Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des zuständigen Gerichts bei Personenmehrheit auf Beklagtenseite nach Klageerhebung vor verschiedenen Gerichten
Leitsatz (amtlich)
Die Bestimmung eines zuständigen Gerichts für eine Klage gegen mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben und als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen, ist nicht mehr möglich, wenn der Antragsteller gegen die Beklagten bereits vor verschiedenen Gerichten Klage erhoben hat.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung wird zurückgewiesen.
Gründe
Rz. 1
I. Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner u.a. aus einer Garantievereinbarung in Anspruch und begehrt die Übertragung von Aktien sowie die Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet seien, die Klägerin von Rückforderungsansprüchen freizustellen. Die Klägerin macht die Ansprüche gegen den Antragsgegner zu 1) vor dem LG Detmold und gegen den Antragsgegner zu 2) vor dem LG Meiningen geltend. Die Antragsgegner haben ihren Wohnsitz im Bezirk des jeweils angerufenen LG. Die Klageschriften sind im Dezember 2009 eingereicht worden, wobei die Klageschrift bei dem LG Detmold früher eingegangen ist. Die Klageschriften sind zugestellt worden, die Antragsgegner haben jeweils erwidert. Vor dem LG Detmold ist bereits mündlich verhandelt worden. Am 29.9.2010 hat die Klägerin beantragt, das LG Detmold, hilfsweise das LG Meiningen als für beide Klagen gemeinsam zuständiges Gericht zu bestimmen. Die Beklagten sind diesem Antrag entgegengetreten. Das OLG Hamm hat die Sache gem. § 36 Abs. 3 ZPO dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.
Rz. 2
II. Die Vorlage ist zulässig.
Rz. 3
1. Das vorlegende OLG Hamm ist zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 2 ZPO und damit zur Vorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO berufen. Das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht für die LG Detmold und Meiningen ist der BGH, das zuerst mit der Sache befasste LG Detmold gehört zum Bezirk des OLG Hamm.
Rz. 4
2. Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein OLG, das mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem BGH vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen will. Diese Voraussetzungen liegen vor. Das vorlegende OLG hält die Bestimmung eines gemeinschaftlich zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für ausgeschlossen, wenn mehrere Beklagte nicht von vornherein als Streitgenossen, sondern zunächst getrennt bei den jeweils zuständigen Gerichten verklagt werden. Die Rechtshängigkeit der Einzelklagen bewirke, dass die Zuständigkeit der angerufenen Gerichte gem. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO bestehen bleibe und auch in einem Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht mehr geändert werden dürfe. Demgegenüber hat das OLG Frankfurt durch Beschluss vom 9.3.2006 einem Antrag auf Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts entsprochen, obwohl die Antragsgegner mit rechtshängigen Klagen bei verschiedenen und jeweils zuständigen Gerichten in Anspruch genommen worden waren (OLG Frankfurt, Beschl. v. 9.3.2006 - 21 AR 11/06, juris).
Rz. 5
III. Der Antrag auf Bestimmung eines für beide Klagen zuständigen Gerichts ist unbegründet. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen nicht vor, weil die Klägerin bereits gegen beide Beklagten an deren allgemeinem Gerichtsstand Klage erhoben hat.
Rz. 6
1. Die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt über den Wortlaut der Vorschrift ("verklagt werden sollen") allerdings auch dann in Betracht, wenn gegen alle Beklagten bereits eine Klage anhängig ist.
Rz. 7
Entscheidend dafür ist, dass die Bestimmung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht und dass es im Interesse der Parteien liegen kann, bei einer von vornherein gegen mehrere Beklagte (mit verschiedenen allgemeinen Gerichtsständen) gerichteten Klage auch noch nach Klageerhebung ein für alle Beklagten zuständiges Gericht zu bestimmen, um die Entscheidung des Rechtsstreits durch ein einziges Gericht herbeizuführen (BGH, Beschl. v. 7.10.1977 - I ARZ 513/77, NJW 1798, 321). Der BGH hat die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstandes im Interesse der Prozessökonomie deshalb für zulässig erachtet, wenn der Antragsteller bereits mehrere Beklagte vor einem Gericht verklagt hat und einzelne davon die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend gemacht haben (BGH, Beschl. v. 17.10.1979 - IV ARZ 42/79, NJW 1980, 188, 189; Beschl. v. 27.10.1983 - I ARZ 334/83, BGHZ 88, 331, 332 f.; Beschl. v. 16.5.2006 - X ARZ 41/06, NJW-RR 2006, 1289 Rz. 3).
Rz. 8
2. Im Streitfall besteht keine vergleichbare Ausgangslage. Die Klägerin hat die Klage nicht von vornherein gegen beide Beklagte gerichtet, sondern diese in getrennten Prozessen vor unterschiedlichen Gerichten verklagt. Sie hat damit gerade nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Beklagten als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen. An dieser Entscheidung muss sie sich festhalten lassen. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bildet keine ausreichende Grundlage, über den Anwendungsbereich § 147 ZPO hinaus zwei anhängige Verfahren auch dann miteinander zu verbinden, wenn diese bei unterschiedlichen Gerichten anhängig sind. Ein Kläger, der mehrere Personen wegen eines gleich gelagerten Sachverhalts in Anspruch nimmt, hat es vor Klageerhebung in der Hand, ob er diese gemeinsam oder in getrennten Prozessen verklagt. Entscheidet er sich für eine dieser Möglichkeiten, ist es auch unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie nicht geboten, den Rechtsstreit nachträglich an ein anderes Gericht zu verlagern.
Rz. 9
3. Der BGH hat eine Bestimmung der Zuständigkeit gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch in einem Fall vorgenommen, in dem ein gegen mehrere Antragsgegner eingeleitetes Mahnverfahren nach Widerspruch zunächst an verschiedene Gerichte abgegeben worden war (BGH, Beschl. v. 2.6.1978 - I ARZ 202/78, NJW 1978, 1982). Auch daraus ergibt sich für den Streitfall keine andere Beurteilung.
Rz. 10
In dem jener Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Antragsteller beide Beklagten gemeinsam im Wege des Mahnverfahrens in Anspruch genommen. Nach der damals geltenden Fassung von § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO musste im Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides als für das Streitverfahren zuständig zwingend das Gericht angegeben werden, bei dem der Antragsgegner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Der Antragsteller konnte damit nicht verhindern, dass es zu einer vorübergehenden Trennung der Verfahren kommt, wenn er sich zur Geltendmachung seiner Rechte im Mahnverfahren entschloss und mehr als ein Antragsgegner Widerspruch einlegte. Der BGH hat dies als vom Gesetz nicht gewollte Benachteiligung angesehen und deshalb die nachträgliche Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands zugelassen.
Rz. 11
Im Streitfall hat die Klägerin ihre Ansprüche nicht im Wege des Mahnverfahrens geltend gemacht, sondern von vornherein den Klageweg beschritten. Auf diesem Weg stand es ihr frei, beide Beklagten von vornherein gemeinsam in Anspruch zu nehmen. Wenn sie sich stattdessen für eine getrennte Inanspruchnahme entschieden hat, kann dies nicht über § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO revidiert werden.
Fundstellen
Haufe-Index 2658444 |
BB 2011, 898 |
DB 2011, 8 |
NJW 2011, 8 |
EBE/BGH 2011 |
FamRZ 2011, 808 |
NJW-RR 2011, 929 |
ZAP 2011, 552 |
ZIP 2011, 1488 |
MDR 2011, 558 |
NJ 2011, 6 |
Mitt. 2011, 260 |