Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtfertigung des Ausschlusses aus dem Gläubigerausschluss bei weitgehender Personenidentität in gleichlaufenden Insolvenzverfahren zweier Konzernunternehmen
Leitsatz (amtlich)
Fallen zwei Konzernunternehmen in Insolvenz und wird in jedem Verfahren ein weitgehend personenidentisch besetzter Gläubigerausschuss gebildet, so kann eine Verfehlung, welche die Entlassung eines Mitglieds aus einem Ausschuss rechtfertigt, unter dem Gesichtspunkt eines Vertrauensverlusts geeignet sein, seine Entlassung auch aus dem anderen Ausschuss nahe zu legen.
Normenkette
InsO § 70
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsmittel des weiteren Beteiligten zu 2) wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Heidelberg vom 28.7.2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Durch Beschluss des AG - Insolvenzgericht - Heidelberg wurde am 1.10.2004 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und Rechtsanwalt H. zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Schuldnerin ist ein Unternehmen der U. Gruppe, zu der neben der ebenfalls in Insolvenz gefallenen U. AG auch die C. + M. GmbH (künftig: C + M GmbH) gehört. Das AG hat mit Beschluss vom 5.11.2004 einen vorläufigen Gläubigerausschuss eingesetzt. Die Gläubigerversammlung hat am 10.12.2004 beschlossen, den von dem Insolvenzgericht eingesetzten vorläufigen Gläubigerausschuss beizubehalten und durch den auf Vorschlag der Gläubigerin C + M GmbH gewählten weiteren Beteiligten zu 2) (nachfolgend: Beteiligter) um ein Mitglied zu ergänzen.
[2] Der Beteiligte zu 3) hat als Mitglied des Gläubigerausschusses am 1.2.2005 bei dem Insolvenzgericht beantragt, den Beteiligten wegen der Verletzung von Geheimhaltungs- und Schweigepflichten aus dem Amt als Mitglied des Gläubigerausschusses zu entlassen. Zur Begründung hat er sich auf die Weiterleitung eines Schreibens des Insolvenzverwalters vom 30.12.2004 durch den Beteiligten an die C + M GmbH sowie auf den Inhalt zweier Schreiben vom 13.1.2005, die ein Sozius des Beteiligten verfasst hat, bezogen. Sämtliche Vorwürfe betreffen Verhaltensweisen des Beteiligten als Mitglied des Gläubigerausschusses in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der U. AG. Das AG - Rechtspfleger - hat dem Antrag stattgegeben. Diese Entscheidung hat das LG auf die sofortige Beschwerde des Beteiligten bestätigt. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Begehren weiter.
II.
[3] Das LG hat ausgeführt, dem Beteiligten sei eine schwerwiegende Pflichtverletzung anzulasten, die seine Entlassung rechtfertige. Der Beteiligte habe zumindest in einem Fall als Mitglied des Gläubigerausschusses erlangte Informationen an einen Kanzleikollegen weitergegeben. Die Entlassung setze nicht voraus, dass die Weitergabe der Information die anderen Gläubiger benachteiligt habe. Infolge dieses Pflichtverstoßes und des bestehenden Verdachts, das Schreiben vom 30.12.2004 der C + M GmbH zur Kenntnis gegeben zu haben, sei das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beteiligten und den weiteren Mitgliedern des Gläubigerausschusses in einer Weise zerstört worden, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr möglich sei.
III.
[4] Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 70 Satz 3 InsO statthafte Rechtsbeschwerde ist unter dem auch gerügten Aspekt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) zulässig. Das Rechtsmittel ist begründet, weil ein wichtiger Grund, den Beteiligten als Mitglied des Gläubigerausschusses zu entlassen, nach dem im Rechtsbeschwerdeverfahren zugrundezulegenden Sachverhalt nicht gegeben ist. Zur Nachholung weiterer notwendiger Feststellungen ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das LG zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO).
[5] 1. Ein Mitglied des Gläubigerausschusses kann gem. § 70 Satz 1 und 2 InsO von Amts wegen, auf Antrag eines Mitglieds des Gläubigerausschusses oder auf Antrag der Gläubigerversammlung aus wichtigem Grund aus dem Amt entlassen werden. Voraussetzung einer Entlassung aus wichtigem Grund ist eine Situation, in der die weitere Mitarbeit des zu entlassenden Mitgliedes die Erfüllung der Aufgaben des Gläubigerausschusses nachhaltig erschwert oder unmöglich macht und die Erreichung der Verfahrensziele objektiv nachhaltig gefährdet (BGH, Beschl. v. 1.3.2007 - IX ZB 47/06, ZIP 2007, 781 f.). Ein wichtiger Grund kann auf wertneutralen Umständen wie Krankheit, fehlender fachlicher Eignung oder beruflicher Überlastung, aber auch auf einer schuldhaften Pflichtwidrigkeit beruhen (Gottwald/Klopp/Kluth, Insolvenzrechtshandbuch 3. Aufl., § 21 Rz. 10; FK-InsO/Kind, 4. Aufl., § 70 Rz. 6; MünchKomm/InsO/Schmid-Burgk, 2. Aufl., § 70 Rz. 6; Römermann/Delhaes, InsO § 70 Rz. 7). Als schuldhafte, die Entlassung aus dem Amt rechtfertigende Pflichtverletzung eines Ausschussmitglieds ist die Begünstigung eines Insolvenzgläubigers zum Nachteil der übrigen anerkannt (BGH, Beschl. v. 15.5.2003 - IX ZB 448/02, ZIP 2003, 1259). Eine unzulässige Begünstigung ist etwa anzunehmen, wenn ein Rechtsanwalt in seiner Eigenschaft als Mitglied eines Gläubigerausschusses gewonnene Informationen zum einseitigen Vorteil eines zu den Gläubigern gehörenden Mandanten ausnutzt (Uhlenbruck ZIP 2002, 1373, 1380; HmbKomm-InsO/Frind, 2. Aufl., § 70 Rz. 3; Runkel EWiR 2007, 57 f.).
[6] 2. Die in den Schreiben vom 13.1.2005 zum Ausdruck kommende, die einstweilige Verfügung und den Lieferstopp betreffende Weitergabe von Informationen vermag entgegen der Auffassung des LG die Entlassung des Beteiligten als Mitglied des Gläubigerausschusses nicht zu rechtfertigen.
[7] Der Senat hat in dem Parallelverfahren IX ZB 222/05, das die Entlassung des Beteiligten als Mitglied des Gläubigerausschusses in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der U. AG zum Gegenstand hat, durch Beschluss vom heutigen Tage entschieden, dass ein Ausschluss selbst dann nicht in Betracht käme, wenn der Beteiligte die genannten Informationen an H. U. und die C + M GmbH, mithin Gläubiger der Schuldnerin, weitergegeben hätte. Diese Erwägungen, auf die der Senat vollinhaltlich Bezug nimmt, gelten auch in vorliegender Sache.
[8] 3. Die Entlassung des Beteiligten kann auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts nicht auf einen zwischen ihm und der Mehrheit des Gläubigerausschusses bestehenden Vertrauensverlust gestützt werden. Jedoch ist die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, weil nicht auszuschließen ist, dass in dem an das LG Karlsruhe zurückverwiesenen Verfahren IX ZB 222/05 Feststellungen getroffen werden, die auch in vorliegender Sache einen Ausschluss rechtfertigen könnten.
[9] a) Eine Störung des Vertrauensverhältnisses zu anderen Verfahrensbeteiligten, die keine Grundlage in einem objektiv pflichtwidrigen Verhalten des Gläubigerausschussmitgliedes findet, rechtfertigt - wie der Senat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entschieden hat (Beschl. v. 1.3.2007, a.a.O., S. 782 ff.) - nicht dessen Entlassung. Das Amt eines Mitglieds des Gläubigerausschusses ist weder vom Vertrauen des Insolvenzverwalters noch der Mehrheit oder einzelner Mitglieder des Gläubigerausschusses abhängig. Da die Vorwürfe im Zusammenhang mit den beiden Schreiben vom 13.1.2005 unbegründet sind, beruht der innerhalb des Gläubigerausschusses eingetretene Vertrauensverlust nach bisheriger Sachlage nicht auf einem objektiv pflichtwidrigen Verhalten des Beteiligten.
[10] b) Allerdings steht das vorliegende Verfahren in engem Sachzusammenhang mit dem bereits genannten Verfahren IX ZB 222/05, das ebenfalls den Ausschluss des Beteiligten aus einem Gläubigerausschuss zum Gegenstand hat. Die in Insolvenz gefallenen Unternehmen, für die jeweils ein Gläubigerausschuss gebildet wurde, gehören zu demselben Konzern; die Mitglieder beider Gläubigerausschüsse sind weithin personenidentisch. Wegen der Verflechtung beider Unternehmen und Verfahren besteht die Möglichkeit, dass eine erhebliche Verfehlung des Beteiligten, die seine Entlassung aus dem einen Gläubigerausschuss rechtfertigt, zugleich geeignet ist, wegen des dadurch hervorgerufenen Vertrauensverlusts seine Entfernung auch aus dem anderen Ausschuss nahezulegen. Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Beschwerdegericht die Gelegenheit, nach der Entscheidung der Parallelsache durch das LG Karlsruhe in eine Prüfung einzutreten, ob ein etwaiger dort eingreifender wichtiger Grund unter dem Gesichtspunkt eines Vertrauensverlustes in vorliegendem Verfahren die Entlassung des Beteiligten rechtfertigt.
Fundstellen
Haufe-Index 1956428 |
BB 2008, 805 |
BGHR 2008, 617 |
EBE/BGH 2008 |
NJW-RR 2008, 1370 |
WM 2008, 601 |
ZIP 2008, 655 |
MDR 2008, 648 |
NZI 2008, 19 |
NZI 2008, 308 |
Konzern 2008, 229 |