Entscheidungsstichwort (Thema)
Genehmigung einer Prozesshandlung eines nicht zugelassenen Rechtsanwalts in einem anschließenden Schriftsatz eines zugelassenen Rechtsanwalts
Leitsatz (redaktionell)
Die Frage, ob in einem Berufungsschriftsatz zugleich die Genehmigung der vorherigen Prozesshandlung eines nicht zugelassenen Rechtsanwalts zu sehen ist, ist nur anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu klären. Es müssen sich in der Berufungsschrift zumindest Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine derartige Genehmigung gewollt ist.
Normenkette
ZPO § 238 Abs. 2, § 574 Abs. 1-2, § 522 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 04.03.2003) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats des OLG Frankfurt am Main v. 4.3.2003 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 20.677,55 Euro
Gründe
I.
Die Klägerin hat die Beklagte mit der vorliegenden Klage auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Das LG hat die Klage abgewiesen. Sein Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14.1.2002 zugestellt worden. Dieser war beim Berufungsgericht nicht zugelassen, legte aber am 15.1.2002 Berufung ein und begründete diese zugleich. Mit Schriftsatz v. "29.10.2001" - beim Berufungsgericht eingegangen am 14.2.2002 - hat der nur beim LG zugelassene Rechtsanwalt Dr. S. als amtlich bestellter Vertreter des beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalts Dr. A. für die Klägerin (erneut) Berufung eingelegt. In dieser Berufungsschrift heißt es: "Anträge und Begründung bleiben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten". Auf Anfrage des Berufungsgerichts zu der doppelten Berufungseinlegung teilte der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit, er gehe davon aus, dass er keine wirksame Berufung vor dem OLG habe einlegen können; aus diesem Grund sei durch die Rechtsanwälte Dr. A. u. a. nochmals Berufung eingelegt worden.
Eine von Dr. A. unterzeichnete Berufungsbegründung, datiert v. 13.3.2002, befindet sich Bl. 144 ff. der Gerichtsakten; sie trägt den Eingangsstempel v. 2.5.2002. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben die Abschrift der ersten und der letzten Seite der ihnen zugegangenen Berufungsbegründungsschrift v. 13.3.2002 vorgelegt; die erste Seite trägt den Eingangsstempel des Berufungsgerichts v. 15.3.2002. Die letzte S. trägt einen Beglaubigungsvermerk von Rechtsanwalt Dr. S.. Dieser war weder am 13. noch am 14.3.2002 als Vertreter eines beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalts bestellt.
In der mündlichen Verhandlung hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Berufungsbegründung möglicherweise nicht rechtzeitig eingegangen sei. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat dies in Abrede gestellt. Er hat zuletzt schriftsätzlich geltend gemacht, die Berufungsbegründung sei am 13.3.2002 durch Dr. A. per Briefpost oder per Fax von einem Münchner Hotel aus an das Berufungsgericht übersandt worden und offensichtlich bei Gericht verloren gegangen. Vorsorglich hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Klägerin die Aufhebung des Beschlusses. Sie macht geltend, eine Korrektur sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1i. V. m. §§ 522 Abs. 1 S. 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben. Eine Entscheidung des BGH ist entgegen der Ansicht der Klägerin zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich.
1. Eine Divergenz (vgl. dazu etwa BGH, Beschl. v. 13.5.2003 - VI ZB 76/02, BGHReport 2003, 1032 = MDR 2003, 1131 = FamRZ 2003, 1271; Beschl. v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [225 f.] = BGHReport 2002, 948) zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Sie macht lediglich geltend, das Berufungsgericht habe nicht bedacht, dass in der Berufungseinlegung durch einen zugelassenen Rechtsanwalt eine Genehmigung der zuvor von dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen - Berufungseinlegung und Berufungsbegründung - liegen könne, und es sei demnach von der ständigen Rechtsprechung des BGH abgewichen. Dass das Berufungsgericht einen Rechtssatz zu dem angesprochenen Problemkreis aufgestellt haben könnte, ist dem angefochtenen Beschluss nicht zu entnehmen. Es zieht eine Genehmigung überhaupt nicht in Erwägung, offensichtlich deshalb, weil die Klägerin in ihren Schriftsätzen an keiner Stelle geltend gemacht hat, mit der späteren Berufung hätten die Prozesshandlungen des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten genehmigt werden sollen, und weil - wie die Beklagte in der Beschwerdeerwiderung zutreffend ausführt - der Inhalt der späteren Berufungsschrift mit dem Hinweis auf eine noch einzureichende Berufungsbegründung den Gedanken an eine Genehmigung als fern liegend erscheinen ließ. Auch soweit mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht wird, das Berufungsgericht habe Prozess-Stoff übergangen, ist für eine Divergenz nichts ersichtlich.
2. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung allerdings dann erforderlich, wenn bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren (BGH, Beschl. v. 13.5.2003 - VI ZB 76/02, BGHReport 2003, 1032 = MDR 2003, 1131 = FamRZ 2003, 1271; Beschl. v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [225 f.] = BGHReport 2002, 948). Das kann insbesondere auch bei einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Fall sein, etwa wenn der angefochtene Beschluss die Partei in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; dazu BGH, Beschl. v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822 = NJW 2003, 1943 [1946 f.]) oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip; dazu etwa BGH, Beschl. v. 13.5.2003 - VI ZB 76/02, BGHReport 2003, 1032 = MDR 2003, 1131 = FamRZ 2003, 1271) verletzt. Eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten muss nach den Darlegungen des Beschwerdeführers im Einzelfall klar zutage treten, also offenkundig sein, ferner muss die angefochtene Entscheidung hierauf beruhen (vgl. BGH, Beschl. v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [225 f.] = BGHReport 2002, 948; Beschl. v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822 = NJW 2003, 1943 [1947]).
Ein solcher Zulassungsgrund liegt hier nicht vor. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht nicht auf einem entscheidungserheblichen klar zu Tage tretenden Verstoß gegen die Verfahrensgrundrechte der Klägerin; sie ist zudem einzelfallbezogen und erfordert deshalb keine korrigierende Entscheidung des BGH.
a) Dies gilt zum einen, so weit das Berufungsgericht eine Genehmigung der Prozesshandlungen des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten nicht in Betracht gezogen hat. Wie ausgeführt lag die Annahme einer solchen Genehmigung eher fern. Aus dem Text der zweiten Berufungsschrift ergibt sich keinerlei Anhaltspunkt für eine Genehmigung der Prozesshandlungen des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten. In der Berufungsbegründung v. 13.3.2002 heißt es auch ausdrücklich: "begründe ich die mit Schriftsatz v. 14.2.2002 eingelegte Berufung ...". Auch die die doppelte Berufungseinlegung erläuternde Stellungnahme des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten und die Tatsache, dass in den Schriftsätzen der Klägerin die Idee einer Genehmigung nicht einmal andeutungsweise aufgegriffen wird, lassen es als nachvollziehbar erscheinen, dass sich dem Berufungsgericht die Frage einer Genehmigung nicht gestellt hat.
Selbst wenn man dies anders sehen wollte, läge lediglich ein Fehler im Einzelfall vor, der weder symptomatische Bedeutung hat noch einen Nachahmungseffekt oder eine Wiederholung für andere Fälle befürchten lässt (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 25.3.2003 - VI ZB 55/02, BGHReport 2003, 906 = MDR 2003, 891 = NJW-RR 2003, 995 [996]; Beschl. v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822 = NJW 2003, 1943 [1945 f.]). Die Frage, ob in einer Berufungsschrift zugleich die Genehmigung der Prozesshandlungen eines nicht zugelassenen Rechtsanwalts zu sehen ist, kann nur auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Dafür, dass eine Fallgestaltung wie die vorliegende mit ihren recht außergewöhnlichen Umständen zukünftig erneut zu beurteilen sein wird, spricht nichts.
b) Dies gilt zum anderen auch, so weit die Rechtsbeschwerde geltend macht, das Berufungsgericht habe entscheidungserhebliches Vorbringen übergangen und damit den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in offenkundiger Weise verletzt.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Tätigwerden des Rechtsanwalts Dr. A. in M. lassen diesen Vorwurf nicht als gerechtfertigt erscheinen. Die Beklagte weist in der Beschwerdeerwiderung zutreffend darauf hin, dass dem Vortrag der Klägerin zu diesem Sachverhalt keineswegs zu entnehmen war, die Berufungsbegründungsschrift v. 13.3.2002 müsse von dem Hotel aus per Fax an das Berufungsgericht gesandt worden sein. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in seinem Schriftsatz v. 22.11.2002 behauptet, die Berufungsbegründung am 13.3.2002 per e-mail erhalten, ausgedruckt, gelesen, unterzeichnet und abgesandt zu haben. Zugleich hat er ausgeführt, er könne sich nicht mehr erinnern, ob er die Berufungsbegründung dann durch das Telefaxgerät des Hotels oder aber noch am gleichen Tage mit der Briefpost versandt habe; da die von Rechtsanwalt Dr. S. geführte Akte keinen Telefaxsendebericht aufweise, gehe er davon aus, dass das Schreiben mit der Post versandt worden sei. Auf diesen Vortrag stellt das Berufungsgericht entscheidend ab.
Die Rüge, das Berufungsgericht habe streitentscheidenden Vortrag übergangen, weil es zum möglichen Eingang eines Faxes aus M. keine weitere Stellungnahme des Justizangestellten B. eingeholt habe, erscheint danach bereits in der Sache als ungerechtfertigt. Keinesfalls kann aber von einer auf der Hand liegenden Verletzung des rechtlichen Gehörs ausgegangen werden. Im Hinblick auf den dargestellten Vortrag des Rechtsanwalts Dr. A. ist es zumindest gut nachvollziehbar und verständlich, wenn das Berufungsgericht davon ausging, dass sich weitere Nachforschungen im Bereich des Gerichts zum eventuellen Eingang eines Faxes erübrigten. Die schriftsätzlichen Ausführungen können durchaus so verstanden werden, dass man nunmehr auf Seiten der Klägerin nicht mehr ernsthaft von einer Versendung per Fax ausging, sondern den Vorwurf erheben wollte, die per Briefpost übersandte Berufungsbegründung sei durch Manipulationen der Geschäftsstelle aus der Akte entfernt worden.
c) Es ist nicht dargetan oder ersichtlich, dass das Berufungsgericht in Anbetracht der von den Anwälten der Klägerin vorgetragenen Tatsachen die an die Feststellung des Zugangs der Berufungsbegründungsschrift oder an die Wiedereinsetzung zu stellenden Anforderungen überspannt haben könnte. Die Rechtsbeschwerde nimmt die insoweit wertenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses hin. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht sich angesichts des zum Teil unsicheren und unvollständigen Vortrags der Klägerin über die Behandlung der Berufungsbegründung im praxisinternen Bereich ihrer Anwälte nicht in der Lage gesehen hat, den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung festzustellen bzw. die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Auf jeden Fall handelt es sich um Ausführungen zur Entscheidung eines konkreten Einzelfalls, die ein Einschreiten des BGH nicht erfordern.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen