Verfahrensgang
LG Bremen (Entscheidung vom 17.11.2022; Aktenzeichen 4 S 113/22) |
AG Bremerhaven (Entscheidung vom 05.04.2022; Aktenzeichen 55 C 1305/19) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 17. November 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 1.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien sind die Mitglieder einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Die Klägerin ließ in das Bad und den Flur ihrer Wohnung eine Fußbodenheizung einbauen, die durch in der Wohnung befindliche Absperreinrichtungen von dem Heizkreislauf getrennt werden kann. Die GdWE fasste den Beschluss, die Verwalterin zu beauftragen, mit einem Unternehmen einen Vertrag über das Abklemmen der Fußbodenheizung abzuschließen.
Rz. 2
Mit ihrer im Jahr 2019 eingegangenen Klage will die Klägerin, gestützt auf die Ansicht, die Fußbodenheizung gehöre zu ihrem Sondereigentum, diesen Beschluss für ungültig erklären, hilfsweise dessen Nichtigkeit feststellen lassen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen.
II.
Rz. 3
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Beschwer von mehr als 600 € nicht erreicht. Der Wert der Beschwer entspreche dem nach § 49a GKG aF zu ermittelnden Streitwert in Höhe von 500 €. Das nach dieser Vorschrift entscheidende Gesamtinteresse der Parteien richte sich nach den Kosten, die mit dem Auftrag zum Abklemmen der Fußbodenheizung verbunden seien. Denn Beschlussgegenstand sei lediglich die Erteilung dieses Auftrags. Die damit verbundenen Kosten seien auf 500 € zu schätzen. Das Interesse der Klägerin an der Nutzung der Fußbodenheizung sei nicht maßgeblich, da die Fußbodenheizung selbst bei einer erfolgreichen Klage nicht legalisiert würde. Auch auf die für die Beseitigung der Heizung erforderlichen Kosten sei nicht abzustellen, weil sich aus dem Beschluss keine Rückbaupflicht ergebe.
III.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, weil das Berufungsgericht der Rechtsmittelführerin den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwert. Eine solche Erschwerung liegt zwar nicht in jedem Fehler bei der Bemessung der Beschwer und auch nicht in jeder Überschreitung des dem Gericht eingeräumten Ermessens (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 19. Juni 2013 - V ZB 182/12, WuM 2013, 504 Rn. 5 mwN). Hier hat das Berufungsgericht den Zugang zu der Berufung aber deshalb unzumutbar erschwert, weil es das Nutzungsinteresse der Klägerin ohne tragfähige Begründung unberücksichtigt lässt.
Rz. 5
2. Auch in der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Die Berufung durfte nicht als unzulässig verworfen werden, weil die Beschwer der Klägerin den Betrag von 600 € übersteigt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Rz. 6
a) Der Wert der Beschwer bemisst sich nach dem Interesse des Rechtsmittelführers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung, das nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bewerten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juli 2020 - V ZR 2/20, ZWE 2020, 397 Rn. 4 mwN; Beschluss vom 11. November 2021 - V ZR 62/21, NJW-RR 2022, 300 Rn. 5). Dieses ermittelt sich hier nach den unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen, die das Abklemmen der Fußbodenheizung für die Klägerin hat. Noch zutreffend geht das Berufungsgericht insoweit davon aus, dass hierzu zum einen die (anteiligen) durch das Abklemmen entstehenden Kosten zählen. Ebenfalls richtig ist, dass auf die Beseitigungskosten nicht abgestellt werden kann, da die Beseitigung nicht Gegenstand des angegriffenen Beschlusses ist. Unmittelbare wirtschaftliche Folge für die Klägerin ist aber auch, dass sie ihre Fußbodenheizung faktisch nicht nutzen kann. Der ihr insofern entstehende wirtschaftliche Nachteil ist, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht, Teil ihres wirtschaftlichen Interesses und damit ihrer Beschwer. Die Rechtmäßigkeit der Nutzung, über die die Parteien streiten, betrifft hingegen die Begründetheit der Berufung und nicht die Beschwer.
Rz. 7
b) Eine Schätzung, wie der wirtschaftliche Nachteil durch die unterbundene Nutzung der Fußbodenheizung zu bewerten ist, hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen. Diese kann durch das Rechtsbeschwerdegericht nachgeholt werden, wenn die Feststellungen des Berufungsgerichts für eine solche Schätzung ausreichen (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Juni 2018 - V ZB 254/17, NJW-RR 2018, 1421 Rn. 8; Beschluss vom 11. November 2021 - V ZB 21/21, WuM 2022, 177 Rn. 8; Beschluss vom 19. Mai 2022 - V ZB 53/21, Grundeigentum 2022, 734 Rn. 9). So liegt es hier. Der Wert der Beschwer der Klägerin beträgt jedenfalls 1.000 €.
Rz. 8
aa) Allerdings kann für die Bestimmung der Beschwer - anders, als die Rechtsbeschwerde meint - nicht auf § 9 Satz 1 ZPO zurückgegriffen werden. Denn es wird nicht über ein Recht auf wiederkehrende Nutzungen oder Leistungen gestritten und auch nicht - anders als in der von der Rechtsbeschwerde zitierten Entscheidung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 27. April 2010 - VIII ZB 91/09, NJW-RR 2010, 1582 Rn. 5) - um das Recht, auf Dauer bestimmte Energielieferungen erbringen oder beziehen zu können (vgl. insofern auch Senat, Beschluss vom 19. Januar 2017 - V ZR 100/16, WuM 2017, 174 Rn. 9).
Rz. 9
bb) Entscheidend für die Bemessung der Beschwer sind vielmehr die aus der unterbundenen Nutzung der Fußbodenheizung resultierenden Nachteile. Deren Wert ist gemäß § 3 ZPO zu schätzen (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Januar 2017 - V ZR 100/16, WuM 2017, 174 Rn. 7; Beschluss vom 19. November 2020 - V ZR 48/20, WuM 2021, 134 Rn. 6; Beschluss vom 9. Dezember 2021 - V ZR 112/21, MDR 2022, 227 Rn. 5). Im Hinblick auf die mit dem Verlust der Nutzungsmöglichkeit der im Flur und im Bad befindlichen Fußbodenheizung einhergehende Komforteinbuße schätzt der Senat die Beschwer der Klägerin auf jedenfalls 1.000 €.
IV.
Rz. 10
1. Danach durfte die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € übersteigt. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Rz. 11
2. Den Gegenstandswert hat der Senat gemäß § 48 Abs. 5 WEG i.V.m. § 49a GKG aF bemessen (vgl. Senat, Beschluss vom 30. September 2021 - V ZR 258/20, NJW-RR 2022, 20 Rn. 19). Dabei ist nach § 49a Abs. 1 Satz 1 GKG aF grundsätzlich vom hälftigen - und nicht, wie das Berufungsgericht meint, vom vollständigen - Gesamtinteresse aller Parteien und Beigeladener an der Entscheidung auszugehen. Nach § 49a Abs. 1 Satz 2 GKG aF darf indessen das Interesse der Klägerin nicht unterschritten werden.
Brückner |
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Fundstellen
NJW-RR 2024, 144 |
NZM 2024, 149 |
ZfIR 2024, 47 |
WuM 2024, 63 |
MietRB 2024, 11 |