der Gesetzgeber den Zuständigkeitsbereich der Familiengerichte deutlich erweitert („Großes Familiengericht“). Damit sollten bestimmte Zivilrechtsstreitigkeiten, die eine besondere Nähe zu familienrechtlich geregelten Rechtsverhältnissen aufweisen oder die in engem Zusammenhang mit der Auflösung eines solchen Rechtsverhältnisses stehen, ebenfalls Familiensachen werden. Ordnungskriterium dabei ist nach der Gesetzesbegründung allein die Sachnähe des Familiengerichts zum Verfahrensgegenstand. Im Interesse aller Beteiligten soll es dem Familiengericht möglich sein, alle durch den sozialen Verband von Ehe und Familie sachlich verbundenen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden. In den Fällen des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG muss ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe bestehen. Ein inhaltlicher Zusammenhang liegt vor, wenn das Verfahren vor allem die wirtschaftliche Entflechtung der (vormaligen) Ehegatten betrifft. Bei dieser Prüfung sind nicht nur die tatsächlichen und rechtlichen Verbindungen, sondern ist auch der zeitliche Ablauf zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. August 2018 - XII ZB 312/18 - FamRZ 2018, 1853 Rn. 11 und vom 28. Februar 2018 - XII ZR 87/17 - FamRZ 2018, 839 Rn. 9 mwN). Dabei ist im Hinblick auf die gewünschte möglichst umfassende Zuständigkeit der Familiengerichte für die Beurteilung, ob ein Zusammenhang mit der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft besteht, generell ein großzügiger Maßstab anzulegen. Auszuscheiden sind nur die Fälle, in denen ein vorhandener familienrechtlicher Bezug völlig untergeordnet ist, so dass eine Entscheidung durch das Familiengericht sachfremd erscheint (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. August 2018 - XII ZB 312/18 - FamRZ 2018, 1853 Rn. 13 und vom 12. Juli 2017 - XII ZB 40/17 - FamRZ 2017, 1599 Rn. 12).
Rz. 8
b) Gemessen daran ist hier vom Vorliegen einer sonstigen Familiensache im Sinne des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG auszugehen.
Rz. 9
Das Verfahren steht nicht nur in einem - hier sogar unmittelbaren - zeitlichen Zusammenhang mit der kurz vor seiner Einleitung erfolgten Trennung und der im Laufe des Verfahrens eingetretenen Rechtskraft der Scheidung der Eheleute. Auch inhaltlich stellt es sich als Begleiterscheinung der Beendigung der Ehe der Beteiligten dar. Der Antragsteller verfolgt mit seinem Antrag das Ziel, die während der Ehezeit vorgenommene und aufgrund der Ehe mit der Antragsgegnerin erfolgte Übertragung des Eigentums an seinem Hausgrundstück zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht rückgängig zu machen. Diese Streitigkeit über die Rückabwicklung der während der Ehezeit vorgenommenen Vermögensverschiebung auf die Antragsgegnerin kann vom Scheitern der Ehe und der sich daraus ergebenden Frage, wie die in Bezug auf die Rechtsverhältnisse an dem ehemaligen Familienheim bestehende wirtschaftliche Verflechtung der beiden Ehegatten aufzulösen ist, nicht getrennt werden. Dies verdeutlicht auch die in § 4 Abs. 1 lit. d des notariellen Grundstückübertragungsvertrages vom 14. Oktober 2014 enthaltene Widerrufsregelung, nach der sich der Antragsteller unter anderem für den Fall einer rechtskräftigen Scheidung das Recht vorbehalten hatte, die Rückübertragung des Grundstücks auf sich zu verlangen. Der hier verfahrensgegenständliche Streit über die Verteilung des Erlöses aus dem freihändigen Verkauf des Hausgrundstückes, der aufgrund des Zwangsversteigerungsbegehrens der G. Bank erforderlich geworden war, betrifft damit Fragen der wirtschaftlichen Entflechtung der Ehegatten, die sich auch ohne äußere Einflüsse spätestens im Falle einer rechtskräftigen Scheidung gestellt hätten. Für den inhaltlichen Zusammenhang der verfahrensgegenständlichen Streitigkeit und der gescheiterten Ehe der Beteiligten spricht im Übrigen auch der schon in der Antragsschrift enthaltene Hinweis des Antragstellers auf den notariellen Ehevertrag der Beteiligten vom 11. Dezember 2013 und die darin enthaltenen - und unter anderem das verfahrensgegenständliche Grundstück betreffenden - Modifikationen der Zugewinngemeinschaft, aus denen der Antragsteller ebenfalls herleiten will, dass der Resterlös aus dem Verkauf des Hauses nur ihm allein zustehen könne.
Rz. 10
2. Allerdings dürfen die Verfahrensbeteiligten dadurch, dass das Gericht seine Entscheidung in einer falschen Form erlassen hat, keinen Rechtsnachteil erleiden. Ihnen steht deshalb grundsätzlich sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form erlassenen Entscheidung zulässig wäre. Der Grundsatz der Meistbegünstigung findet in gleicher Weise Anwendung, wenn - wie hier - das Gericht nach dem von ihm angewandten Verfahrensrecht die Entscheidungsform zwar zutreffend gewählt hat, der Fehler jedoch in der Anwendung eines falschen Verfahrensrechts besteht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 28. Februar 2018 - XII ZR 87/17 - FamRZ 2018, 839 Rn. 13 und vom 2. September 2015 - XII ZB 75/13 - FamRZ 2015, 2043 Rn. 21 mwN).
Rz. 11
Der Schutzgedanke der Meistbegünstigung gebietet es indessen nicht, dass das Rechtsmittel auf dem vom vorinstanzlichen Gericht eingeschlagenen falschen Weg weitergehen müsste; vielmehr hat das Rechtsmittelgericht das Verfahren so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre. Daher kann die Meistbegünstigung auch nicht zu einer dem korrekten Verfahren widersprechenden Erweiterung des Instanzenzuges führen. Aus dem Meistbegünstigungsgrundsatz lässt sich insoweit nicht herleiten, dass gegen eine inkorrekte Entscheidung auch noch dann ein ihrer äußeren Form entsprechendes Rechtsmittel (hier: die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 ZPO) zum Bundesgerichtshof statthaft ist, wenn gegen eine korrekte Entscheidung die Anrufung des Bundesgerichtshofs aus besonderen Gründen des jeweiligen Verfahrens (hier: wegen des Fehlens einer positiven Zulassungsentscheidung nach § 70 Abs. 1 FamFG) nicht statthaft wäre. Im familiengerichtlichen Verfahren verbleibt es bei der Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde selbst dann, wenn das Beschwerdegericht von einer Entscheidung über die Zulassung deshalb abgesehen hat, weil es aufgrund eines Rechtsirrtums davon ausgegangen ist, dass ein Rechtsmittel gegen seine Entscheidung schon kraft Gesetzes statthaft ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 28. Februar 2018 - XII ZR 87/17 - FamRZ 2018, 839 Rn. 14 und vom 2. September 2015 - XII ZB 75/13 - FamRZ 2015, 2043 Rn. 22 f. mwN).
Rz. 12
Gemessen hieran ist ein Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof nicht statthaft. Formell richtig wäre es gewesen, wenn erstinstanzlich das Familiengericht durch Beschluss entschieden hätte und in zweiter Instanz ein Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts als Beschwerdegericht. Im Beschwerdebeschluss hätte das Oberlandesgericht gemäß § 70 FamFG zwar auch darüber entscheiden müssen, ob es die Rechtsbeschwerde zulässt. Ohne eine solche Zulassung wäre aber kein weiteres Rechtsmittel, insbesondere keine Nichtzulassungsbeschwerde, gegeben. Würde man also im vorliegenden Fall, in dem der Rechtsstreit fälschlich als Zivilsache behandelt und entschieden wurde, eine Nichtzulassungsbeschwerde für zulässig erachten, so würde man dem Beschwerdeführer ein Rechtsmittel eröffnen, das ihm bei richtiger Sachbehandlung nicht zustünde (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Februar 2018 - XII ZR 87/17 - FamRZ 2018, 839 Rn. 15). Ohne dass es darauf ankommen würde, hat eine mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde vergleichbare Entscheidung des zweitinstanzlichen Gerichts vorliegend auch bei der erfolgten Behandlung als Zivilsache stattgefunden. Das Oberlandesgericht hat sich als Berufungsgericht im Rahmen seines Urteils mit dem Vorliegen von Zulassungsgründen nach § 543 Abs. 2 ZPO und damit mit denselben Fragen beschäftigen müssen, wie sie für die Frage der Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) von Bedeutung sind (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Februar 2018 - XII ZR 87/17 - FamRZ 2018, 839 Rn. 16).
Guhling |
|
Nedden-Boeger |
|
Botur |
|
Pernice |
|
Recknagel |
|
Fundstellen