Leitsatz (amtlich)
Zur Beweiskraft des Protokolls für die Vorlesung einer schriftlich fixierten Entscheidungsformel (Anschluss an BGH, Beschl. v. 11.3.2015 - XII ZB 571/13, Rz. 14).
Normenkette
ZPO §§ 165, 160 Abs. 3 Nr. 7, § 311 Abs. 2 Sätze 1-2
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 11.09.2012; Aktenzeichen 10 U 226/11) |
LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 27.10.2011; Aktenzeichen 2 O 389/07) |
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 10. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 11.9.2012 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Wert des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 23.586,78 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger verlangt von den Beklagten Ersatz eines Verdienstausfallschadens infolge eines Unfalls vom 28.2.2005, bei dem er auf einer glatten, ungestreuten Fläche auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu Fall kam. Die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten steht außer Streit.
Rz. 2
Das LG hatte die Klage am 27.10.2009 abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG mit Urteil vom 13.7.2010 das Urteil des LG aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen. Das LG hat danach mit Urteil vom 27.10.2011 die Klage erneut abgewiesen.
Rz. 3
Auf die erneute Berufung des Klägers fand am 11.9.2012 vor dem Einzelrichter des Berufungsgerichts eine mündliche Verhandlung statt. Nach Anhörung des Klägers, Erörterung der Sach- und Rechtslage und nachdem die Parteien die eingangs gestellten Anträge erneuert hatten, verkündete der Einzelrichter, dass eine Entscheidung am Schluss der Sitzung verkündet werden solle. Nach der Wiedergabe ergänzender Erklärungen der Parteien zum Sachverhalt heißt es im Protokoll:
"Bei Wiederaufruf der Sache am Schluss der Sitzung erschien niemand. Es wurde folgendes Urteil verkündet: Im Namen des Volkes Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Die Beklagten sind verpflichtet, dem Kläger als Gesamtschuldner den Verdienstausfall zu ersetzen, der diesem dadurch entstanden ist, dass er nicht ab dem 1.3.2005 zu einem monatlichen Bruttolohn von 1.620 EUR beschäftigt worden ist. Hinsichtlich des Streits über die Höhe des dem Kläger aufgrund des Entgangs dieses monatlichen Bruttolohns zustehenden Ersatzanspruchs wird die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen, das auch über die Kosten der Berufungsinstanz mit zu entscheiden haben wird. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen."
Rz. 4
Das Protokoll war vom Einzelrichter und unter dem Vermerk "Für die Richtigkeit der Übertragung vom Tonträger" von der Schreibkraft unterzeichnet.
Rz. 5
Dieses Protokoll ist den Parteien am 18.9.2012 mit einem Anschreiben des Gerichts vom 14.9.2012 übersandt worden.
Rz. 6
Das mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehene und vom Einzelrichter unterschriebene Urteil ist ausweislich des Vermerks auf dem Urteil am 6.3.2013 zur Geschäftsstelle gelangt. Es ist den Prozessbevollmächtigten der Parteien auf Veranlassung des Gerichts am 8.3.2013 zugestellt worden. Am 26.3.2013 haben die Beklagten Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil eingelegt und sie nach entsprechender Fristverlängerung am 4.7.2013 begründet.
II.
Rz. 7
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gem. § 544 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 ZPO unzulässig, denn sie wurde nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils beim BGH eingelegt. Nach der Verkündung des Urteils am 11.9.2012 war die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am 11.3.2013 abgelaufen. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch erst am 26.3.2013 eingelegt worden.
Rz. 8
1. Das Urteil vom 11.9.2012 stellt ein Urteil im Rechtssinne, kein Scheinurteil dar, denn es ist an diesem Tag wirksam verkündet worden, wie das Protokoll vom 11.9.2012 belegt.
Rz. 9
Ein Urteil wird erst durch seine förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen existent. Vorher liegt nur ein - allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugender - Entscheidungsentwurf vor (BGH, Großer BGH für Zivilsachen, Beschl. v. 14.6.1954 - GSZ 3/54, BGHZ 14, 39, 44; BGH, Beschl. v. 8.2.2012 - XII ZB 165/11, NJW 2012, 1591 Rz. 11). Die Verlautbarung eines Urteils erfolgt grundsätzlich öffentlich im Anschluss an die mündliche Verhandlung oder in einem hierfür anzuberaumenden Termin durch Vorlesung der Urteilsformel (§§ 310 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG).
Rz. 10
Nach der Rechtsprechung des BGH setzt die wirksame Urteilsverkündung weiter voraus, dass zumindest die Urteilsformel im Zeitpunkt der Verkündung schriftlich niedergelegt ist, weil sie sonst weder verlesen noch in Bezug genommen werden kann (§ 311 Abs. 2 Sätze 1 und 2 ZPO, vgl. BGH, Urt. v. 23.10.1998 - LwZR 3/98, NJW 1999, 794; BGH, Urt. v. 16.10.1984 - VI ZR 205/83, NJW 1985, 1782, 1783; BGH, Urt. v. 13.4.2011 - XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rz. 17; Musielak in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., § 311 Rz. 7; Vollkommer in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 310 Rz. 2; Thole in Prütting/Gehrlein, ZPO, 6. Aufl., § 310 Rz. 8).
Rz. 11
Eine wirksame Verkündung gem. § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist hier durch das Protokoll nachgewiesen. Nach § 165 ZPO kann die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, zu denen nach § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO die Verkündung der Entscheidung gehört (vgl. BGH, Beschl. v. 16.2.1989 - III ZB 38/88, VersR 1989, 604), nur durch das Protokoll bewiesen werden.
Rz. 12
Aufgrund der Beweiskraft des Protokolls steht fest, dass dieses Formerfordernis hier beachtet worden ist. Grundsätzlich erbringt die Protokollierung der Verkündung des Urteils in Verbindung mit der nach § 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO vorgeschriebenen Aufnahme der Urteilsformel in das Protokoll - sei es direkt oder als Anlage zum Protokoll - Beweis dafür, dass das Urteil auch in diesem Sinne ordnungsgemäß, d.h. auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteilsformel, verkündet worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 16.10.1984 - VI ZR 205/83, NJW 1985, 1782, 1783; BGH, Urt. v. 13.4.2011 - XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rz. 17; Beschl. v. 11.3.2015 - XII ZB 571/13, juris Rz. 14). Dabei kommt es nicht darauf an, dass das Verkündungsprotokoll nicht genau erkennen lässt, ob das Urteil durch Bezugnahme auf die Urteilsformel oder durch Verlesen der Formel verkündet wurde und ob das Urteil zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig abgefasst war (vgl. BGH, Urt. v. 3.3.2004 - VIII ZB 121/03, BGHReport 2004, 979, 980; Musielak in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., § 311 Rz. 4). Denn jede Form der Verlautbarung - durch Verlesen der Urteilsformel oder durch Bezugnahme hierauf - setzt voraus, dass der Urteilstenor im Zeitpunkt der Verkündung schriftlich niedergelegt war (BGH, Urt. v. 13.4.2011 - XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rz. 17; Beschl. v. 11.3.2015 - XII ZB 571/13, juris Rz. 14). Die Zivilprozessordnung fordert nicht, dass die schriftlich fixierte Urteilsformel Bestandteil der Akten wird.
Rz. 13
Gegen den diese nur durch das Protokoll beweisbaren Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig. Eine Fälschung des Protokolls wird jedoch nicht behauptet. Die Beweiskraft etwa hindernde äußere Mängel des Protokolls i.S.d. § 419 ZPO sind nicht ersichtlich.
Rz. 14
Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es weiter unverzichtbar, dass das beweiskräftige Protokoll über die Verkündung eines Urteils innerhalb der Fünf-Monats-Frist erstellt wird, denn allein durch das Protokoll kann bewiesen werden, dass und mit welchem Inhalt ein Urteil verkündet worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 13.3.2012 - VIII ZB 104/11, AnwBl. 2012, 558 Rz. 12; Urt. v. 13.4.2011 - XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rz. 20; Beschl. v. 11.3.2015 - XII ZB 571/13, juris Rz. 15). Dies ist hier mit Erstellung des Protokolls im Anschluss an die mündliche Verhandlung noch im September 2012 geschehen.
Rz. 15
Da die Parteien im Verhandlungstermin, in dem verkündet worden war, dass eine Entscheidung am Schluss der Sitzung ergehen werde, vertreten waren und ihnen zeitnah zum Verhandlungstermin das Protokoll, das auch die Urteilsformel enthielt, übersandt worden war, sind auch keine besonderen Umstände gegeben, die es zulassen würden, eine Ausnahme von der Bestimmung des § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO anzunehmen (vgl. BGH, Beschl. v. 29.9.1998 - KZB 11/98, NJW 1999, 143, 144).
Rz. 16
2. Zutreffend weist die Nichtzulassungsbeschwerde zwar darauf hin, dass das Urteil als nicht mit Gründen versehen anzusehen ist, weil es nicht innerhalb von fünf Monaten nach der Verkündung in vollständiger Form unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben worden ist (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 27.4.1993 - GmS-OGB 1.92, BVerwGE 92, 367, 375 ff.; BVerfG NJW 2001, 2161, 2162) und deshalb ein absoluter Revisionsgrund gem. § 547 Nr. 6 ZPO vorliegen könnte, der auch eine Zulassung der Revision gebieten könnte (vgl. BGH, Beschl. v. 30.11.2011 - I ZR 26/11, NJW-RR 2012, 760 Rz. 6). Dies wirkt sich jedoch weder auf den Fristbeginn noch den Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO aus. Auch bei Fehlen von Gründen liegt nämlich eine wirksame Entscheidung vor, die nur auf ein zulässiges Rechtsmittel hin aufgehoben werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 29.9.1998 - KZB 11/98, NJW 1999, 143, 144).
Rz. 17
3. Durch die spätere Zustellung des Urteils ist auch eine neue Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Gang gesetzt worden (vgl. BGH, Beschl. v. 11.2.1998 - IV ZB 31/97, BGHR ZPO § 516 Fristbeginn 11; Heßler in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 517 Rz. 18).
Rz. 18
4. Ein Wiedereinsetzungsantrag ist nicht gestellt worden. Wiedereinsetzung ohne Antrag kann nicht gewährt werden, da innerhalb der Antragsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO, deren Lauf spätestens mit Zustellung des vollständigen Urteils begonnen hat, die versäumte Prozesshandlung nicht nachgeholt worden ist (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 7942474 |
NJW 2015, 2342 |
NJW 2015, 8 |
EBE/BGH 2015 |
FamRZ 2015, 1185 |
FuR 2015, 605 |
JZ 2015, 342 |
MDR 2015, 852 |
VersR 2015, 1445 |