Entscheidungsstichwort (Thema)
Umdeutung einer Gegenvorstellung in eine sofortige Beschwerde
Leitsatz (redaktionell)
Eine Gegenvorstellung gegen den Beschluss eines Oberlandesgerichts kann nicht in eine sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss umgedeutet werden.
Normenkette
BGB § 140
Tenor
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 29. März 2000 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 54.357 DM.
Gründe
1. Die sofortige Beschwerde ist wegen Versäumung der Beschwerdefrist unzulässig.
a) Da der Beschluß des Oberlandesgerichts der Beklagten zu Händen ihres Prozeßbevollmächtigten am 3. April 2000 zugestellt wurde, lief die Zweiwochenfrist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde (§ 577 Abs. 2 ZPO) am 17. April 2000 ab. Vor Ablauf der Frist legte die Beklagte lediglich – am 17. April 2000 – eine Gegenvorstellung gegen den Beschluß bei dem Oberlandesgericht ein mit der Erklärung, eine sofortige Beschwerde dürfe nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung gegen den vorliegenden Beschluß nicht zulässig sein, weil in dieser Sache die Revision nicht zulässig wäre. Erst nach einem mit dem Berichterstatter des Oberlandesgerichts „geführten Telefonat” erklärte die Beklagte mit Schriftsatz vom 22. Mai 2000, sie nehme ihre Rechtsverteidigung erschöpfend wahr; demgemäß sehe sie die mit Schriftsatz vom 17. April 2000 vorgelegte Gegenvorstellung gegen den oberlandesgerichtlichen Beschluß vom 29. März 2000 als sofortige Beschwerde an.
b) Mit dieser nachträglichen Erklärung konnte die fristgerechte Einlegung einer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts nicht begründet werden. Zwar gilt auch im Verfahrensrecht der Grundsatz, daß eine fehlerhafte Parteihandlung in eine zulässige und wirksame umzudeuten ist (analog § 140 BGB), wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem maßgeblichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners entgegensteht (vgl. Senatsbeschluß vom 1. Oktober 1986 – IVb ZB 83/86 = BGHR BGB § 140 Verfahrensrecht 1 = FamRZ 1987, 154 m.N.). Auch bei Rechtsmittelerklärungen kann nach diesen Grundsätzen ausnahmsweise eine Umdeutung zulässig sein. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß es sich um vergleichbare Prozeßhandlungen handelt, die sich in ihrer Intention und rechtlichen Wirkung entsprechen (vgl. BGH Beschluß vom 6. März 1986 – I ZB 12/85 = VersR 1986, 785, 786). Das ist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und eine sofortige Beschwerde u.a. mit der Begründung verneint worden, daß sich der Wiedereinsetzungsantrag als vorbeugender Rechtsbehelf an das entscheidende Gericht wende, während die sofortige Beschwerde ein Rechtsmittel sei, das auf Änderung einer ergangenen Entscheidung ziele und zu diesem Zweck die nächste Instanz anrufe. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte zwar mit ihrer Gegenvorstellung vom 17. April 2000 eine Abänderung des bereits ergangenen oberlandesgerichtlichen Beschlusses vom 29. März 2000 begehrt. Sie hat das Abänderungsbegehren aber ausdrücklich nicht mit Hilfe eines an die nächste Instanz gerichteten Rechtsmittels verfolgt, weil sie ein solches Rechtsmittel nicht für zulässig hielt. Insoweit handelte es sich bei der nachträglich mit Schriftsatz vom 22. Mai 2000 erklärten sofortigen Beschwerde und der Gegenvorstellung vom 17. April 2000 nicht um vergleichbare Prozeßhandlungen, die sich „in ihrer rechtlichen Wirkung entsprechen”.
2. Unabhängig hiervon hätte das Rechtsmittel auch in der Sache keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat zu Recht einen der Beklagten zuzurechnenden (§ 85 Abs. 2 ZPO) Organisationsmangel im Büro ihrer Prozeßbevollmächtigten angenommen, der die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ausschließt.
Da die in einer Sozietät zusammengeschlossenen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zum Teil bei dem Landgericht und zum Teil bei dem Oberlandesgericht Braunschweig zugelassen sind und nach dem Vortrag der Beklagten alle Fristen der Sozietät in einem Fristenkalender geführt und kontrolliert werden, setzt eine wirksame Fristenkontrolle voraus, daß die Fristen in Berufungsverfahren deutlich als solche gekennzeichnet werden. Das gilt schon im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen, die grundsätzlich so notiert werden müssen, daß sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen deutlich abheben (vgl. BGH Beschluß vom 10. Juli 1997 – IX ZB 57/97 – und Urteil vom 21. Dezember 1988 – VIII ZR 84/88 = BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 57 und 11 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten geübte Praxis, Fristen lediglich als Vorfrist (V) oder Hauptfrist (H) zu kennzeichnen, nicht gerecht, zumal hiermit nicht sichergestellt ist, daß die Fristen in den Berufungssachen von dem bei dem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt überwacht werden (vgl. BGH Beschluß vom 10. Juli 1997 aaO).
Abgesehen hiervon hat das Oberlandesgericht in dem angefochtenen Beschluß zu Recht weiter beanstandet, daß in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten keine allgemeine Anordnung dahin besteht, Fristen in verschiedenen Verfahren, die dieselben (oder unter Umständen auch namensidentische) Parteien betreffen, deutlich unterscheidbar (etwa durch Angabe des Aktenzeichens oder durch Hinweis auf den Verfahrensgegenstand) im Kalender einzutragen (vgl. Senatsbeschluß vom 25. März 1992 – XII ZB 25/92 – und BGH Beschluß vom 22. Juni 1995 – LwZB 1/95 = BGHR aaO Fristenkontrolle 25 und 41). Auch in dieser Hinsicht genügt die bloße Kennzeichnung einer Frist als Vorfrist oder Hauptfrist – entgegen der mit der Gegenvorstellung vom 17. April 2000 vorgetragenen Auffassung der Beklagten – nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße anwaltliche Organisation zur Fristenwahrung.
Wäre die hier versäumte Berufungsbegründungsfrist – entsprechend einer dahingehenden allgemeinen anwaltlichen Anordnung – deutlich als zweitinstanzliche Berufungsbegründungsfrist im Kalender eingetragen gewesen, dann hätte eine sorgfältig arbeitende, mit dem Fristenwesen vertraute Angestellte nicht dem Irrtum unterliegen können, bei der bereits eingetragenen Rechtsmittelbegründungsfrist handele es sich um die von ihr zu notierende Frist zur Stellungnahme auf die Verfügung des Landgerichts vom 4. Februar 2000. Außerdem wäre der Berufungsvorgang in diesem Fall bei ordnungsgemäßer Fristenkontrolle dem beim Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt vorgelegt worden, der sodann den bevorstehenden Ablauf der Berufungsbegründungsfrist hätte bemerken und die zur Fristwahrung notwendigen Maßnahmen ergreifen können.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Gerber, Sprick, Weber-Monecke
Fundstellen
FamRZ 2000, 1565 |
NJW-RR 2001, 279 |
JurBüro 2002, 279 |
VersR 2001, 607 |