Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsfähigkeit von Kosten, die durch die Beauftragung verschiedener, nicht am Gerichtsort niedergelassener Rechtsanwälte entstanden sind
Leitsatz (redaktionell)
1. Kosten, die durch die Beauftragung verschiedener, nicht am Gerichtsort niedergelassener Rechtsanwälte enstanden sind, sind nur dann erstattungsfähig, wenn die Mehrkosten auch in der Höhe notwendig waren und diejenigen Kosten nicht übersteigen, die bei Beauftragung eines einzelnen Anwalts vor Ort entstanden wären.
2. Bei der damit erforderlichen Vergleichsberechnung ist darauf abzustellen, welche Reisekosten des zunächst beauftragten Rechtsanwalts bei der Wahrnehmung des auswärtigen Termins im Vergleich zu den Kosten eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts entstanden wären.
Normenkette
ZPO § 91
Verfahrensgang
LG Landshut (Beschluss vom 12.11.2003) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Landshut v. 12.11.2003 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen dahin abgeändert, dass die zu erstattenden Kosten auf 329,17 EUR festgesetzt werden.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben die Beklagte 7/12 und die Klägerin 5/12 zu tragen.
Der Beschwerdewert wird auf 121,41 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin, die Deutsche Telekom AG mit dem Sitz in Bonn, hatte gegen die Beklagte, die in Landshut ein Gastronomieunternehmen betreibt, aus einem Kauf- und Montagevertrag sowie einem Mietvertrag eine Forderung i. H. v. insgesamt 892,23 EUR. Mit der Durchführung des Mahnverfahrens beauftragte sie eine Heidelberger Anwaltskanzlei, die sie in derartigen Fällen stets einschaltet. Nachdem die Beklagte gegen den Mahnbescheid Widerspruch eingelegt hatte, gab das zuständige Mahngericht das Verfahren an das AG Landshut ab. Mit der Vertretung im streitigen Verfahren beauftragte die Klägerin eine Münchner Anwaltskanzlei.
In der mündlichen Verhandlung vor dem AG Landshut erging gegen die Beklagte Versäumnisurteil; die Kosten des Verfahrens wurden der Beklagten auferlegt.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss v. 10.1.2003 hat das AG die der Klägerin zu erstattenden Kosten antragsgemäß wie folgt festgesetzt:
Verauslagte Gerichtskosten 138,05 EUR
10/10 Mahnverfahrensgebühr (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) 66,47 EUR
Pauschsatz (§ 26 BRAGO) 9,97 EUR
10/10 Prozessgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) 66,47 EUR
5/10 Verhandlungsgebühr (§ 33 Abs. 1 S. 1 BRAGO) 33,23 EUR
Pauschsatz (§ 26 BRAGO) 14,98 EUR
Tage- und Abwesenheitsgeld (§ 28 BRAGO) 15,34 EUR
Fahrtkosten (§ 28 BRAGO) 35,10 EUR
insgesamt 379,61 EUR
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das LG den Kostenfestsetzungsbeschluss abgeändert und den Erstattungsbetrag auf
258,20 EUR festgesetzt. Mit der vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
II.
Das LG meint, die Klägerin sei nach dem Grundsatz der Kosten sparenden Prozessführung gehalten gewesen, bereits für das Mahnverfahren einen Rechtsanwalt am Sitz des Prozessgerichts zu beauftragen; besondere Kenntnisse des Telekommunikationsrechts seien entgegen der Auffassung der Klägerin im vorliegenden Fall nicht erforderlich gewesen. Überdies sei, wie auch das Vorgehen der Klägerin zeige, von vornherein zu erkennen gewesen, dass ein eingehendes Mandantengespräch entbehrlich gewesen sei. Unter diesen Umständen seien die Kosten, die durch die Einschaltung der Heidelberger Kanzlei im Mahnverfahren und die Reise eines Münchner Rechtsanwaltes zum Verhandlungstermin vor dem AG Landshut entstanden seien, nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Prüfung nicht in vollem Umfang stand.
1. Die Kosten, die der Klägerin durch die Beauftragung verschiedener Rechtsanwälte einerseits für das Mahnverfahren und andererseits für das anschließende streitige Verfahren entstanden sind, sind ihr von der Beklagten gem. § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO dem Grunde nach zu erstatten. Nach dieser Bestimmung sind die Kosten mehrerer Anwälte insoweit erstattungsfähig, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. Letzteres war hier nicht der Fall; denn der mit der Durchführung des Mahnverfahrens beauftragte Heidelberger Rechtsanwalt hätte vor dem AG Landshut als Prozessbevollmächtigter der Klägerin auftreten können. Auch sonst liegen keine Gründe vor, die jenen Anwalt an der Wahrnehmung des Verhandlungstermins in Landshut gehindert hätten.
Eine Erstattung kommt daher nur in Betracht, soweit die durch den Anwaltswechsel entstandenen Mehrkosten auch der Höhe nach notwendig waren und diejenigen Kosten nicht übersteigen, die bei Beauftragung eines einzigen Anwalts entstanden wären. Die danach erforderliche Vergleichsberechnung hängt davon ab, ob die in Bonn ansässige Klägerin für das Mahnverfahren einen Rechtsanwalt an einem dritten Ort (Heidelberg) einschalten durfte, obwohl erkennbar war, dass bei Wahrnehmung eines Verhandlungstermins in Landshut nicht unerhebliche Reisekosten oder die Kosten für einen Unterbevollmächtigten anfallen würden oder sogar - wie geschehen - ein Anwaltswechsel erforderlich werden würde.
2. Nach § 91 Abs. 1 ZPO hat die obsiegende Partei Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren; dazu zählen auch die Reisekosten für die Wahrnehmung auswärtiger Termine. Bei der Beurteilung der Frage, ob aufgewendete Prozesskosten in diesem Sinne "notwendig" waren, kommt es nach der Rechtsprechung des BGH darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Sie ist lediglich gehalten, unter mehreren gleichartigen Maßnahmen die kostengünstigste auszuwählen (BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 = WM 2003, 1617 unter II 2b bb; Beschl. v. 11.11.2003 - VI ZB 41/03, BGHReport 2004, 345 unter II 2b bb). Die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei stellt in der Regel eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dar, weil ein persönliches Informations- und Beratungsgespräch zwischen Partei und Anwalt mindestens zu Beginn eines Mandats in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle erforderlich und sinnvoll ist (BGH, Beschl. v. 11.11.2003 - VI ZB 41/03, BGHReport 2004, 345 unter II 2b bb und Beschl. v. 21.1.2004 - IV ZB 32/03 unter III 1). Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird (BGH, Beschl. v. 16.10.2002, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 = WM 2003, 1617 unter II 2b bb (1) und (2)). Auch in diesem Fall kann die Partei aber einen vernünftigen und anzuerkennenden Anlass haben, noch nicht sogleich einen Anwalt am Sitz des Prozessgerichts zu mandatieren. Ausnahmsweise kann es auch gerechtfertigt sein, dass ein überregional tätiges Unternehmen aus bestimmten gewichtigen Gründen einen Anwalt hinzuzieht, der nicht an seinem Geschäftsort, sondern an einem dritten Ort ansässig ist.
3. Nach diesen Grundsätzen war die Klägerin entgegen der Auffassung des LG auch unter Berücksichtigung des Gebots der Kosteneinsparung nicht verpflichtet, schon für das Mahnverfahren einen Rechtsanwalt am Sitz des (späteren) Prozessgerichts einzuschalten. Zwar war auch aus der Sicht der Klägerin ein persönliches Informationsgespräch mit dem zu beauftragenden Anwalt offenbar entbehrlich; denn sonst hätte sie die Sache nicht routinemäßig zur Durchführung des Mahnverfahrens an die von ihrem Sitz in Bonn weit entfernte Heidelberger Kanzlei abgegeben. Die Klägerin hat jedoch andere nachvollziehbare, einleuchtende und wirtschaftlich sinnvolle Gründe für die Mandatierung der Heidelberger Rechtsanwälte angeführt. Wie sie im Einzelnen dargelegt hat, überträgt sie sämtliche für das Mahnverfahren vorgesehenen Forderungsfälle jener Kanzlei, weil diese personell und organisatorisch in der Lage ist, die große Zahl einschlägiger Verfahren, die bei der Klägerin als einem bundesweit tätigen Konzern mit vielen Mio. Kunden ständig anfallen, ordnungsgemäß zu bearbeiten. Die Konzentration der Mahnverfahren auf eine Anwaltskanzlei erscheint auch deshalb sinnvoll, weil, wie die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat, etwa 90 % der Verfahren ohne Widerspruch des Schuldners durchgeführt werden. Bei einer derartigen Sachlage ist es weder möglich noch zumutbar, aus der Vielzahl der einschlägigen Fälle diejenigen herauszusuchen, in denen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Schuldner Widerspruch einlegen wird und deshalb die Durchführung des Mahnverfahrens an sich zweckmäßigerweise sogleich am Gerichtsstand des Schuldners zu beantragen wäre.
Ob dies ausnahmslos zu gelten hat oder ob insbesondere in Fällen, in denen der Schuldner seinen Wohnsitz in der Nähe des Sitzes des Gläubigerunternehmens hat, etwaige spätere Reisekosten eines am dritten Ort ansässigen Anwalts nicht als notwendig anzuerkennen sind, kann hier offen bleiben (vgl. dazu Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 91 Rz. 13 - "Mahnverfahren", Ziff. 1) a. E.; Belz in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 91 Rz. 67, m. w. N. [Fn. 243]); denn die Beklagte ist dadurch, dass die Klägerin mit der Durchführung des Mahnverfahrens nicht einen an ihrem Sitz in Bonn, sondern einen in Heidelberg ansässigen Anwalt beauftragt hat, kostenmäßig nicht beschwert.
4. a) Durfte die Klägerin nach alledem eine Heidelberger Anwaltskanzlei für das Mahnverfahren gegen die Beklagte einschalten, dann ist für die nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO anzustellende Vergleichsberechnung zunächst darauf abzustellen, welche Reisekosten bei dem Heidelberger Anwalt entstanden wären, wenn er den Verhandlungstermin vor dem AG Landshut wahrgenommen hätte. Nach den Ausführungen der Rechtsbeschwerde wären hierfür Fahrtkosten von rund 187 EUR und ein Tage- und Abwesenheitsgeld von 31 EUR, insgesamt somit 218 EUR angefallen. Zzgl. der Prozessgebühr von 66,47 EUR, auf die die Mahnverfahrensgebühr anzurechnen wäre (§ 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BRAGO), der Verhandlungsgebühr von 33,23 EUR und der Auslagenpauschale (§ 26 BRAGO) von 14,98 EUR hätte sich bei den Anwaltskosten ein erstattungsfähiger Gesamtbetrag von 332,68 EUR ergeben.
b) Diesem Betrag sind allerdings nicht, wie die Rechtsbeschwerde meint, die durch die Beauftragung eines Münchner Rechtsanwaltes entstandenen Kosten gegenüberzustellen, sondern nur diejenigen Kosten, die angefallen wären, wenn die Klägerin nach der Einlegung des Widerspruchs durch die Beklagte einen am Ort des Prozessgerichts Landshut ansässigen Anwalt für das streitige Verfahren mandatiert hätte. Denn wenn eine Partei von der ihr grundsätzlich zuzubilligenden Möglichkeit Gebrauch macht, nach dem Mahnverfahren aus sachlichen Gründen - etwa wegen der großen Entfernung vom Sitz des Mahnanwalts zum Gerichtsort - für das streitige Verfahren einen anderen Rechtsanwalt zu beauftragen, wird sie dem Gebot der Kosteneinsparung in aller Regel nur gerecht, wenn sie nicht abermals einen an einem dritten Ort ansässigen Anwalt auswählt, sondern einen solchen, der seinen Sitz am Ort des Prozessgerichts hat. Davon geht offensichtlich auch die Klägerin aus; sie meint jedoch, es sei ihr nicht zuzumuten, einen Rechtsanwalt in Landshut zu beauftragen, der in einem früheren Verfahren möglicherweise schon einmal eine Gegenseite vertreten habe und der überdies über keine besonderen Kenntnisse auf dem Gebiet des Telekommunikationsrechts verfüge. Diese Einwände greifen nicht durch.
Zu Recht hat schon das LG darauf hingewiesen, dass die Klägerin nichts Substanziiertes für die Gefahr einer Interessenkollision vorgetragen hat. Im Übrigen ist es ihr ohne weiteres möglich und zumutbar, mithilfe ihrer Rechtsabteilung, ihrer Landshuter Niederlassung oder der im Mahnverfahren tätig gewesenen Heidelberger Kanzlei unter den in Landshut ansässigen Anwälten einen Prozessbevollmächtigten auszuwählen, der noch nicht in einem früheren Rechtsstreit die Gegenseite vertreten hat. Auch im Hinblick auf den Gegenstand des Verfahrens, der keine speziellen Fragen des Telekommunikationsrechts aufwarf, war die Beauftragung einer Münchner Kanzlei offensichtlich nicht erforderlich.
c) Hätte die Klägerin dementsprechend einen Landshuter Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten für das streitige Verfahren vor dem AG ausgewählt, wären keinerlei Reisekosten angefallen. Vielmehr wären insoweit nur die Prozessgebühr, die Verhandlungsgebühr und die Auslagenpauschale i. H. v. insgesamt 114,68 EUR entstanden. Zzgl. der Mahnverfahrensgebühren des Heidelberger Anwalts i. H. v. 76,44 EUR (§§ 43 Abs. 1 Nr. 1, 26 BRAGO) hätten sich notwendige Kosten der Klägerin von zusammen 191,12 EUR errechnet. Die von der Klägerin verauslagten, ebenfalls zu erstattenden Gerichtskosten von 138,05 EUR können bei dieser Vergleichsberechnung unberücksichtigt bleiben, weil sie jeweils in gleicher Höhe anzurechnen sind.
5. Nach alledem waren auch bei Beauftragung verschiedener Rechtsanwälte für das Mahnverfahren und für das anschließende streitige Prozessverfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Klägerin Anwaltskosten lediglich i. H. v. insgesamt 191,12 EUR notwendig. Sie sind, da sie die Kosten eines Rechtsanwalts (oben 4 a) nicht übersteigen, voll zu erstatten; angesichts der deutlichen Differenz zur Obergrenze des § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO bedarf es keiner weiteren Feststellungen zur genauen Höhe der fiktiven Reisekosten des Heidelberger Anwalts. Zzgl. der verauslagten Gerichtskosten (138,05 EUR) betragen die als notwendig anzuerkennenden Kosten der Klägerin mithin 329,17 EUR.
III.
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin war daher der angefochtene Beschluss in dem aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Umfang abzuändern (§ 577 Abs. 5 ZPO). Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.
Fundstellen
FamRZ 2004, 866 |
RVG-B 2004, 128 |
RVGreport 2005, 117 |
NJOZ 2004, 1586 |